Nach seinem Wahlsieg Mitte Jänner feiert William Lai von der Demokratischen Fortschrittspartei den Erfolg.
AP/Louise Delmotte

Vergangenen Sommer fragten einige Studierende den damaligen Vizepräsidenten von Taiwan, mit welchem Staatsoberhaupt er am liebsten zu Abend essen würde. William Lai antwortete: mit Xi Jinping. Er würde ihm gerne raten, "sich locker zu machen", so der 64-Jährige.

"Locker" ist in den Beziehungen zwischen Taiwan und China in der Tat schon lange keine Kategorie mehr. China droht immer wieder, Taiwan zur Not mit Gewalt ans Festland anzugliedern.

Leicht wird Leichtigkeit nicht

Dass gerade William Lai nun mehr Leichtigkeit in das Machtspiel um die Insel bringen will, könnte schwierig werden. Für Peking bleibt er ein "Separatist" – da kann er so viel beschwichtigen, wie er will. Und doch ist er der Mann, der die kommenden Jahre Taiwans Kurs gegenüber Peking lenken wird. Denn im Jänner war Lai zum Präsidenten gewählt worden, am Montag wurde er in Taipeh angelobt.

Geboren wurde er als eines von sechs Geschwistern im Norden von Taipeh. Sein Vater, ein Bergmann, starb, als Lai noch ein Kleinkind war. Er studierte Medizin in Taiwan und später in Harvard. Nach seiner Rückkehr engagierte er sich in der Demokratischen Fortschrittspartei DPP. Nach Stationen im National- und Lokalparlament (von Tainan) wurde Lai 2010 zum Bürgermeister von Tainan gewählt. Bei seiner Wiederwahl 2014 erreichte er rekordverdächtige 72 Prozent der Stimmen.

Seine Beliebtheit geriet aber ins Wanken, nachdem ihn 2017 Präsidentin Tsai Ing-wen in die Regierung geholt hatte. Als Premierminister verärgerte er Wähler mit einem harschen Arbeitszeitgesetz. Auch homophobe Aussagen im Zusammenhang mit HIV verstörten vor allem die junge, urbane Wählerschaft. Nach einer Wahlschlappe 2018 trat er zurück, ab 2020 wurde er aber Tsais Vize, bevor er nun selbst das höchste Amt antritt.

Dreiste Ansagen in China

Noch bis vor wenigen Jahren nahm sich Lai bezüglich China kaum ein Blatt vor den Mund. In Schanghai sprach er sich 2014 indirekt für die Möglichkeit der Unabhängigkeit Taiwans aus – so dreist hatte noch kein taiwanischer Politiker in Festland-China gesprochen. Doch über die Jahre hat der Pragmatiker seine Rhetorik angepasst. Heute folgt er dem Standard-Parteisprech: dass Taiwan doch längst unabhängig sei und man somit am vielbemühten Status quo nichts ändern müsse.

Dass er den USA aber sehr nahesteht, zeigt sich schon daran, dass er die ehemalige Gesandte in Washington zu seiner Vize gemacht hat. So schaut Lai nach seiner Angelobung nicht nur nach Peking, sondern vor allem auch nach Washington. Denn die USA müssen den delikaten Balanceakt mit China mitspielen – auch nach den US-Wahlen im November. (Anna Sawerthal, 21.5.2024)