Die gute Nachricht zuerst: Unlängst ist mir das erste Mal eine Anthrazitmotte (Euplocamus anthracinalis) untergekommen. Bisher wusste ich gar nicht, dass es diese tagaktiven Nachfalter überhaupt gibt. Sie sind schwarz und haben weiße Punkte. Hübsch eigentlich. Die schlechte Nachricht: Der Schmetterling befand sich im Schnabel einer Blaumeise.
Der Nistkasten, der bei den Schwiegereltern im Südburgenland in einem knorrigen Apfelbaum hängt, ist ein Phänomen. Seit vielen Jahren ist er jede Saison ausgebucht. Immer sind es Blaumeisen (Cyanistes caeruleus), die hier ihren Nachwuchs großziehen. Die einzige Extraausstattung ist eine Blechplatte rund um das Einflugloch, die verhindert, dass etwa Buntspechte den Eingang erweitern, um Eier oder Jungvögel zu erbeuten. Momentan piepst es wieder gewaltig im Oberstübchen. Wie viele Küken drinnen sind, wissen wir nicht. Ein Gelege kann aus bis zu 17 Eiern bestehen. Schon bevor die Elternvögel mit Futter durch den Eingang schlüpfen, kreischen die kleinen Blaumeiserln wie Fans von Robbie Williams zu dessen bester Zeit.
Viele grüne Raupen
Herr und Frau Blaumeise gönnen sich derzeit keine Ruhepause. Zu Spitzenzeiten kommen sie jede Minute mit irgendeinem Leckerbissen angeflogen. Grüne Raupen und Larven sind derzeit am häufigsten, ist mir aufgefallen – oder war es selektive Wahrnehmung, weil ich grüne Gummibärlis am liebsten mag? Egal. Die hungrigen Mäuler verschlingen jedenfalls auch Unmengen von Spinnen, Larven – und eben Kleinschmetterlinge wie die Anthrazitmotte, die ich später anhand von Fotos identifizieren konnte. Bei ihrer extensiven Jagd nach Futter für die kleinen Schreihälse kommt Blaumeisen zugute, dass sie auch kopfüber auf kleinen Ästen hängen können. Im Meisen-Vergleich haben sie die stärksten Beinmuckis.
Knapp vor dem Ausfliegen
Die Elternvögeln im Apfelbaum wirken schon ein wenig ausgelaugt. Kein Wunder. Die Küken sind knapp vor dem Ausfliegen, wie neugieriges Herausgucken aus dem Nistkasten zeigt. Der anstrengende Futterservice dauert also sicher schon zwei, vielleicht sogar drei Wochen. Davor hat das Weibchen das Nest gebaut oder renoviert und danach gut zwei Wochen die Eier ausgebrütet. In dieser Zeit wurde es vom Männchen mit Futter versorgt. Adulte Blaumeisen bevorzugen im Gegensatz zu den Fressmonsterbabys kleine Happen, sie ernähren sich hauptsächlich von winzigen Insekten wie Blattläusen und Fliegen.
Kaum sind die Kinder aus dem Haus, kommt auch schon die Mauser. Der Wechsel des Federkleids dauert bei Blaumeisen mit mehr als 110 Tagen ungewöhnlich lange. Aber danach ist einmal eine Ruh. Bei uns im Garten gibt es im Herbst wieder den wohlverdienten Wellnessurlaub mit fetter Körndlkur und frischem Wasser für den Vogelspa. Ab Jänner sehen sich Blaumeisen dann wieder nach Lebensabschnittspartnern um und legen den Grundstein für die nächste Generation. (Michael Simoner, 15.5.2024)