Hellblade 2
Von einer Schauspielerin und moderner Technik zum Leben erweckt, geht die Reise von Senua wohl jedem Spieler nahe.
Ninja Theory

Ständig höre ich Stimmen. Sie flüstern, sie warnen, sie ermutigen mich. "Du kannst es, du schaffst es." Aber sie äußern auch Zweifel. "Du wirst dich töten – du wirst uns töten." Egal, was sie sagen, sie sind immer da, lassen nie Stille zu. Dazu diese Visionen, diese Bilder, die immer wieder vor meinen Augen aufflackern.

Ich lege den Controller zur Seite. Nach 30 Minuten in Senua's Saga: Hellblade 2 stoße ich an meine emotionalen und nervlichen Grenzen. Wenn ein Spiel das Wort "intensiv" verdient hat, dann ist es dieses.

Wer ein dünnes Nervenkostüm hat oder mit psychischen Störungen jeglicher Art aus eigenem Schutz nichts zu tun haben möchte, der sollte um dieses Spiel einen großen Bogen machen. In der Fortsetzung des in den Kritiken sehr unterschiedlich rezipierten Videospiels von 2017 geht es erneut um die unter Psychosen leidende Senua, die diesmal im Island des 10. Jahrhunderts eine wichtige persönliche Reise antritt. Das erneut hohe Maß an Gewalt und der zumindest genauso aufreibende Ritt durch die innere Welt von Senua werden auch diesmal die potenzielle Kundschaft spalten.

Hellblade 2
Ähnliche Rätsel wie im Vorgänger werden durch ein paar neue ergänzt, um ein wenig mehr Abwechslung zu bieten.
Ninja Theory

Reden wir über binaurales Audio

Schon zu Beginn des Spiels erscheinen mehrere Warnungen auf dem Bildschirm, für wen Hellblade 2 auf keinen Fall geeignet ist. Gewalt, Psychosen, flackerndes Licht – wer sich in das Spiel wagt, der wird hier nach einem langen Tag nicht zum Controller oder zum Keyboard greifen, um abzuschalten. Aber warum sollte man sich das antun? Warum Hellblade 2 überhaupt starten, wenn es offenbar Schmerzen vieler Art beim Spieler oder der Spielerin verursacht? Ganz einfach, weil das Spiel einmal mehr beweist, wie intensiv eine Erfahrung digitaler Kunst sein kann.

Wer den Vorgänger nicht gespielt hat, der wird in einem kurzen Intro über die bisherigen Geschehnisse aufgeklärt. Senua hat in Teil eins den Tod ihres Lebensgefährten gerächt und gelernt, mit ihren Psychosen umzugehen. Eine Ausgestoßene ist sie dennoch, weshalb sie sich erneut einer Mission verschrieben hat, die sie alleine auf die Jagd schickt. Gefangen genommen von Wikingern, die ihre einstige Heimat geplündert und zerstört haben, ist ihr Plan, sich zu deren Anführer bringen zu lassen, um diesen zu töten.

Dieser martialische Gedanke trägt Senua über die ersten Hürden des Spiels. Man lernt erneut den Umgang mit dem Schwert, mit dem man sich den zahlreichen Angreifern erwehren kann. Ausweichen, hinschlagen, blocken, hinschlagen. Die Kämpfe unterscheiden sich über die Dauer des Spiels nur unwesentlich, sind mit einer nah gesetzten Kamera, den brutalen Angriffen und dem düsteren Soundtrack aber jedes Mal unglaublich intensiv. Das alles profitiert, genau wie die Stimmen im Kopf von Senua, von der sogenannten binauralen Technik, die man in jedem Fall mit Kopfhörern erleben sollte. Dann mischen sich die Geräusche im Spiel mit den Stimmen, die einmal von links und einmal von rechts flüstern sowie schreien, und man fühlt sich irgendwann in diesem Strudel der vielen Eindrücken überrollt.

Verstärkt werden diese Eindrücke von der grafischen Pracht, die das Spiel bietet. Die steinigen Landschaften, die verstümmelten Leichen am Wegesrand oder auch die Strapazen der Reise, die man Senua im Verlauf des Spiels immer mehr ansehen kann. Egal ob auf der Xbox oder einem leistungsstarken PC, so visuell verwöhnt wurde man in den letzten Jahren selten. Einzig auf dem tragbaren Steamdeck wurden laut mehreren Berichten keine stabilen Bildraten erreicht, womit das Spiel hier wohl aktuell nicht genießbar scheint.

