Protestierende halten Plakate für Freilassung Julian Assanges hoch
Vor dem Gericht fanden sich viele Unterstützer von Assange ein.
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Es ist ein Teilsieg für Julian Assange: Der Wikileaks-Gründer darf erneut gerichtlich gegen seine Auslieferung an die USA vorgehen. Der Londoner High Court urteilte am Montag, dass die Garantien der amerikanischen Justizbehörden nicht ausreichen, um eine sofortige Überstellung zu rechtfertigen. Das britische Gericht hatte "glaubwürdige Versicherungen" gefordert, dass Assange bei einem Verfahren in den USA nicht die Todesstrafe droht und dass er sich auf die Redefreiheit berufen darf. Da die US-Anwälte Letzteres nicht garantieren konnten, eröffnet sich nun für den gebürtigen Australier die Möglichkeit, vor britischen Gerichten seine Auslieferung abwenden zu können.

Der Fall hatte für für großes öffentliches Interesse gesorgt. Auf der Straße vor dem Londoner High Court gab es am Montagmorgen kaum ein Durchkommen. Schon zwei Stunden bevor die Anhörung begann, drängelten sich die Anhänger von Julian Assange vor dem Eingang der imposanten Königlichen Gerichtshöfe. Ein Demonstrant hatte sich in eine riesige rote Flagge mit der Aufschrift "Free Assange" gehüllt. Ein anderer hielt ein Plakat mit dem Konterfei des Wikileaks-Gründers in die Höhe. Sprechchöre forderten lautstark "Befreit Julian Assange jetzt!". Eine junge Frau schwenkte eine Fahne mit der Bitte "Lass ihn gehen, Joe" – eine Aufforderung an den US-Präsidenten Joe Biden, das Auslieferungsbegehren zu lassen.

Bisher keine Anklagen gegen US-Bürger

Die Anhörung war die jüngste Etappe in einem Justizmarathon, der vor fast 14 Jahren seinen Anfang nahm. 2010 hatte die Enthüllungsplattform Wikileaks in Zusammenarbeit mit Medien wie Spiegel, New York Times und Guardian rund eine Dreiviertelmillion geheimer Dokumente des US-Außen- und Verteidigungsministeriums veröffentlicht. Diese Flut an kompromittierendem Material brachte Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen durch US-Streitkräfte ans Licht der Weltöffentlichkeit. Berüchtigt wurde ein Video aus dem Cockpit eines Apache-Helikopters. Es zeigt, wie die Piloten das Feuer auf einen Minibus in Bagdad eröffnen. In dem Video, von Assange "Collateral Murder" betitelt, ist zu sehen, wie rund ein Dutzend unbewaffnete Zivilisten und Journalisten niedergeschossen und somit zu Opfern eines offensichtlichen Kriegsverbrechens wurden.

Der Vater und die Frau von Julian Assange waren bei Gericht anwesend.
AP/Elizabeth Cook

Aufgrund des Wikileaks-Materials wurde bisher kein einziger US-Bürger angeklagt. Wohl aber Assange. Die USA werfen ihm die "unbefugte Enthüllung von Verteidigungsinformationen" vor. Er soll Whistleblowerin Chelsea Manning zum Computerhacking angestiftet und dabei Beihilfe geleistet haben. Durch die unredigierte Veröffentlichung von Klarnamen in den Geheimdokumenten habe er Menschenleben in Gefahr gebracht. Assange werden unter dem aus dem Jahre 1917 stammenden Espionage Act 17 Fälle von Spionage vorgeworfen und ein Fall von Computerhacking. Es wäre das erste Mal, dass dieses Gesetz gegen einen Publizisten angewandt wird. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft.

"Nichtgarantie"

In dem Kampf, seine Überstellung an die USA zu verhindern, hat Assange den britischen Rechtsweg fast vollständig ausgeschöpft. Dieser Termin war seine letzte Chance. Im März hatte das Gericht seine Auslieferung vorerst ausgesetzt und von der amerikanischen Seite "glaubwürdige Versicherungen" für den Rechtsprozess in den USA gefordert. Zum einen sollte sich der 52-Jährige auf den ersten Verfassungszusatz stützen dürfen, der die freie Rede schützt. Und zum anderen sollte der Vorwurf der Spionage, der Basis des Auslieferungsbegehrens ist, nicht erweitert werden, sodass dem gebürtigen Australier womöglich die Todesstrafe drohen könnte. Am Montag wurde vor Gericht verhandelt, ob die amerikanischen Garantien ausreichen. Zwar hatten die Anwälte des US-Justizministeriums Mitte April klargestellt, dass die Todesstrafe nicht in Betracht komme. Aber was die Redefreiheit betrifft, wurde lediglich versichert, dass Assange zwar versuchen dürfe, sich auf den ersten Verfassungszusatz zu berufen, aber dass dessen "Anwendbarkeit ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der US-Gerichte" fallen würde.

Das sei eine "Nichtgarantie", urteilte Stella Assange, die Ehefrau des Australiers, und auch dessen Rechtsanwalt Edward Fitzgerald erklärte am Montag vor dem High Court: "Wir betrachten dies als eine unverhohlen ungenügende Zusicherung." Das Richterduo sah das ähnlich. Als die beiden Richter nach einer zehnminütigen Unterbrechung in den Gerichtssaal zurückkehrten, erklärten sie, dass Julian Assange gegen seine Auslieferung Einspruch einlegen kann. Eine Entscheidung, ob er auf Kaution freigelassen wird, soll noch in dieser Woche erfolgen. (Jochen Wittmann aus London, 20.5.2024)