Sam stand im Zentrum eines Rechtsstreits. Ist er krank? Die gesündeste Englische Bulldogge des Landes? Oder beides?

Günther Stadler ist sich sicher, dass sein Hund erfolgreich Sex haben könnte. Die Hinterbeine würden mitmachen. Und sein Sam sei auch nicht so schwer, dass er eine Hündin beim Fortpflanzungsversuch erdrücken würde. Das ist bei Englischen Bulldoggen nicht selbstverständlich. International nutzen viele Züchter künstliche Befruchtung und Kaiserschnitte. Denn die kurzbeinigen, schweren, eben bulligen Hunde schaffen den Akt oft nicht.

The Crown of the Bulldog Sam at Pepolino's, das ist der volle Name des Hundes, sei aber eben besser als andere Bulldoggen, sagt Stadler. Er ist Präsident des Österreichischen Bulldogklubs und überzeugt: Seine ist die gesündeste Englische Bulldogge im Land.

Stempel der Qualzucht

Und dann dieses Urteil. Atemprobleme. Ein verkrüppelter Schweif. Extreme Faltenbildung. Ein verformter Kiefer. Seit April dient The Crown of the Bulldog Sam at Pepolino's als Paradebeispiel für ein Phänomen, das immer heftiger diskutiert wird: Qualzucht. "Diesen Stempel hab ich jetzt drauf", sagt Stadler.

Das kam so: Stadler stellte Sam 2023 bei der Wiener Haustiermesse aus. Das war zunächst einmal ein voller Erfolg, Sam wurde bei der Rasseshow zur besten Englischen Bulldogge Österreichs gekürt.

Gemessen wird das daran, wie genau er dem Rassestandard entspricht: großer Schädel, dicke Lefzen, mäßig langer Hals, muskulöse, kurze Beine, "grimmig im Aussehen, aber liebenswürdig im Wesen" und zig weitere Vorgaben. Die Richter bei der Show gaben Sam Bestnoten, aber ein Tierschutzaktivist zeigte Stadler an. Denn der Hund leide eindeutig an Qualzuchtmerkmalen. Und das Tierschutzgesetz verbietet es, mit solchen Tieren zu werben oder sie auszustellen.

"Er geht mit uns auf den Berg – voll motiviert. Und dann muss ich mir sagen lassen: Mein Hund schafft es nicht in den ersten Stock!" Bulldoggen-Fan Günther Stadler

Die Anzeige hatte Erfolg – aber nur indirekt. Denn Stadler wollte die Behauptung, sein Hund leide, nicht auf sich sitzen lassen. Er zog gegen den Aktivisten vor Gericht: Sein Gegenüber sollte nicht mehr behaupten dürfen, Sam sei das Produkt von Qualzucht. Doch ein Sachverständiger bestätigte, dass Sam schwer Luft bekomme, selbst die Stiegen in den ersten Stock könne er nicht ohne Röcheln absolvieren. Ein Gutachten attestiert Sam unter anderem einen verformten Kiefer und massive Falten im Gesicht, die zu Entzündungen der Haut führen können. Der Richter wies die Klage ab, Qualzuchtaktivisten freuten sich über das Urteil: Erstmals sei gerichtlich bestätigt, dass Englische Bulldoggen von Qualzucht betroffen seien.

Für den Rassefan Stadler ist das alles nicht nachvollziehbar. "Wir sind jedes Jahr im Stubaital, und er geht mit uns auf den Berg – voll motiviert", sagt er und übergibt dem STANDARD einen USB-Stick mit Beweismaterial: Fotos und Videos, die Sam beim Wandern in den Alpen oder im Sommer in Italien oder Griechenland zeigen. "Und dann muss ich mir sagen lassen: Mein Hund schafft nicht einmal den ersten Stock!"

Nacktkatzen und Nackthunden fehlt das Haarkleid, das erschwert ihnen die Temperaturregulierung.
IMAGO/Shotshop

Zuchtstandards "raufgeschraubt"

Stadler erzählt auch von zahlreichen Tests, die er in Tierkliniken hat durchführen lassen. Alle haben Sam beste Gesundheit und keine Atembeschwerden attestiert. Die Zuchtstandards habe der Klub "immer wieder raufgeschraubt".

Während des Gesprächs spielt Sam mit der Fotografin, jagt dem Ball hinterher, er scheint dabei tatsächlich nicht zu bremsen. Natürlich kommt er dabei außer Atem – und das hört man. Laut. "Das Geräusch ist natürlich anders, weil der Luftkanal durch die Schnauze andere Verwirbelungen hat", gibt Stadler zu. "Aber laut zu atmen ist etwas anderes als röcheln." Das sei wie bei den Menschen: Manche schnarchen, andere nicht.