Die emotional bewegende Reise profitiert auch massiv von den schauspielerischen Leistungen der Figuren, angefangen bei Senua-Darstellerin Melina Juergens bis hin zu den verschiedenen Charakteren, sie sie auf ihrer Reise trifft. Erneut wurde Motion-Capturing eingesetzt, um sowohl Bewegungen als auch die Mimik der Schauspielerinnen und Schauspieler digital nutzen zu können. So wirkt das Spiel vor allem in den gelegentlichen Zwischensequenzen wie ein Film zum Selberspielen.

Hellblade 2
Von den Kämpfen werden hier absichtlich keine Screenshots gezeigt, da diese für die meisten Menschen sehr verstörend wirken dürften.
Ninja Theory
Hellblade 2
Die grafische Brillanz des Spiels lässt sich kaum in den Screenshots festhalten.
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Schauspielerische Leistung

Tatsächlich profitiert Hellblade 2 genau von den erwähnten Stärken, denn spielerisch wagt man sich eher auf bekanntes Terrain. Die gelegentlichen Kämpfe lassen sich ähnlich wie jene des Vorgängers spielen, und der lineare Aufbau, der eigentlich keine Abzweigungen erlaubt, ist ebenfalls erhalten geblieben. Selbst kleinere Hürden können von Senua nicht überwunden werden, weshalb man mit der Zeit sehr direkt den vorgegebenen Pfad entlangpilgert, ohne den Blick schweifen zu lassen. Zumindest bei den Rätseln wurde nachgebessert und ein wenig mehr Abwechslung geboten als im Vorgänger. Wirklich unterhaltsam sind diese dennoch auf Dauer nicht.

Senua's Saga: Hellblade 2 ist ab dem 21. Mai 2024 für Xbox Series S/X und PC Windows (Steam) erhältlich. Besitzer des Abo-Service Gamepass finden es ab diesem Zeitpunkt in ihrer Bibliothek. Für den Test wurde dem STANDARD ein PC-Muster zur Verfügung gestellt.

Fazit

Entwickler Ninja Theory ist für mich ein Ausnahmestudio. Nicht, weil sie spielerisch mit ihren Titeln jedes Mal das Rad neu erfinden, sondern weil sie immer wieder Spielerlebnisse schaffen, die emotional berühren. Heavenly Sword aus dem Jahr 2007 gehört für mich in genau diese Kategorie, und auch Teil eins von Hellblade war ein emotional verdammt intensiver Ritt. Meine Erwartungen waren deshalb hoch, auch weil sich Ninja Theory wirklich viel Zeit für die Fortsetzung genommen hat. Nach dem Abspann bin ich nun ein wenig zwigespalten, ob diese Erwartungen erfüllt wurden.

Visuell und natürlich soundtechnisch ist das Spiel mit Sicherheit das bisherige Highlight des Jahres. Wenn die Stimmen ihre Warnungen in mein Ohr flüstern und mir einerseits Tipps geben und mich andererseits an die Grenzen des Wahnsinns treiben, haben die Entwickler offenbar viel richtig gemacht. Die schauspielerische Leistung der Senua-Darstellerin ist zudem derart packend, dass sich immer wieder Schweißperlen auf meiner Stirn gebildet haben, wenn sie längere Passagen mit ihrer Kunst interpretieren durfte. Ja, es ist vor allem die Erzählweise, die dieses Kunstwerk so abhebt, während das eigentliche Spiel – das Gameplay – primär als schmückendes Beiwerk dient.

Senua's Saga: Hellblade II - Official Launch Trailer (ft. Animal Soul by AURORA)
Xbox

Am anderen Ende des Spektrums findet sich nämlich ein enges, spielerisches Korsett. Das Kampfsystem hat zwar etwas an Dynamik gewonnen, wirklich abwechslungsreich ist es aber noch immer nicht. Bei den Rätseln gibt es diesmal mehr Vielfalt, eine große Portion Spaß hatte ich aber mit kaum einem. Hinzu kommt die absichtliche Unbeweglichkeit der Protagonistin, die nicht einmal über einen mittelhohen Stein steigen kann, wenn der nicht weiß bepinselt ist. Auch das Sammeln diverser Bäume und Totems wird irgendwie zur Pflicht, anstatt spielerisch einen interessanten Spin zu bekommen.

Bei all der Kritik bin ich dennoch ein Fan von Hellblade 2, weil sich die Stärken des Vorgängers auch hier wiederfinden. Warum man sich dafür allerdings so lange Zeit gelassen hat, speziell weil das Spiel keine zehn Stunden dauert, das wird wohl erst zu einem späteren Zeitpunkt geklärt werden. Im Idealfall war das Spiel dem neuen Besitzer Microsoft, das US-Unternehmen hat das Studio 2018 gekauft, nicht zu teuer. Nach den zahlreichen Schließungen der letzten Monate hängt wohl jetzt auch über dem Studio von Senua ein großes Schwert, das im Idealfall nicht geschwungen wird. (Alexander Amon, 21.5.2024)