Vater kuschelt mit seinem kleinen Baby, Nahaufnahme.
Menschen werden später und seltener Eltern, diese Entwicklung kann man auf der ganzen Welt beobachten. Dadurch wird wohl auch schon bald die Weltbevölkerung schrumpfen.
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Die Kinder werden weniger. Nicht nur in Österreich und vielen anderen reichen Industriestaaten, sondern weltweit, in fast allen Staaten dieser Erde. Seit dem Jahr 1950 ist die Gesamtfertilitätsrate (GFR), also die Anzahl der Kinder, die eine Frau zur Welt bringt, um 50 Prozent gesunken. Das zeigt eine Studie, die vor kurzem im medizinischen Fachjournal The Lancet publiziert wurde. Und die Zahl wird weiter zurückgehen. Hat eine Frau 1950 im Schnitt noch 4,84 Kinder geboren, waren es 2021 nur noch 2,23. Für 2050 wird eine durchschnittliche Rate von 1,83 Kindern pro Frau prognostiziert, 2100 sollen es nur noch 1,59 sein.

Der Abwärtstrend bedeutet, dass im Jahr 2100 voraussichtlich nur noch in sechs Ländern, nämlich Samoa, Somalia, Tonga, Niger, Tschad und Tadschikistan, ausreichend Kinder auf die Welt kommen werden, damit die Bevölkerung nicht schrumpft. Für eine stabil bleibende Bevölkerung müssten Frauen im Schnitt nämlich 2,1 Kinder bekommen.

Die Auswertungen und Berechnungen beruhen auf Daten von 204 Ländern, 1455 Umfragen und Volkszählungen sowie 150 anderen Quellen, die für die Global Burden of Diseases, Injuries, and Risk Factors Study (GBD) 2021 erhoben wurden. Doch warum kommt es zu diesem weltweiten Rückgang? Werden Frauen schwerer schwanger, werden die Spermien immer schlechter? Oder sind wirtschaftlicher und sozialer Aufstieg von immer mehr Ländern dafür verantwortlich? Es ist eine komplexe Mischung, sagt Reproduktionsmediziner Heinz Strohmer. "Und es zeigt, dass wir einen stärkeren Fokus auf dieses Thema brauchen."

Gesellschaftliche versus medizinische Fruchtbarkeit

Was sagt die Studie nun konkret aus? Strohmer erklärt: "In der Studie werden die nackten Daten analysiert, die unter dem Begriff Fertility, also Fruchtbarkeit, zusammengefasst werden. Aber Fruchtbarkeit ist nicht gleich Fruchtbarkeit. Die eine Form beschreibt den Wunsch von Frauen oder Familien, ein Kind zu bekommen, also die gesellschaftliche Fruchtbarkeit, wenn man so will. Die andere steht für die tatsächliche Fähigkeit, ein Kind zu zeugen und zu gebären, also die medizinisch definierte Fruchtbarkeit. Das sind zwei grundsätzlich unterschiedliche Dinge, die aber in Statistiken und den meisten Studien nicht aufgeschlüsselt werden."

Schauen wir uns zuerst die Fruchtbarkeit in Form von Kinderwunsch an. Dieser Wunsch entsteht mittlerweile zunehmend zu einem späteren Zeitpunkt im Leben, weiß Strohmer, oft erst, wenn Frauen bereits Mitte 30 sind: "Das ist natürlich stark gesteuert von sozioökonomischen Überlegungen und Gesellschaftspolitik. Stehen Verhütungsmittel zur Verfügung? Habe ich meinen Bildungsweg abgeschlossen? Wie möchte ich mich beruflich entwickeln? Kann ich mir ein Kind überhaupt leisten?"

Dieser Wunsch hat sich in den vergangenen 70 Jahren weltweit drastisch verändert, und es ist absehbar, dass sich diese Entwicklung hin zum späteren Kinderwunsch in immer mehr Staaten fortsetzt. Dabei geht es auch um Zukunftsperspektiven. "Hat man nur ein oder zwei Kinder, kann man diesen bessere Zukunftsperspektiven bieten, sie haben mehr Chancen auf Bildung. Diese Entwicklung ist für einen deutlichen Teil der Studienergebnisse verantwortlich."

Die Halbierung der Fruchtbarkeit liegt aber keineswegs nur daran, dass immer mehr Menschen immer später Eltern mit immer weniger Kindern werden wollen. Denn die medizinisch definierte Fruchtbarkeit – hat ein Mann ausreichend gute Spermien, kann eine Frau eine Schwangerschaft von Befruchtung über Einnistung der Eizelle bis zur Geburt schaffen – ist ebenso in der Krise, kann man schon fast sagen. "Wir vermuten mit ziemlicher Sicherheit, dass sich der biologische Abfall der Fruchtbarkeit verstärkt, insbesondere in den Industriestaaten", weiß Strohmer.

Umwelt und Lebensstil

Dabei spielen einerseits Lebensstilfaktoren eine große Rolle, also Ernährung, Bewegung, Gewicht, häufiger Konsum hochverarbeiteter Lebensmittel, Alkohol- und Nikotinabusus. Und dann gibt es noch Umweltfaktoren wie Östrogene im Trinkwasser und endokrine Disruptoren, also Weichmacher oder sogenannte Ewigkeitschemikalien. Man vermutet, dass diese Substanzen für die Fruchtbarkeit eine ebenso relevante Rolle spielen wie der Lebensstil. Das zeigt sich im Tiermodell ganz klar. Und auch in der Follikelflüssigkeit und in der Samenflüssigkeit von Frauen und Männern, die ein Fruchtbarkeitsproblem haben, kann man erhöhte Werte dieser endokrinen Disruptoren feststellen, weiß Strohmer.

