Mitten in der Grazer Innenstadt, gleich ums Eck vom hipstrigen Lendplatz und im Herzen des Arbeiterviertels Lend, befindet sich an bester Adresse, zwischen den höheren Gebäuden und Neubauten im Stadtbild etwas verloren wirkend, der Gasthof Gehringer. Eigentlich müsste man sagen: befand sich. Denn das Gasthaus Gehringer ist seit vergangenem Jahr Geschichte. Damals gingen die Gastleute Ursula und Gerhard Gehringer in Pension.

Medienwirksam verabschiedeten damals FPÖ-Landesparteiobmann Mario Kunasek und FPÖ-Bezirksobfrau Jutta Poglitsch die Gastronomen in den Ruhestand und übergaben den Wirten eine Ehrenurkunde. Das Aus des Gasthauses nutzten sie als Warnhinweis: Immer mehr "österreichischen Wirtshäuser" drohe laut den Freiheitlichen das Aus, heißt es in der "Kleinen Zeitung".

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Identitäre und FPÖler waren einmal: Nun treffen sich im Gehringer aufgeschlossenere Köpfe.
Foto: David Kranzelbinder

Identitären-Treffpunkt

Dass sich die FPÖ zum Wirtshaussterben zu Wort meldet, ist nicht ungewöhnlich. Das Posieren mit den Wirten und das Monieren über das Ende des Gasthauses mitsamt einer übergebenen Urkunde dann doch. Das hat aber einen Grund: Die FPÖ hat im Gehringer regelmäßig Stammtische abgehalten. Doch nicht nur für die Freiheitlichen war das Lokal ein beliebter Treffpunkt. Auch Vertreter der rechtsextremen Identitären Bewegung waren in den 2010er-Jahren gern gesehene Stammgäste im Gehringer.

Wie die Antifaschistische Recherche Graz auf ihrem Blog schreibt, hielt vor allem Anja Gehringer, die Tochter der Wirtsleute, in dieser Zeit nicht nur enge Kontakte zur FPÖ, sondern besonders auch solche zur rechtsextremen Gruppierung der Identitären. Im Gasthaus hielten diese neben den monatlichen Stammtischen auch Sommerfeste und Weihnachtsfeiern ab. Das belegt auch ein Dokument des Grazer Gemeinderats. Außerdem traf man sich hier, wie die Rechercheplattform schreibt, "zum Ausklang nach einer 'erfolgreichen Aktion', wie nach jener im Januar 2016, bei der 'identitäre' Kader mit Teleskopschlagstock und weiteren Hiebwaffen antirassistische Aktivist_innen aufgelauert, überfallen und angegriffen haben". Die Nähe zu den Identitären gehen aus zahlreichen Facebook-Kommentaren hervor.

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Beim Aufräumen fanden die Neo-Betreiber unter anderem Südstaatenflaggen, die man künstlerisch in Szene setzt.
Foto: David Kranzelbinder

Grazer Hipster übernehmen

"Der Gehringer", wie man das Gasthaus in Graz nennt, war als Treffpunkt für die rechtsextremen Identitären stadtbekannt. Umso ironischer ist, dass sich in jenem Lokal mit dem braunen Background seit kurzem die Grazer Hipsteria tummelt. Gentrifizierung und Aufklärung gehen Hand in Hand, könnte man sagen. "Die politische Säuberung des Gehringer war nie vordergründig, aber es ist ein lustiger Nebeneffekt", sagt Anton Krisper. Er hat gemeinsam mit Joris Narath die Grazer Spezialität Eule-Bier, ein Bier mit Koffein, entwickelt. Die beiden haben den ehemaligen Identitären-Treffpunkt als Eventprojekt mehr links als rechts wiederbelebt.

Dass die Bierbrauer zum Gasthaus gekommen sind, war eher Zufall. Am Nachbargrundstück bezogen sie zu Weihnachten ihr neues Lager. Dessen Eigentümer gehört auch das Grundstück, auf dem das Gasthaus Gehringer steht. So kam das eine zum anderen. Bis Ende des Jahres dürfen Krisper und Narath das Gasthaus nutzen, dann soll das Gebäude abgerissen werden und einem Wohnbau weichen.

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Ein Raum wurde zum Partyraum umgemodelt.
Foto: David Kranzelbinder

Bis dahin will man das Gehringer als Pop-up bespielen. Um sich von der rechtsextremen Vergangenheit des Gasthauses abzuheben, nennt man das Projekt GRNGR. Die "Bude ist relativ desolat", deswegen führt man das Lokal nur als Eventlocation. Man habe eigenen Strom verlegt, Tische und Sessel hineingestellt, baulich wurde nur der zweite Gastraum angerührt und zu einem Clubraum umgebaut. Schallgedämmt, betont Krisper, man wolle die Nachbarn ja nicht stören.

Zehn Tage im Jahr dürfen hier Veranstaltungen abgehalten werden. An den Wochenenden vom 8. Juni und vom 6. Juli plant man die nächsten öffentlichen Events. Ansonsten kann das GRNGR für geschlossene Veranstaltungen angemietet werden. Geplant seien Konzerte, DJ-Line-ups, aber auch Kunstausstellungen, die Alt und Jung zusammenbringen sollen, sagt Krisper. Beim Grazer Straßenfest Lendwirbel Anfang Mai hatte man zum ersten Mal geöffnet, da sei der Clash der Generationen durchaus gelungen.

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Im Sommer sollen noch mehrere Events inklusive Outdoor-Areal stattfinden.
Foto: David Kranzelbinder

Schweres Erbe

Wie man mit dem schweren Erbe des Gehringers umgeht? "Wir haben das Lokal mit guter Musik, Nebel, Schweiß und Jazztrompeten ausgeräuchert", sagt Krisper. Beim Ausräumen des ehemaligen Identitären-Treffpunkts sei man auf allerlei Relikte gestoßen. "Wir haben einen riesigen Gutschein für ein Fassbier gefunden, den die FPÖ dem letzten Traditionswirtshaus gesponsert hat. Und Südstaatenflaggen und andere Überreste." Die habe man im GRNGR künstlerisch inszeniert.

Ansonsten will Krisper Künstlerinnen und Künstlern die Thematisierung der kontroversen Geschichte des Gasthauses überlassen. "Wir möchten das nicht groß in den Vordergrund stellen, aber wenn man sich ein bisschen damit beschäftigt oder nur die Google-Rezensionen der letzten Jahre durchliest, bekommt man ein gutes Gefühl, was dort alles passiert ist." (Kevin Recher, 18.5.2024)