AC/DC 1980. Angus Young in kurzen Hosen und weißen Socken. Bis heute hat sich das nicht geändert.
IMAGO/Avalon.red

Im Jahr 1974 war Lou Reed in Australien auf Tour und schwer auf Droge. Der frühere The-Velvet-Underground-Frontmann trug damals gelb-blond gefärbte Haare, was zu den ungesund verfärbten Pupillen hinter seiner Sonnenbrille passte. Die Brille soll er nie abgenommen haben, das Licht, die Leute, Sie verstehen.

An die Tour sollte er später nicht mehr Erinnerung haben als an die Zeit im Bauch seiner Mutter. Nur einmal soll Reed die Brille abgenommen und sich die Augen gerieben haben. Das war, als Angus Young an ihm vorbei in Richtung Bühne stakste, die Gitarre im Anschlag – in einer Schuluniform. Im Vorprogramm von Lou Reed spielte die damals kaum bekannte Band AC/DC.

50 Jahre später betritt Angus Young die Bühne immer noch in der Schuluniform, da ist er eigen, selbst wenn er längst als Schuldirektor hätte in Pension gehen können. Am 23. und 26. Juni wird er mit AC/DC die Statik des Wiener Happel-Stadions prüfen, als Blickfang einer der nachhaltigsten Hard-Rock-Bands der Welt. Süße 69 Jahre ist er jung. Forever Young! Forever kurze Hosen!

Besseres Wetter

Es gibt wenig Vergleichbares, das der Wirkmacht der australischen Band nahekommt. Die Rolling Stones drängen sich auf, die sind noch länger dabei, noch erfolgreicher, aber die haben mit Mick Jagger einen ausgewiesenen Geschäftsmann in der Band, AC/DC nicht. Die Brüder Angus und Malcolm Young und ihre Mitstreiter besuchten auch keine Kunstschule, sie entstammen dem britischen Proletariat der Nachkriegszeit. Geködert mit Jobs, Wohnung und der Aussicht auf besseres Wetter wanderte ihre Familie 1963 von Schottland nach Australien aus. Doch anstatt wie die Eltern zu malochen, pfiffen Malcolm und Angus auf das Joch des Berufs und folgten stattdessen ihrer Berufung: der Musik.

Angus Young vor einigen Tagen in Amsterdam.
EPA/Marcel Krijgsman

Mit einer am Anschlag gespielten Version des Rock 'n' Roll von Altvorderen wie Chuck Berry oder Little Richard wurden sie in den 1970er innerhalb weniger Jahre zu Superstars. Aus engen Jeans und Achselzwicker-T-Shirts blickten sie der Welt angriffslustig entgegen: Wos is, G'schissener? Auf Englisch halt. Und jeder Tunichtgut mit Moped erkannte: Das sind Geistesverwandte – und donnerte mit 50 km/h die Straße runter Richtung Hölle.

Mittlerweile haben sie wie die Stones mindestens drei Generationen von Fans mit ihrer Musik überzeugt. Die Young-Brüder haben die Musik geschrieben, der ein paar Jahre ältere Sänger Bon Scott hat dazu eine Flasche Whiskey verinnerlicht und die Texte verfasst. AC/DC haben über 200 Millionen Platten verkauft, allein ihr 1980 erschienenes Back in Black – nicht verwandt mit dem gleichnamigen Werk von Amy Winehouse – ist 50 Millionen Mal über die Budel gegangen.

AC/DC – Highway to Hell (Official Video)
acdcVEVO

AC/DC haben nie aufgehört, Alben zu veröffentlichen, nie aufgehört zu touren. Nicht 1980, als Scott mit nur 33 Jahren an seinem ausschweifenden Lebensstil vorzeitig zugrunde ging, nicht als Angus' Bruder Malcolm 2014 krankheitsbedingt aufhörte und 2017 starb: "Malcolm, job well done", postete Angus knapp – und machte weiter. Und auch nicht, als Scotts Nachfolger Brian Johnson vor ein paar Jahren Probleme mit dem Gehör bekam. Stattdessen engagierte die Band einen gewissen Axl Rose als Plombe für das Loch.