Für die Männer gibt es dazu auch konkrete Zahlen: Seit den 1970er-Jahren haben sich deren Spermiogrammwerte, also Beweglichkeit und Anzahl der Spermien pro Milliliter Samenflüssigkeit, um bis zu 50 Prozent verschlechtert, DER STANDARD hat hier darüber berichtet. "Das heißt nicht, dass jetzt auf einmal ein Großteil der Männer Fruchtbarkeitsprobleme hat, die meisten bewegen sich immer noch innerhalb der Normwerte. Aber in Summe bewegt sich die Samenqualität der männlichen Bevölkerung nach unten", sagt Strohmer.

Späterer Kinderwunsch, früherer Wechsel

Bei den Frauen wiederum gibt es einen sehr klaren Parameter der Fruchtbarkeit: das Alter. In Österreich ist diese Entwicklung schon seit einigen Jahrzehnten im Gang. War hierzulande eine Mutter im Jahr 1997 bei der Geburt ihres ersten Kindes im Schnitt 25,3 Jahre alt, lag dieses Alter 2023 laut Statistik Austria bei 30,3 Jahren. Strohmer sieht diese Entwicklung daran, dass auch die Frauen, die zur Kinderwunschbehandlung kommen, immer älter werden.

Reproduktionsmediziner Heinz Strohmer
Heinz Strohmer betreut seit über 30 Jahren Paare mit Kinderwunsch.
Kinderwunschzentrum an der Wien

Dazu kommt eine weitere Entwicklung: Es scheint eine Tendenz zu geben, dass Frauen früher in den Wechsel kommen und damit auch die Zeitspanne der Reproduktion früher endet. Zumindest zeigt das ein simpler AMH-Test, der seit einigen Jahren vermehrt gemacht wird – und den vor allem Reproduktionsmediziner Frauen mit Kinderwunsch dringend ans Herz legen, damit sie mehr Bewusstsein für ihre biologischen Möglichkeiten haben. Über das Blut wird dafür der Wert des Anti-Müller-Hormons festgestellt. Je niedriger der AMH-Wert ist, desto weniger Eizellreserven sind noch vorhanden. Man kann also einen Rückschluss darauf ziehen, wie groß die Fruchtbarkeit noch ist und wann die Perimenopause voraussichtlich beginnt.

"Ein niedriger AMH-Wert bedeutet dabei nicht, dass man nicht mehr schwanger werden kann. Aber statistisch gesehen wird es umso unwahrscheinlicher, je weiter er absinkt", sagt Strohmer. Die Entwicklung ist aber noch nicht durch Studien abgesichert, die Gründe dafür sind unklar. Und es gibt einen klaren Bias: Vor 30 Jahren wurde der AMH-Wert einfach noch nicht breiter erhoben. Man kann also nicht sagen, ob der Zeitpunkt des Wechsels tatsächlich vorrückt oder ob inzwischen das Bewusstsein für diesen Test, in der Ärzteschaft und bei Frauen mit Kinderwunsch, gestiegen ist.

Viele Gründe, viele Ansätze

Was kann man nun gegen die sinkende Fruchtbarkeit tun? Der am stärksten limitierende Faktor ist bei der Frau tatsächlich das Alter, wesentlich stärker als gesundheitliche Probleme wie Endometriose oder polyzystisches Ovarialsyndrom (PCOS). Denn die Eierstöcke sind wie kleine Festplatten im Computer, sie speichern von der Zigarette bis zur Fertigpizza dauerhaft alles, was die Qualität der Eizellen reduziert. Statistisch gesehen nimmt die Fruchtbarkeit bei der Frau deshalb schon ab Mitte 20 leicht, aber kontinuierlich ab, Mitte 30 gibt es dann einen starken Knick, mit 40 liegt die statistische Wahrscheinlichkeit, auf natürlichem Weg schwanger zu werden, nur noch bei 20 Prozent – und auch die Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung sind in diesem Alter schon stark limitiert, einfach weil oft nur noch begrenzte Eizellreserven in ausreichender Qualität vorhanden sind. Wie drastisch die Fruchtbarkeit sinkt, ist vielen potenziellen Eltern aber nicht bewusst.

Und auch bei Männern wird die Samenqualität schlechter, statistisch gesehen beginnt sie ab etwa 40 abzunehmen. Anders als bei der Frau fehlt aber der Punkt, an dem die Fruchtbarkeit zu Ende ist. Spermien werden permanent und lebenslang nachproduziert, bei den meisten werden aber Menge und Beweglichkeit geringer.

Selbst schuld, wenn man so lange wartet, hätte man sich eben früher um den Kinderwunsch gekümmert, könnte man nun natürlich sagen. Aber so simpel ist es nicht. Einerseits haben sich die Lebensumstände in den Industrieländern – und zunehmend auch in den sich entwickelnden Staaten der Welt – verändert. Andererseits könnte es durchaus sein, dass sich weniger Kinder und spätere Elternschaft langfristig auf die Fruchtbarkeit auswirken, sagt Strohmer.

Er bezieht sich dabei auf eine Studie, die sich mit der Überlegung auseinandersetzt, was es bedeutet, wenn alle Paare nur noch ein oder zwei Kinder bekommen. "Dann wäre eine hohe Fruchtbarkeit kein evolutionärer Wettbewerbsvorteil mehr, sie setzt sich womöglich nicht mehr durch. Würde irgendwann die gesellschaftliche Entwicklung eintreten, dass Paare wieder mehr Kinder haben wollen, kann sich eine Bevölkerung womöglich plagen, das auch umzusetzen. All das sind natürlich nur theoretische Überlegungen. Doch sie zeigen, wie massiv sich eine evolutionäre Veränderung womöglich auf die Entwicklung unserer Art auswirken kann." (Pia Kruckenhauser, 21.5.2024)