Wien - Was sich in Marc Schlegels Roadmovie "Sommer auf drei Rädern" zunächst wie eine weitere Coming-of-Age-Story präsentiert, entpuppt sich im Verlauf als vielseitige Auseinandersetzung mit marginalisierten Gruppen und Isolation: Drei Außenseiter machen sich mit einem Mopedauto, einem dreiviertel Kilo Koks und einem Liebesgeständnis im Gepäck auf die Reise von Stuttgart an den Bodensee. Am Montag (3. Juni) macht das österreichisch-deutsche Ensemble um 20.15 Uhr in ORF 1 Halt.

Daniel Rodic (Philipp), Emma Floßmann (Kim) und Jakob Schmidt (Flake).
Daniel Rodic (Philipp), Emma Floßmann (Kim) und Jakob Schmidt (Flake).
Foto: ORF/Giganten Film/Hugo Lenhardt

Zu Beginn lernen wir den schüchternen Flake (Jakob Schmidt) kennen, der sein einsames Dasein als "Incel-Wichser" (Bezeichnung für unfreiwillig enthaltsame Männer) satt hat und seinem Schwarm Leonie auf einer Party seine Gefühle gestehen will. Statt eines Kusses erntet er jedoch eine ordentliche Portion Sozialstunden, während Leonie auf Sommerurlaub an den Bodensee fährt. So landet Flake bei "Essen auf Rädern", einer Organisation, die "200 Omas und Behinderte mit Essen zu versorgen hat", wie die österreichische Sozialarbeiterin Nickel, überzeugend dargestellt von Susi Stach, ihre Institution mit dem Charme einer Wiener Grantlerin vorstellt. Ebenfalls zur Mithilfe bei "Essen auf Rädern" verdonnert ist Drogendealerin Kim (Emma Floßmann), die Flakes nach wie vor ausständiges Liebesgeständnis als Vorwand für einen Kokstransport nach Bregenz nützt.

Bewusster Verzicht auf Samthandschuhe

Als dann auch noch ihr Essensempfänger Philipp (Daniel Rodic), ein in Isolation lebender Rollstuhlfahrer, seine Chance wittert, auf der Ladefläche der Piaggio Ape gratis an den Bodensee transportiert zu werden, ist das Trio aus jungen Erwachsenen komplett. Ein Grüppchen, in dem jeder und jede eine Minderheit repräsentiert und in einer aus individuellen Gründen herausfordernden Findungsphase steckt. Denn während sich Kim von ihrem Freund unter Druck setzen lässt und sich so den Regelwerken der Gesellschaft entzieht, muss sich Philipp damit auseinandersetzen, dass seit seinem Unfall "nichts mehr normal ist".

Schnell fällt auf: Die Außenseiter pflegen untereinander einen unsanften und unkomplizierten Umgang. Sie beleidigen einander - mal im Spaß, mal im Ernst -, sie nehmen einander auf den Arm, wie es unter jungen Leuten eben üblich ist. Schlegels bewusster Verzicht auf Samthandschuhe - auch im Umgang mit Philipps besonderen Bedürfnissen - eröffnet ein für die Zusehenden teils irritierendes, teils inspirierendes Spannungsfeld, in dem die drei auf ihre Weise eine Form der Gleichbehandlung leben. Ob eine Gesellschaft, in der der diskriminierungsfreie Umgang mit Behinderungen nach wie vor einen Work in Progress darstellt, bereit ist, über Philips gezielte Ausnutzung seiner Opferrolle sowie Kommentare auf Kosten seiner Einschränkung zu lachen, darf hinterfragt werden.

Trip an den Bodensee im Mopedauto in
Trip an den Bodensee im Mopedauto in "Sommer auf drei Rädern".
Foto: ORF/Giganten Film/Hugo Lenhardt

Koks, Satire, unvorhersehbare Wendungen

Fest steht jedenfalls: In der Komödie "Sommer auf drei Rädern" gibt es mit Sicherheit einiges zu lachen: Die Koproduktion von SWR, ARTE und ORF hat sowohl für das deutsche als auch für das österreichische Publikum vorgesorgt. Trockener Humor, groteske Details und Begegnungen sowie - nicht zuletzt - teils unvorhersehbare Wendungen und Untermalung mit flotter Musik unterhalten in den knapp eineinhalb Stunden ohne ein markantes Abfallen des Spannungsbogens. Die sprachliche Gegenüberstellung innerhalb des gemischten Ensembles hebt die österreichische Eigenart hervor, satirische Elemente und Referenzen auf österreichische Schmankerl bieten dem ORF-Zuseher das Tüpfelchen auf dem I. Gewisse Anspielungen dürfen wohl einfach nicht fehlen, wenn es um Koks und Österreich geht.

Inhaltlich und stilistisch erinnert Schlegels bereits im Sommer 2021 gedrehtes Roadmovie an "Vincent will Meer" und "Ziemlich beste Freunde". Die Thematik ist also keinesfalls neu. Dennoch bietet "Sommer auf drei Rädern" neben einer sehenswerten Perspektive auf den Umgang mit Menschen abseits des Mainstreams vor allem eines: einen unterhaltsamen Abend für ein gemischtes Zielpublikum. Bedenkt man die Vielschichtigkeit der einzelnen Heldenreisen und die Anzahl an amüsanten Details, ist die TV-Komödie eigentlich zu schade, um sich neben dem Abendessen berieseln zu lassen. Einen Familienabend auf der Couch ist sie allemal wert. (APA, 3.6.2024)