Wenn Walter Hohl aus Baden bei Wien seinem Hund beim Beinahe-Ersticken zuschaut, dann tut ihm nicht nur der Hund leid. "Ich hab auch einen Zorn auf die Menschen, die ihm das angetan haben."

Verliebt in eine Bulldogge

Hohl und seine Frau hatten 30 Jahre lang Mischlingshunde aus dem Tierheim, bis ihm die Französische Bulldogge eines Freundes bei einem Abendessen nicht von der Seite wich. Der Unternehmer verliebte sich in die Rasse, die kleinen muskulösen Hunde mit der platten Nase und dem lieben Blick imponierten ihm. Wenig später zog Vigo ein.

"Die ersten Monate waren unkompliziert, und wir waren happy", erzählt Hohl. Aber bei einem Spaziergang sei Vigo plötzlich nach Luft ringend kollabiert. Hohl ist sofort zum Tierarzt gefahren, Vigo wurde operiert: Das Gaumensegel wurde entfernt, die Nasenlöcher wurden geweitet, damit ein bisschen mehr Luft in den kleinen Hundekörper strömen kann.

Doch Hohl weiß: Sein Hund leidet nach wie vor jeden Tag. "Versuchen Sie, durch einen Strohhalm atmend Stufen zu steigen oder durch den Sommer zu kommen. So geht's diesen Hunden 24 Stunden am Tag 365 Tage im Jahr."

Hund Xoloitzcuintle
"Versuchen Sie, durch einen Strohhalm atmend Stufen zu steigen. So geht’s diesen Hunden 24 Stunden am Tag." Qualzuchtaktivist Walter Hohl
IMAGO/Panthermedia

Warnung an der Wand

Bald nach der Operation begann Hohl zu recherchieren, fand Studien und Berichte von Tierärztinnen, die vor kurzschnäuzigen Rassen warnen. Eine oft erzählte Anekdote: Während die meisten Hunde nach einer Operation versuchen, den Beatmungsschlauch aus dem Hals zu bekommen, schauen Französische Bulldoggen oft erleichtert aus – weil sie dadurch zum ersten Mal in ihrem Leben frei atmen können.

Wenn er seinem Hund schon nicht zu einem gesunden Leben verhelfen kann, will Hohl zumindest dafür sorgen, dass es anderen Menschen und ihren Hunden nicht genauso geht. In Zusammenarbeit mit der Berliner Tierärztekammer startete er eine Kampagne gegen Qualzucht. Protagonist: Vigo. "Ihr findet uns süß, aber ihr wisst nicht, wie wir leiden!", steht auf den Sujets unter Vigos faltigem Gesicht. Hohl schaltete Werbung in Hundemagazinen, schickte Plakate an Tierarztpraxen, ließ Vigos Warnung sogar auf eine Hauswand projizieren.

"Atemnot ist für die Rasse normal"

In seine Bemühungen der vergangenen Jahre steckte der Unternehmer aus Niederösterreich viel Geld. Auch für die zahlreichen Anzeigen, die er gegen Bulldoggen-Liebhaber Günther Stadler eingebracht hat.

Es war Hohl, der dem Präsidenten des Bulldogklubs einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz vorgeworfen hat, weil er Sam bei Hundeshows ausgestellt hat.

Und nicht nur ihm. Hohl überzieht Aussteller qualzuchtverdächtiger Rassen systematisch mit Anzeigen. Sein Ziel ist der Beweis, dass diese Rassen so, wie sie jetzt gezüchtet werden, krank sind. "Der Sam schaut für eine Englische Bulldogge noch relativ gut aus", gesteht Hohl. "Aber die kurze Schnauze hat er halt. Dass er Atemnot hat, ist für die Rasse einfach normal." Diese Frage ist der Kern der Diskussion: Kann selbst der gesündeste Vertreter einer Hunderasse nach Jahrzehnten menschlicher Zuchtbemühungen krank sein?

Chinchilla Persian Domestic Cat, Adult sitting on Grass Chinchilla Persian Domestic Cat, Adult sitting on Grass, Credit:
Möpse und Perserkatzen haben eingedrückte Nasen und bekommen oft wenig Luft.
IMAGO/Avalon.red

Gewollte Lücke

Schon jetzt ist Qualzucht verboten. Seit 2008 bestimmt das Tierschutzgesetz: Wer Tiere züchtet, bei denen bestimmte Leiden vorhersehbar sind, betreibt Tierquälerei. Dazu zählen zum Beispiel Atemnot, Hautentzündungen, Haarlosigkeit oder Fehlbildungen des Gebisses. Betroffen sind neben Hunden vor allem Katzen: Auch sie leiden oft unter zu kurzen Nasen oder Nacktheit.

Doch es gibt eine gewollte Lücke. Wenn Züchter Bemühungen nachweisen können, die Leidensmerkmale wegzuzüchten, verstoßen sie nicht gegen das Gesetz. Diese Ausnahme war als Übergangsregelung bis 2018 gedacht, doch sie wurde vor ihrem Auslaufen verlängert. Ohne Enddatum.

