Die ukrainische Armee benötigt mehr Soldaten an der Front. Ende des Vorjahres sprach Präsident Wolodymyr Selenskyj von rund 450.000 bis 500.000 Männern, die der Armee fehlten. Viele von ihnen leben seit Kriegsausbruch im Ausland. Allein in Deutschland sind mehr als 250.000 ukrainische Männer im wehrfähigen Alter gemeldet. In Österreich haben sich seit Jänner laut Eurostat-Daten und Erhebungen der Statistik Austria zwischen 13.700 und 14.500 Männer aus der Ukraine im Alter zwischen 18 und 60 Jahren aufgehalten.

Die Ukraine erhöht den Druck auf Männer im wehrfähigen Alter, die im Ausland wohnen.
Die Ukraine benötigt dringend neue Soldaten an der Front.
IMAGO/Madeleine Kelly

Die Frankfurter Allgemeine berichtete kürzlich von ersten Fällen, dass Pässe ukrainischer Männer nicht mehr ausgestellt werden, zumal die Konsulardienste für ukrainische Männer im wehrfähigen Alter eingestellt worden seien. Tatsächlich hatte es in einer von der Ukraine veröffentlichten Verordnung geheißen, dass der Versand von Pässen an diplomatische Vertretungen der Ukraine im Ausland "nicht mehr praktiziert" werde. Somit können ukrainische Männer im wehrfähigen Alter ihre Reisepässe künftig nur noch im Land selbst erhalten. Wer also einen Pass beantragt, muss dafür seit 24. April in die Ukraine zurückkehren.

Nach ersten Protesten von Ukrainern in Polen wurde zumindest versichert, dass sämtliche Anträge auf Reisepapiere, die vor dem 23. April eingereicht wurden, noch im Ausland bearbeitet würden. Die Maßnahme ist Teil der Bemühungen der ukrainischen Regierung, Männer zur Rückkehr in die Ukraine zu bewegen.

"Pflichten gegenüber dem Vaterland"

Außenminister Dmytro Kuleba schrieb dazu auf X in deutlichem Ton: "Unser Land befindet sich im Krieg. Wenn jemand glaubt, dass jemand weit weg an der Front kämpft und sein Leben für diesen Staat riskiert, während sich jemand anderes im Ausland aufhält und Leistungen von diesem Staat erhält, dann funktioniert das nicht. Ein Aufenthalt im Ausland entbindet einen Bürger nicht von seinen Pflichten gegenüber dem Vaterland."

Die Situation der ukrainischen Männer im Ausland ist zweifelsohne überaus sensibel: In ihrem Heimatland werden sie als Fahnenflüchtige gehandelt, weil sie sich in Sicherheit begeben haben, während ihre Altersgenossen an der Front stehen oder ihr Leben ließen. Zum anderen sind viele mit ihren Familien vor dem Krieg geflüchtet, schlicht um zu überleben. Sie können auch auf ihr Recht, den Kriegsdienst zu verweigern, verweisen.

Österreichische Politik hält sich eher zurück

Wie geht nun die Politik im europäischen Ausland mit dieser sehr heiklen Situation um? Aus Polen oder baltischen Staaten sind Regierungsstimmen zu hören, die sich durchaus eine Auslieferung von ukrainischen Männern – sollte die Ukraine dies fordern – vorstellen können. In Deutschland versucht die dortige Politik das Thema erst gar nicht groß aufkommen zu lassen. Auch Österreich hält sich eher zurück. Denn noch gibt es laut Auskunft der Caritas keine Betreuungsfälle in dieser Causa. Aus dem österreichischen Innenministerium heißt es lediglich, "die Lage im Hinblick auf Auslieferung ist aktuell so, dass es nach geltendem Recht nicht möglich ist, wehrdienstfähige ukrainische Männer aus Österreich in die Ukraine zu bringen".

Bloß auf die gegenwärtige Rechtssituation verweist auch die SPÖ. Ukrainerinnen und Ukrainer in Österreich seien "Kriegsvertriebene laut EU-Recht und österreichischem Recht. Es gibt eine gesetzliche Grundlage für ihren rechtmäßigen Aufenthalt, aber keine für ihre Ausweisung", heißt es aus dem roten Parlamentsklub.

Differenzierter sieht es NEOS-Generalsekretär und -Verteidigungssprecher Douglas Hoyos: "EU-rechtlich gesehen haben alle Ukrainerinnen und Ukrainer unabhängig von ihrem Geschlecht einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel, sobald sie in ein EU-Land einreisen", sagt Douglas Hoyos mit Verweis auf die 'Temporary Protection Directive' der EU. Solange diese Aufenthaltstitel gültig seien, werde es daher wohl "keine Außerlandesbringungen" geben, sagt Hoyos.

Grüne unterstützen Wehrdienstverweigerer

Mit einer klaren Positionierung für Wehrdienstverweigerer reagieren die Grünen auf STANDARD-Anfrage: "In einer liberalen Demokratie muss es auch das Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen geben. Es ist eine Entscheidung, die sich gerade in der Ukraine niemand leichtmacht. Viele Menschen, die hier sind, arbeiten tagtäglich daran, die Ukraine, so gut sie können, zu unterstützen. Klar ist auch, dass Aufenthaltstitel auch ausgestellt oder verlängert werden können, wenn es für die Betroffenen nicht möglich ist, einen gültigen Reisepass zu erlangen – das ist geltende Gesetzeslage und Praxis", heißt es im Grünen-Statement. (Walter Müller, 7.6.2024)