Der Baum in der Aida-Filiale auf der Währinger Straße 2–4 wird ewig blühen.
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Donnerstagmittag in der Aida-Filiale auf der Währinger Straße 2–4. Kaum hat man den Laden betreten, findet man sich in einem Instagram-Traum wieder. Es ist wenig los, doch egal, die Inneneinrichtung zieht sowieso die Aufmerksamkeit auf sich: Eine Wand ist mit hunderten pinken Blumen und einem großen Aida-Schriftzug bestückt, im Eck wurde ein Kirschblütenbaum aufgestellt, davor sind farblich abgestimmte Sessel mit goldenen Beinen gruppiert. Die Farbe Rosa war immer das Markenzeichen der Wiener Konditoreikette. Doch seit einigen Jahren werden die Filialen in ein Farbbad getaucht. Der Grund dafür ist offensichtlich: Pinke Blumen machen auf Instagram was her.

Die Konditoreikette ist nur ein Fall von vielen. In etlichen Wiener Lokalen ist der ewige Frühling ausgebrochen. Bei Sushi Cross in der Mall von Wien Mitte hängen fuchsiafarbene Blumen über den 35 Sitzplätzen, im Café La Jolie im ersten Bezirk baumeln Glyzinien von der Decke. In der Pizzeria Wolke in der Neubaugasse schmücken blühende Zweige die Ecke des Lokals. Erster Gedanke: Es muss aufwendig sein, das kleinteilige Blüten- und Blätterwerk zu reinigen.

"Pflanzen und Blumen schaffen eine gemütliche, frische Atmosphäre": Influencer und Unternehmer Hank Ge im Lokal Wolke.
Heribert Corn

Die Magnolien, Kirschblüten, Rosen blühen dennoch ganzjährig – und das nicht nur in Österreich. Von Athen bis Paris fallen künstliche Blumen kaskadenförmig von den Fassaden und schmücken das Innere der Lokale. Die Investition in die meist mehrere Tausend Euro teure Dekoration zahlt sich in der Regel aus. Vor allem Touristen und Touristinnen lieben diese Orte und zücken die Smartphones. Besonders verbreitet sind sie in der französischen Hauptstadt.

Mitte der Zehnerjahre schwappte der Trend aus den USA hinüber nach Europa, 2017 legte das Restaurant La Maison Sauvage in Saint-Germain-des-Près los, heute reiht sich dort eine Blumengirlande an die nächste. Die Kritik an den auffälligen Dekos wächst. Die fotogenen Fassaden scheinen wie gemacht für den Emily in Paris-Tourismus. Schätzungen zufolge sind heute über 300 Pariser Cafés in Farbe getaucht – auch weil es dafür keine Genehmigung braucht. Vor der Brasserie Le Musset beispielsweise posieren in der französischen Hauptstadt regelmäßig Menschen, weil über dem Eingang eine blaue Blumenwolke hängt. Die Fotos werden auf Instagram gepostet und sind kostenlose Werbung für das Lokal.

Die Kritik an den auffälligen Dekos wächst: Über 300 Lokale sind in Paris mittlerweile mit Kunstblumen dekoriert.
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Der Umsatz der Unternehmen erhöhe sich mit der Deko um mindestens 30 Prozent, hat der Blumenfabrikant Luc Deschamps, der etliche Pariser Lokale eingepackt hat, vor einiger Zeit französischen Medien verraten. Vorwürfen, dass die Kunststoffblumen nicht nachhaltig seien, entgegnet er, dass die Dekorationen gewaschen, gefärbt und wiederverwendet würden. Deschamps hat seine Geschäftsidee aus den USA importiert. In New York dekoriert Carlos Franqui mit seinem Unternehmen Floratorium seit einem Jahrzehnt die Fenster und Türeingänge von Lokalen und Geschäften mit blühenden Ranken, etwa 300 Restaurants in den USA und Kanada hat er seither ausgestattet, ein Grund, warum ihn bereits die New York Times porträtierte.

Zum Verwechseln ähnlich

Bei den fotogenen Flower-Hotspots handelt es sich um ein weltweit verbreitetes, vor allem städtisches Phänomen. Das hat Folgen. Viele Orte sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Man könnte auch sagen: Die Blumen-Cafés sehen aus wie aus der Retorte. Als Aida im Dezember 2022 auf der Social-Media-Plattform ein Bild der frisch renovierten Filiale in der Währinger Straße postete, kommentierte ein Follower unter dem Beitrag: "Wie die Elan-Cafés in London!" Der Vergleich war nicht so weit hergeholt. Das Unternehmen EL&N London setzt ebenfalls auf Pink, Pastell, Kunstblumen und bezeichnet sich als das "world's most Instagrammable café". 2017 eröffnete die erste Filiale in London Mayfair, mittlerweile gibt es Ableger in Düsseldorf, Dubai, Mailand. In Athen preist sich das 2019 eröffnete Café Ellyz als "most Instagrammable place in the city". Der Eingang des Lokals wird, wenig verwunderlich, von einem herzförmigen Bogen aus Kunstrosen geschmückt.

Irgendwann einmal werden die pinken Blumenwände und künstlichen Kirschblütenbäume als Überbleibsel der Instagram-Ära in die Designgeschichte eingehen. Seit einem Jahrzehnt geht nichts ohne das blasse Rosa, genannt Millennial-Pink. Für manch einen sehen die Girlanden an den Fassaden bereits jetzt nach einem Relikt aus der Pandemiezeit aus: Damals rang die zeitweise geschlossene Gastronomie um Aufmerksamkeit und reagierten mit einem Flower-Rain.

Auch in Österreich bedienen Unternehmen die Nachfrage der Unternehmen nach Kunstblumen. Plantas, ein Spezialist für Kunst- und Seidenpflanzen mit Firmensitz in Traiskirchen, versorgt Shoppingcenter, Hotels und Restaurants. Der Fantasie scheinen dabei kaum Grenzen gesetzt: Bei The Crazy Cheese Manufacture in der Westfield Shopping City Süd wurde ein Rosenbäumchen inmitten von Käselaiben aufgestellt, in den Marktküchen von Billa hängen nun Grünpflanzen von Plantas von der Decke.

"Frische Atmosphäre"

Was die Beweggründe für solche Dekorationen sind? Anfrage an den Influencer Hank Ge. Wieso verwendet er Kunstblumen? Pflanzen und Blumen schafften eine "gemütliche, frische Atmosphäre", erklärt der Unternehmer. Ob die Dekoration Instagram-tauglich sei oder nicht, sei für seine Lokale nicht entscheidend. Auf Instagram sind sie dennoch oft im Bild.

Der Erfolg der künstlichen Blumenpracht mag auch der verbesserten Qualität der Kunstblumen made in China zu verdanken sein. "In den Siebzigerjahren wurden die Blüten aus Plastik hergestellt. Heute sind die Blumen aus Textil, die Stile werden aus Plastik und Draht gefertigt", heißt es bei Deko Grabner im 14. Bezirk Wiens. Dort werden momentan Hortensien und Pelargonien, "saisonale, naturgetreue Blütenzweige", verkauft, allerdings überwiegend an Privatkunden.

Ob die Instagramisierung der hiesigen Lokale weiter voranschreitet, wird die Zeit zeigen. Bei der Wiener Konditoreikette, versprach Dominik Prousek, Urenkel des Aida-Gründers, im vergangenen Jahr, würden manche Filialen bewusst traditionell alt gelassen. Doch wer weiß schon, ob nicht in ein paar Jahren auch Kirschblütenbäume in der Wallensteinstraße blühen. (Anne Feldkamp, 11.5.2024)