Alles nur Mode, oder was? Wenn man in der Haute Horlogerie, der hochfeinen Uhrmacherei, eines nicht mag, dann mit dem verpönten "M"-Wort gelabelt zu werden. Denn, da ist man sich einig, ein Zeitmesser, zumal ein mechanischer, zeichnet sich durch wesentliche Eigenschaften aus: Er ist zeitlos und wird nicht von kurzlebigen Fashiontrends tangiert.

Bei der mattschwarzen J12 Diamond Tourbillon Caliber 5 von Chanel blitzt nicht nur ein Diamant, sondern auch die uhrmacherische Fertigkeit des Modehauses auf.
Bei der mattschwarzen J12 Diamond Tourbillon Caliber 5 von Chanel blitzt nicht nur ein Diamant, sondern auch die uhrmacherische Fertigkeit des Modehauses auf.
Chanel

Daher wurden die Ambitionen von Modemarken auf diesem Gebiet eher misstrauisch beäugt. "Ist der Name einer Couture-Marke nicht auf einem Hemd oder einer Hose mehr wert als auf einer Uhr?", fragte sich einst etwa Ariel Adams, Gründer des einflussreichen US-amerikanischen Uhrenblogs ablogtowatch.com.

Auch Gucci hat Ambitionen und bringt mit der 25H Minute Repeater die Zeit zum Klingen.
Auch Gucci hat Ambitionen und bringt mit der 25H Minute Repeater die Zeit zum Klingen.
Gucci

Aber Mode ist eben nicht gleich Mode. Während sich einige Fashionbrands damit zufrieden geben ihr Logo auf das Ziffernblatt einer (Quarz) Uhr zu malen und auf eine hohe Marge schielen, entwickelten andere den Ehrgeiz, ihre Fühler – passend zum eigenen Image – in die hohe Uhrmacherkunst auszustrecken. Und so müssen längst selbst jene dem Puritanismus zuneigenden Beobachter zugeben: Die Modelle von Hermès, Chanel, Louis Vuitton oder Gucci sind nicht von schlechten Eltern.

Das zeigte sich jüngst auf der Watches & Wonders. Dort, wo angesehene Hersteller wie Rolex, A. Lange & Söhne, Patek Philippe oder Jaeger-LeCoultre, ihre Neuheiten präsentierten, waren mit Chanel und Hermès auch zwei Häuser vertreten, die ursprünglich nichts mit der Uhrmacherei zu tun hatten.

Coco tanzen lassen

Schon das Standdesign von Chanel, seit 1987 im Uhrengame, strotzte vor Selbstbewusstsein: Eine überlebensgroße goldene Nähnadel, eine Anspielung auf die man wohl nicht zu übersetzen braucht, drehte sich dort schwerelos in einem schwarz-weiß-eleganten Ambiente. Dahinter, auf einem riesigen Screen, offenbarten sich dem Besucher die tickenden Kreationen.

Darunter die neueste J12 Couture Workshop Automaton Caliber 6. Das Design der schwarzen Keramikuhr, inspiriert von Gabrielle "Coco" Chanel und ihrem Atelier in der Rue Cambon, entstammt dem Watchmaking Creation Studio am Pariser Place Vendôme. Dort hatte man die Idee, Coco mit ihrer Schere in der Hand tanzen zu lassen. In der Chanel Watch Manufacture, ansässig in La Chaux-de-Fonds, einem der Hotspots der eidgenössischen Uhrenfertigung, wurde diese mechanische Miniaturspielerei umgesetzt. 355 Komponenten erwecken die Silhouette der Mademoiselle auf Knopfdruck zum Leben.

J12 Automaton Caliber 6 watch — Chanel Haute Horlogerie
CHANEL

Verbaut sind sie im Caliber 6, dem ersten Automaten-Kaliber des Hauses. Ein weiterer Meilenstein, nachdem man schon 2022 ein Werk mit fliegendem Tourbillon präsentiert hatte. Eine Komplikation ohne die man, will man in der Haute Horlogerie etwas gelten, kaum auskommt. Für "schlichtere" Uhren hat sich Chanel unterdessen am Werkeproduzenten Kenissi in Le Locle beteiligt. 20 Prozent halten die Pariser, 80 Prozent Tudor, die Schwesternmarke von Rolex. Ein weiteres Indiz dafür, dass man es bei Chanel ernst meint.

Während sich alteingesessene Uhrenmarken vielfach auf einen jahrzehntealten Backkatalog stützen (können oder müssen), brauchen die sogenannten Modemarken darauf kaum Rücksicht nehmen: Sie haben bei der Gestaltung ihrer Zeitmesser freie Hand. Obwohl auch sie ihre Inspiration aus der eigenen Geschichte ziehen. Im Fall von Chanel ist es die Couture, "die mich ständig in neue Gebiete führt, die man nicht unbedingt erwartet", gibt Arnaud Chastaingt, oberster Kreativer und Direktor des Watchmaking Creation Studios, zu Protokoll. Es sind diese Codes, die auch einem uhrenfernen, aber mit Chanel vertrautem Klientel die Zeitmesser näherbringen. Allerdings: Das ikonische Doppel-C-Logo findet man aktuell nicht auf den Tickern.

Ernst meinen

Dafür gibt Hermès seinem Anfangsbuchstaben eine würdige Bühne. Es sind sogar zwei ineinander verschlungene "Hs" die dem dreiachsigem Tourbillon der Messeneuheit Arceau Duc Attelé als Käfig dienen. Sie ziehen in dessen Takt ihre Bahnen über das Ziffernblatt. Bei dieser einen großen Komplikation hat man es bei der Titanuhr aber nicht belassen. Man hat der Arceau auch eine Minutenrepetition verpasst, welche Stunden, Viertelstunden und Minuten akustisch wiedergibt. Was der Marke endgültig die Weihe als ernst zu nehmender Player in der Uhrenwelt verleihen dürfte.