AC/DC 1980. Kein Firlefanz, stattdessen schnörkelloser Rock 'n' Roll am Anschlag.
IMAGO/Avalon.red

AC/DC sind Lebensbegleiter. Sie stehen für ewige Renitenz, für eine durch keine technische Blödheit korrumpierte Form von hartem Rock. Während andere Bands ihrer Ära die Zäsur des Punk nicht überlebten, wurde AC/DC mit ihrer wesensverwandten, schnörkellosen Spielart parallel dazu eine Macht, ihr Logo zum Symbol der globalen Gemeinde von "Let There Be Rock". Sie führen ein Leben nach dem Reinheitsgebot von Bass, Gitarren und Schlagzeug, keine Tasteninstrumente, Streicher oder anderer schöngeistiger Unfug. AC/DC sind immer "High Voltage", nie unplugged.

Bis 2012 waren sie nicht einmal auf Streaming-Plattformen vertreten. Erstens, weil sie es sich leisten konnten. Scheiß auf die paar Groschen. Zweitens, weil sie ihre klassischen Alben nicht in einzelne Songs filetiert sehen wollten. Bei der Entscheidung, es schlussendlich doch zu tun, wirkten sie sentimentaler, als wenn es nach Todesfällen darum ging, ob die Band weiter bestehen sollte oder nicht. Doch da mögen die Haare längst dünn und weiß sein, AC/DC machen weiter. Wie die Stones.

Erneut beschwören

Zum 50-Jahr-Jubiläum der Band – obwohl sie eigentlich 1973 gegründet wurde, wurscht – sind heuer in einer ersten Tranche die ersten acht Alben neu aufgelegt worden. Wie bei einem Hochzeitsjubiläum in goldenes Vinyl gepresst. Das gehört sich so. Der Rest des 17 Studio- und drei Live-Alben umfassenden Gesamtwerks folgt Ende September in ebenfalls güldener Form. Die Dinger verkaufen sich wie geschnitten Brot, was die Frage aufwirft: Warum kaufen sich Fans ganze Kataloge von Alben immer wieder? Von Werken, die sie oft seit Jahrzehnten schon besitzen?

Eine These lautet: Sie wollen damit jenen magischen Moment erneut beschwören, den sie beim ersten Kennenlernen empfunden haben. Der Gesundheits- und Klinische Psychologe Oliver Scheibenbogen sagt dazu: "Aus psychoanalytischer Sicht – die Theorie stammt von Donald W. Winnicott – kann es sich in Anlehnung an die frühe Mutter-Kind-Beziehung um ein 'Übergangsobjekt' handeln. Die vergangenen schönen Zeiten von vor 50 Jahren sind nun einmal vorbei und können nicht zurückgeholt werden. Damit dies jedoch zumindest in der Erinnerung und damit auf Gefühlsebene funktionieren kann, bedienen wir uns Übergangsobjekten, die uns helfen, die Vergangenheit wieder spürbar zu machen.“

AC/DC – Thunderstruck (Official Video)
acdcVEVO

Um dieser Vergangenheit gerecht zu werden, drängt sich das Format LP nachgerade auf. Scheibenbogen: "AC/DC, Wechsel- und Gleichstrom, schreit förmlich nach analoger Wiedergabetechnik, ist im Namen schon Programm. Digitaltechnik gilt als künstlich, ist ohne Qualitätsverlust unendlich reproduzierbar. Im Unterschied dazu ist Vinyl echt und authentisch."

Da fühlt sich der Pudel wohl, lediglich Proto-Punk Johnny Thunders hält dagegen: "You can’t put your arms around a memory", hat der gesungen. Doch Fans lassen sich davon nicht abschrecken.

Selbst der Besuch eines Konzerts einer so lange dienenden Band erscheint wie der Versuch, eine Erinnerung umarmen zu wollen. Und zumindest für zwei Stunden funktioniert das, wenn Songs wie Back in Black, Thunderstruck, T.N.T. oder Hells Bells Kurzschlüsse in die eigenen Biografie herstellen, während Angus oben auf der Bühne in weißen Socken und kurzen Hosen den Duck Walk gibt. Damit ehrt er Chuck Berry und stimuliert gleichzeitig den Herzschlag dieser Band und seiner Fans: Rock 'n' Roll. (Karl Fluch, 8.6.2024)