Die Geschichte endet, wie sie anfängt – mit Schlamm. Jedenfalls war man im Mai 2005 am Reißbach mit Gummistiefeln schneller unterwegs als mit einem Kanu. So wenig Wasser war in dem Bach, der Litschau im Norden Niederösterreichs mit dem Meer verbindet. Und die Frage, in welches Meer der Reißbach mündet, war der Auslöser für den Ausflug mit Gummistiefeln und Kanu.
Thomas Zimmermann ging in den 1970er-Jahren in die zweite Klasse der Volksschule. Da erklärte eine Lehrerin den Schülerinnen und Schülern, dass "alles Wasser in Niederösterreich in die Donau und weiter ins Schwarze Meer fließt". Thomas war sich aber sicher, dass sein Herrensee – ein aufgestauter Bereich des Reißbachs – in die Nordsee fließt.
Wie es damals halt so war, ohne Google Maps, dafür mit funktionierenden Autoritäten, versuchte man den Disput unter den Teppich zu kehren, in der Hoffnung, dass sich bald niemand mehr daran erinnere. Dabei hätte man im rauen Waldviertel doch wissen müssen, dass so eine Episode irgendwann zumindest in der Gemeindechronik auftaucht – wenn nicht gar 50 Jahre später in einer überregionalen Tageszeitung.
Jedenfalls: Thomas Zimmermann war schon verheiratet und Vater, als er mit dem Kauf eines Kanus den ersten Schritt machte, als Abenteuerreisender den Beweis seiner Aussage als Achtjähriger zu erpaddeln.
Kanu, Kanadier und Kajak
Wenn wir Kanu sagen, sind wir ein bisserl gschlampert, denn zu den Kanus gehören die Kanadier und die Kajaks. Die Familie Zimmermann war mit einem Kanadier unterwegs, einem amerikanischen, 16 Fuß oder rund fünf Meter lang, aus Kunststoff, etwa 30 Kilogramm schwer und mit einem Fassungsvermögen von 480 Kilogramm. Damit machte sich die Familie mit dem inzwischen drei Jahre alten Daniel 2005 auf die erste Etappe. Die begann des Wassers wegen dann in Suchdol, nur wenige Kilometer hinter der tschechischen Grenze, auf der Lainsitz und endete fünf Tage später in Tabor.
Gleich im Jahr darauf reisten die drei bis nach Slapy an der Moldau. Dann machten sie vier Jahre Pause, bis es im zwei Jahresrhythmus weiterging – bis zum Juli 2014.
Wenn Heidemarie Zimmermann von den Reisen erzählt, dann nie, wie eng es in dem Kanu war, in dem sie 42 Tage verbracht und am Ende 1079 Kilometer zurückgelegt haben. Obwohl alle in einem Boot fuhren und zwischen ihnen noch das Gepäck verstaut war.
Rund 80 Kilogramm waren das jedes Mal. Das Zelt, die Schlafsäcke, Verpflegung und Kleidung. "Proviant und Wasser haben wir für die gesamten fünf Tage eingepackt, da wir nicht wissen, ob an den Campingplätzen die Kioske geöffnet sind. Wir sind völlig autark", notiert sie auf der ersten Etappe. "Von wenigen Ausnahmen abgesehen, leben wir auf dem Boden. Das heißt, wir schlafen im Zelt auf dem Boden, und wir essen auf dem Boden, da es selten Sitzgelegenheiten, geschweige denn Tische und Bänke oder Sessel gibt." Aber es sei nicht nur gewöhnungsbedürftig, sondern auch faszinierend, der Erde so nah zu sein.
Das Gepäck hat sich mit der Zeit verändert. Das Zelt wurde größer, dafür blieb immer mehr daheim, was nicht unbedingt mitmusste. Das schuf wiederum Platz für ein kleines Bootswagerl und ganz am Schluss ein Kanusegel.
Treideln und Portagieren
Das Wagerl hilft immer dann, wenn das Kanu aus dem Wasser muss. Bei Schwellen, die nicht überfahren werden können, gibt es zwei Möglichkeiten: Treideln oder Portagieren. "Beim Treideln wird der Kanadier mithilfe zweier Leinen, eine am Bug, eine am Heck, über die Schwelle manövriert", erklärt Heidemarie Zimmermann. Dabei steuert man das Kanu über die Leinen entweder vom Ufer oder vom Wasser aus. "Der große Vorteil dabei ist, dass das Boot nicht ent- und beladen und das Boot selbst nicht übertragen werden muss, weil es auf dem Wasser schwimmt."
Beim Portagieren muss erst alles aus dem Kanu heraus und dann alles mühsam dem Ufer entlang getragen werden. Da ist so ein Wagerl für das Kanu schon ein Segen. Denn das Treideln dauert etwa zehn Minuten, fürs Portagieren hingegen muss man auch einmal zwei Stunden Schlepperei einrechnen. Bis zu sieben Wehre und Schwellen überwanden die drei an manchen Tagen.
Kentern zum Pudel
Während die Beladung sich mit jeder Tour änderte, man an den Bildern von Daniel sieht, wie die Zeit ins Land zog, blieb eines stets gleich. Die drei trugen immer Schwimmwesten. "Nicht, dass wir nicht schwimmen können, wir sind gute Schwimmer", sagt Heidemarie. "Es geht einfach darum, im Fall einer Kenterung die Hände frei zu haben. Um sich zu schützen und abzustützen, um sich festzuhalten oder um herumtreibende Packsäcke einzusammeln." In 25 Paddeljahren seien sie nur fünf Mal gekentert, immer ohne größere Verletzungen, "aber es geht so blitzartig, und am Ende steht man im wahrsten Sinne des Wortes wie ein begossener Pudel da."
2014 endete die Reise nicht wie geplant in Cuxhaven, sondern in Hamburg, wo die drei wegen der nahenden Ebbe mehr im Schlick herumstachen als im Wasser. Aber der Beweis galt als erbracht, so weit schien von hier das Schwarze Meer.
Während der Pandemie hatte Heidemarie Zeit, Fotos zu sichten und Erinnerungen aufzuschreiben. Nun hat sie im Eigenverlag das Buch Mit dem Kanu nach Hamburg herausgebracht und erzähl darin auch, warum die Reise am Ende für mehr gut war als nur dafür, recht zu haben. (Guido Gluschitsch, 13.4.2024)