Der Arceau Duc Attelé hat Hermès neben einem Minute-Repeater auch ein Tourbillon mit drei Achsen verpasst. Die pferdekopfförmigen Tonhämmerchen verweisen auf die Wurzeln des Hauses.
Der Arceau Duc Attelé hat Hermès neben einem Minute-Repeater auch ein Tourbillon mit drei Achsen verpasst. Die pferdekopfförmigen Tonhämmerchen verweisen auf die Wurzeln des Hauses.
Joel Von Allmen

Die Schlaghämmerchen, die die stimmgabelförmigen Tonfädern der Arceau zum Schwingen bringen, haben die Form von Pferdeköpfen. Was keineswegs ein Gag sein soll und natürlich auch auf die Ursprünge von Hermès als Sattler hinweist. Stichwort: Codes. Hermès tummelt sich schon länger auf dem Uhrenparkett.

Schön von hinten: Kein Rotor verstellt den Blick auf das nicht nur technisch ansprechende Handaufzugswerk der Arceau Duc Attelé. Wer entdeckt den Pferdekopf?
Schön von hinten: Kein Rotor verstellt den Blick auf das nicht nur ästhetisch ansprechende Handaufzugswerk der Arceau Duc Attelé. Wer entdeckt den Pferdekopf?
Joel Von Allmen

Seit 2006 hält man Anteile an der renommierten Vaucher Manufacture Fleurier. Von dort stammen die hauseigenen Kaliber, auch das Handaufzugswerk H1926, das die Arceau Duc Attelé antreibt. "Es macht keinen Sinn, sich mit traditionellen Uhrenmarken zu messen", hält Laurent Dordet, Leiter der Uhrenabteilung von Hermès, fest. Vielmehr geht es um Diversifikation: Uhren sind nur eine weitere der insgesamt 16 Produktkategorien, die das Modehaus in petto hat.

Besser als Parfüms

Das Kalkül scheint aufzugehen: Um satte 23 Prozent haben die Uhrenverkäufe im vergangenen Jahr angezogen. Mit über 600 Millionen Euro Umsatz verkauften sich die Zeitmesser besser als Parfüms oder Beautyprodukte. Ein Erfolg der auf die 2021 vorgestellte, sportliche Herrenuhr H08 zurückzuführen ist. Diesen versucht man mit der ebenfalls auf der Watches & Wonders vorgestellten Cut zu wiederholen, einer sportlichen Uhr, die auf eine weibliche Zielgruppe ausgelegt ist, aber durchaus als unisex durchgeht.

Haw-lin Services

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Experten das Wachstum von Hermès auch auf einen speziellen Faktor zurückführen: Manche Kundinnen dürften an den Kauf eines Zeitmessers wohl die Hoffnung knüpfen, auf der Warteliste für eine der begehrten Handtaschen, etwa der Birkin-Bag, weiter vorzurücken.

Auch Luxusgigant Louis Vuitton hat schon seit Jahrzehnten eine Niederlassung in der Uhrenschweiz und klug Know-how zugekauft. 2011 etwa die La Fabrique du Temps in Genf, hoch angesehen für ihre komplexen Highend-Uhrenwerke. Dort entstand auch die Tambour Spin Time. Die Uhrzeit wird hier über sich drehende Würfel abgelesen – eine patentierte Interpretation der Springenden Stunde, die schon 2009 beim Fachpublikum für viele "Ahs" und "Ohs" sorgte.

Unübersehbar sind die Codes von Louis Vuitton auf der Voyager Flying Tourbillon Poinçon de Genève Plique-à-jour.
Unübersehbar sind die Codes von Louis Vuitton auf der Voyager Flying Tourbillon Poinçon de Genève Plique-à-jour.
Louis Vuitton

Wie sehr dem LVMH-Gründer Bernard Arnault die Uhrmacherei am Herzen liegt, beweist auch die Tatsache, dass er seinen jüngsten Sohn, Jean, die Leitung der Marke anvertraut hat. Der Junior ließ schon durchblicken, was er vorhat: Louis Vuittons Standing in der Haute Horlogerie weiter zu festigen. Eine vollintegrierte Uhrenmanufaktur will man werden.

Die Konkurrenz ist hart. Sie kommt nicht zuletzt aus der eigenen Familie. Sein älterer Bruder Frédéric leitet die Uhrensparte von LVMH. Er ist damit Herr der Marken TAG Heuer, Hublot und Zenith.

Setzt auf Understatement: Die letztes Jahr lancierte Dreizeigeruhr Tambour von Louis Vuitton mit hauseigenem Automatikwerk.
Setzt auf Understatement: Die letztes Jahr lancierte Dreizeigeruhr Tambour von Louis Vuitton mit hauseigenem Automatikwerk.
Louis Vuitton

Gucci (oben) bringt mit der 25H Minute Repeater die Zeit zum Klingen. Ebenso Hermès (unten) mit der Arceau Duc Attelé, der man auch noch ein Tourbillon mit drei Achsen verpasst hat. Die pferdekopfförmigen Tonhämmerchen verweisen auf die Wurzeln des Hauses. Unübersehbar auch die Codes von Louis Vuitton auf der Voyager Flying Tourbillon Poinçon de Genève Plique-à-jour. (RONDO, Markus Böhm, 19.5.2024)