Reform in Arbeit

Tierschutzminister Johannes Rauch von den Grünen nimmt einen weiteren Anlauf. Er ließ ein verschärftes Qualzuchtverbot ausarbeiten: Die Ausnahme für Züchterinnen wäre damit aufgehoben. Sie würden sich strafbar machen, wenn sie Tiere mit Beeinträchtigungen weiterzüchteten. Auch der Import, Erwerb, die Vermittlung und Weitergabe von betroffenen Tieren sollen künftig verboten sein. Natürlich würden aber bestehenden Halterinnen keine Tiere abgenommen, betont man im Ministerium – und auch wer sich einen Hund aus dem Tierheim hole, habe nichts zu befürchten.

Eine neue Kommission soll feststellen, was als Qualzucht gilt und mit welchen Tieren gezüchtet werden darf. Denn nicht nur Bulldoggen und Möpse haben Probleme, bei vielen Rassen treten bestimmte Krankheiten verstärkt auf. Deutsche Schäferhunde haben oft Hüftbeschwerden, Shar-Peis wegen ihrer Falten vielfach Entzündungen, Dackel sind anfällig für Bandscheibenvorfälle.

Ziel des Gesetzes ist es, gesündere Tiere zu züchten. Und: "Rassen, bei denen anzunehmen ist, dass keine Tiere ohne Qualzuchtsymptome mehr gezüchtet werden können, können auf Empfehlung der Kommission von der weiteren Zucht ausgeschlossen werden." Das könnte – je nach Entscheidung der Kommission – das Ende der Zucht von Bulldoggen, Möpsen sowie Nackthunden und Nacktkatzen bedeuten.

Treuherzig schaut der Mops in die Kamera. Das Leiden sieht man ihnen oft nicht an.
IMAGO/Pond5 Images

Reform will Kommission

Die Grünen wollen die Reform im Juni beschließen. Sonst würde sie wohl versanden, im Herbst wird gewählt. Ob das mit dem Koalitionspartner machbar ist? Die ÖVP lässt sich nicht in die Karten schauen: "Wir sind bestrebt, mehr Tierwohl zu erreichen. Die Verhandlungen dazu laufen", heißt es aus dem türkisen Klub.

Philipp Ita spricht sich gegen "Rassebashing" aus. "Zu sagen, jedes Tier einer Rasse ist krank, ist wissenschaftlich nicht fundiert", sagt der Präsident des Österreichischen Kynologenverbands (ÖKV), des Dachverbands der Hundevereine. Dazu zählen auch viele Zuchtklubs. Möpse und Bulldoggen hätten ihre Berechtigung, sagt Ita. Natürlich gebe es Tiere mit Leidenssymptomen. Aber "diese Tiere kommen nicht in die Zucht".

Doch laut Ita stammen nur zehn Prozent aller in Österreich gezüchteten Hunde aus einer ÖKV-Zucht, in der jede Rasse ihre eigene Zuchtordnung hat. Das hätten "illegale Vermehrer nicht, die züchten auf Teufel komm raus". Ita hätte sich ein entschlosseneres Vorgehen gegen illegalen Welpenhandel im Ausland gewünscht. Die Qualzuchtkommission begrüßt er. Die Hoffnung des Hundeverbands: dass man Qualzucht dadurch überhaupt einmal definieren werde.

Die ausgestorbene Bulldogge

Ob das neue Tierschutzgesetz tatsächlich kommt oder nicht, macht für Günther Stadler fast keinen Unterschied mehr. "In Österreich traut sich mittlerweile aufgrund der Tierschützer und der Vorgaben niemand mehr, Englische Bulldoggen zu züchten", sagt er. "Die Englische Bulldogge in Österreich ist ausgestorben."

Französische Bulldoggen wie die, die Walter Hohl hat, boomen hingegen. Die kleinen, freundlichen Hunde sind eine Moderasse. Hohl selbst sagt: Sollte eine Qualzuchtkommission zu dem Schluss kommen, dass einige Rassen "nicht gesundzuzüchten sind, dann ist das zu akzeptieren".

Der Rechtsstreit mit Stadler ist bis auf weiteres beendet. Sein Besitzer darf Sam nicht mehr ausstellen, er ließ ihm auch einen Kastrationschip implantieren, Zucht ausgeschlossen. Stadler überlegt nun, wie er seinen Ruf und jenen des Hundes reparieren kann.

Hohl sagt, er wolle das System verändern und Tierleid verhindern – mit Stadler persönlich habe er ja kein Problem: Im Grunde sei er ja wie Hohl selbst nur "ein Kerl, der seinen Hund über alles liebt". (Sebastian Fellner, 18.5.2024)