Carlos Sainz steuert seinen Boliden durch die Schikane in Imola.
AP/Antonio Calanni

Imola – Die Italiener wollen es nicht wahrhaben. Da ist Lewis Hamilton schon in Imola, trägt aber noch immer kein Ferrari-Rot. "Ich bin ein Mercedes-Pilot", sagt der Formel-1-Rekordweltmeister pflichtbewusst, als er im Fahrerlager auf sein erstes "Heimspiel" für die Scuderia seit der Bekanntgabe des Sensationswechsels angesprochen wird.

Die Tifosi haben Hamilton vielleicht schon vereinnahmt, aber zwischen dem englischen Superstar und seiner Premiere für Ferrari liegen schließlich noch etwas mehr als sechs Monate eines gültigen Vertrags. Eine neue Zeitrechnung hat bei dem Rennstall mit dem Cavallino Rampante, dem aufbäumenden Pferd im Logo, aber längst begonnen.

Der Franzose Frédéric Vasseur ist seit Jänner 2023 Ferrari-Teamchef und arbeitet mit einer aggressiven Personalpolitik an der Renovierung des Traditionsrennstalls. Die Verpflichtung von Hamilton ab dem kommenden Jahr ist da nur das deutlichste Signal, dass die Scuderia wieder ganz nach oben will.

Ferrari immer noch "grün hinter den Ohren"

Als "frisches Blut im System" beschrieb Vasseur in einer Interview-Offensive vor dem Grand Prix der Emilia-Romagna in "La Repubblica" den Megatransfer des siebenmaligen Weltmeisters. "Er ist jemand, der weiß, wie man Druck auf das Team ausübt, um Spitzenleistungen zu erzeugen. Das wird uns einen großen Schub geben."

Ferrari braucht Hamilton als Entwicklungsbeschleuniger. Kimi Räikkönen 2007 ist noch immer der letzte Fahrer-Weltmeister in Rot, der letzte Konstrukteurstitel datiert von 2008. Damals wurde Hamilton im McLaren erstmals Weltmeister, und der Ferrari-Teamchef hieß noch Stefano Domenicali, der heute Boss der gesamten Rennserie ist.

"Wir sind immer noch ein junges Team. Das ist nicht nur eine Frage des Alters, sondern auch eine der gemeinsamen Erfahrung und der gemeinsamen Siege", erläuterte Vasseur den Coup mit Hamilton weiter. "Das bedeutet, dass wir noch ziemlich grün hinter den Ohren sind. Jemanden mit einem so großen Hintergrund und einer so großen Erfahrung zu holen wird sich sicher auswirken." Das muss es auch. Der Druck ist schon jetzt immens.

Leclerc-Ingenieur wechselt inmitten der Saison

Hamilton ist nicht der letzte Baustein in Vasseurs Ferrari-Architektur. Von Mercedes kommen schon zum 1. Oktober außerdem der Belgier Jérôme d'Ambrosio, der künftig Vasseurs rechte Hand sein wird, und der Franzose Loïc Serra, der die Chassis-Entwicklung überwachen wird. "Ich versuche, die Unternehmenskultur dahingehend zu verändern, dass wir überall ein bisschen aggressiver werden", erläuterte Vasseur seinen Ansatz.

Dazu gehört auch der kurzfristige Austausch von Personal, wenn es nötig ist. So bekommt Charles Leclerc mitten in der Saison in Bryan Bozzi einen neuen Renningenieur, der den glücklosen Xavi Marcos ersetzt. Es ist ein gravierender Schritt, wenn man bedenkt, wie eng die Verbindung zwischen Fahrer und Renningenieur ist.

"Wir kämpfen oft um Bruchteile von Hundertsteln. Wenn man das Gefühl hat, dass man etwas verbessern kann, ist es gut, das auch zu tun", begründete Vasseur, einst in der GP2 und Formel 3 Hamiltons Teamchef, seine Entscheidung. Formel-1-Chronisten bemerkten, dass es einen so sensiblen Wechsel bei Ferrari letztmals 2006 bei Felipe Massa gegeben habe.

Vasseur schwärmt von Newey

Vasseur ist mit seinem Umbau noch lange nicht am Ende. Es wird nämlich weiter heftig spekuliert, dass auch Stardesigner Adrian Newey nach seinem angekündigten Abschied von Branchenprimus Red Bull zu Ferrari wechseln könnte. Der Daily Mail zufolge ist der Vertrag mit dem 65-Jährigen sogar schon unterschrieben.

"Adrian ist eine Referenz für die gesamte Formel 1, weil er Erfahrung und Erfolg hat", sagte Vasseur über den Briten, der mit seinen Designs insgesamt zwölf Konstrukteurstitel und 13 Fahrertitel gewann. Newey selbst hat erst vor kurzem sein Bedauern eingeräumt, in seiner Karriere nie für Ferrari gearbeitet zu haben. Hamilton richtete dem Superhirn dann gleich aus, dass er dessen Anstellung bei den Italienern großartig fände.

Im Training am Freitag hat Leclerc dominiert. Der Monegasse fuhr in beiden Trainings auf dem Autodromo Enzo e Dino Ferrari Bestzeit. In der zweiten Session war der Ferrari-Pilot in 1:15,906 Minuten schneller als Oscar Piastri (+0,192) im McLaren und Racing-Bulls-Fahrer Yuki Tsunoda (+0,380). Triple-Weltmeister Max Verstappen hatte im Red Bull hingegen Probleme mit seinem Boliden und musste sich mit den Rängen fünf und sieben begnügen.

Im ersten Training hatte sich der Niederländer zwei Fahrfehler geleistet, die ihn eine schnellere Runde kosteten. "Das erste Training war durchwachsen. Bis auf zwei, drei Kurven in Sektor 2, wo das Auto unvorhersehbar für Max reagiert hat, war das Auto schneller", sagte Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko bei ServusTV.

Auch in der zweiten Einheit fühlte sich Verstappen nicht wohl. "Mein Gott, ich weiß auch nicht. Es ist alles so schwierig dieses Mal", funkte der vierfache Saisonsieger unzufrieden an die Box und klagte über fehlende Balance an seinem Auto. Kurz vor dem Ende der Session fand sich Verstappen erneut kurz im Kiesbett wieder.

Ferrari durfte sich unterdessen über einen geglückten Auftakt beim Heimrennen freuen. Die Scuderia brachte ein großes Update-Paket zum Großen Preis der Emiglia-Romagna, dem ersten Saisonrennen in Europa. Verstappen führt vor dem siebenten Saison-GP am Sonntag (15.00 Uhr/live ServusTV und Sky) in der WM-Wertung mit 33 Punkten Vorsprung auf seinen Red-Bull-Teamkollegen Sergio Perez. Leclerc hat als Dritter einen Rückstand von 38 Zählern. (APA, red, 17.5.2024)