Der Arbeitsmarkt liegt jungen Menschen, die gerade in die Berufswelt einsteigen, zu Füßen: Immer wieder fallen Sätze wie diese in Wirtschaft und Gesellschaft, wenn es um den Fachkräfte- beziehungsweise überhaupt den Arbeitskräftemangel geht. Es gebe zahlreiche unbesetzte Stellen, genügend Stunden zu füllen und Jobs zu vergeben. Aber die Jungen seien zu anspruchsvoll, zu fordernd und einfach nicht mehr bereit, sich für die Arbeit richtig reinzuhängen. Auch Meinungen wie diese hört man immer wieder in diversen Diskussionen über jüngere Generationen im Berufsleben.

Freilich gibt es wieder unzählige Umfragen, die diese Annahmen widerlegen wollen. Trotzdem aber wackelt der Ruf der Vollzeitstelle häufig gerade unter jüngeren Personen. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Jobplattform Xing unter 3200 volljährigen Erwerbstätigen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist keine andere Generation so sehr davon überzeugt, dass die Viertagewoche in den nächsten fünf Jahren umgesetzt wird, wie die Generation Z (Menschen mit den Geburtsjahren zwischen 1995 und 2010).

Die Gründe, warum sich gerade jüngere Berufstätige von einer 40-Stunde-Woche verabschieden wollen, sind vielfältig. Eine Studie der Uni Wien zum Arbeitsethos junger Leute zeigt zwar, dass sich die Wünsche an das Arbeitsleben zwischen den Generationen gar nicht so stark unterscheiden wie häufig gedacht. Aber nachkommende Generationen wollen häufig nicht wie ihre Babyboomer-Eltern in ein Burnout schlittern oder sich nur noch durch Arbeit definieren, erklärt der Autor der Studie und Professor für Wirtschaftssoziologie, Bernhard Kittel.

Junge Frau lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück beim Arbeiten vor dem Computer.
Wie geht es jungen Menschen mit dem Umstieg von der Ausbildung in die Vollzeitbeschäftigung? Wir haben nachgefragt.
IMAGO/Zoonar.com/Yuri Arcurs peo

Veränderungen im Leben

Doch die Burnout-Prophylaxe ist natürlich nicht das Einzige, was eine Vollzeitwoche bei vielen jungen Menschen unbeliebt macht. Wie meistern sie überhaupt den Umstieg von der Ausbildung zum Arbeitsleben? Was macht es mit jungen Menschen heute, wenn sie eine Vollzeitstelle antreten? Wie verändert sich ihr Leben, und wie gehen sie damit um?

Der Übergang ins Arbeitsleben ändert immerhin bei vielen das Leben völlig, je nachdem, wie sie zuvor ihren Alltag bestritten haben. An der Universität ist es meist noch flexibler: Es drohen keine Konsequenzen, wenn man einmal nicht zur Vorlesung erscheint, die Freizeit muss man gar nicht großartig planen, Zeit findet man auch zwischen Seminaren und Kursen. Praktika bringen zwar Praxiserfahrung, sind aber meist nur von kurzer Dauer. In das echte Karriereleben springen die meisten wie ins kalte Wasser, ohne viele Kenntnisse darüber, was wirklich auf sie wartet. Und das ist oft: viel weniger Zeit für Freunde und Unternehmungen – eine völlig andere Routine als noch in den Uni- oder Ausbildungsjahren.

DER STANDARD hat dazu einen Aufruf in den sozialen Medien gestartet. Von zahlreichen Rückmeldungen berichten sechs Menschen im Alter zwischen 20 und 35 Jahren genauer darüber, wie sie den Einstieg in einen 40-Stunden-Job erlebt haben und wie es ihnen bei den Veränderungen im Alltag erging.

In den Gesprächen erzählen die Berufseinsteiger oder bereits ein paar Jahre Berufserfahrung hinter sich Habenden, wie sie teilweise ihr Sozialleben auf null zurückschrauben mussten. Statt Partys und Zeit für Freunde nutzten sie das Wochenende, um endlich einmal auszuschlafen. Andere erzählten von Erschöpfung, weil sie versuchten, Sport und Soziales nach einem langen Arbeitstag auch noch unter einen Hut zu bringen. Wieder andere kehrten der Vollzeit den Rücken, weil sie das Gefühl hatten, Stunden nur abzusitzen und ihre Aufgaben auch in kürzerer Zeit erledigen zu können.

Manuel Stoiber (31), Fachsozialarbeiter

"Mit 15 Jahren habe ich meine Ausbildung zum Restaurantfachmann begonnen. Ich habe also ab dem Zeitpunkt schon 40 Stunden gearbeitet und war mit den Lehrjahren und einem folgenden Angestelltenverhältnis insgesamt zwölf Jahre in der Gastro. Der Lohn war sehr abhängig von den gearbeiteten Stunden und vom Trinkgeld. Das hat den Job für mich irgendwann unattraktiv gemacht. Mein Sozialleben hat damals sehr darunter gelitten. Wegen der unregelmäßigen Dienstpläne konnte ich nie die Freizeit planen. Auch Weihnachten, Ostern oder Silvester haben irgendwann für mich nicht mehr stattgefunden. An freien Tagen habe ich erst einmal einen ganzen nur zum Erholen gebraucht, am zweiten habe ich Freunde wieder einmal getroffen.

Während der Corona-Zeit habe ich – wie viele andere auch – dann den Entschluss gefasst, die Gastro hinter mir zu lassen und eine andere Ausbildung anzufangen. Jetzt arbeite ich 20 Stunden im Sozialbereich. Ich kann meine Freizeit besser planen – an das musste ich mich erst einmal gewöhnen. Es war für mich neu, dass ich recht flexibel zu Feiern oder Treffen mit Freunden dazustoßen konnte, und auch die haben sich gefreut, dass ich wieder präsenter war. Nebenbei mache ich noch eine Ausbildung für den Job. Mit einer 40-Stunden-Woche in der Gastro wäre dies nicht möglich gewesen. Außerdem bin ich jetzt auf der Suche nach einem Hobby – denn dafür war früher auch nie Zeit.“

Julia Kefer (29), Juristische Angestellte

„Ich finde Vollzeit unnötig, weil sie nicht produktiver oder effizienter macht. Als ich 40 Stunden gearbeitet habe – in verschiedensten Unternehmen –, habe ich gesehen: Niemand arbeitet wirklich so viel. Ich denke, es ist unmöglich, sich acht Stunden am Tag zu konzentrieren. Es wird ganz viel Zeit mit Kaffeepause verplempert oder mit Social-Media-Checken. Wenn ich eine Deadline in drei Wochen habe, dann nehme ich mir auch wirklich diese Zeit. Muss etwas in zwei Tagen fertig sein, dann schaue ich, dass es so schnell wie möglich erledigt ist. Das ist für mich ein Zeichen, dass ich immer die Zeit brauche, die ich eben bekomme.

Ein riesiger Aspekt war für mich auch der mentale Druck, dem man ausgesetzt ist. Gesundheit, Soziales und Familie kommen bei Vollzeit viel zu kurz. Oft hat man am Abend keine Kraft mehr, etwas zu machen, ich habe kaum noch Freunde getroffen und war nicht mehr feiern. An den Wochenenden wollte ich einfach nur ausschlafen und Sport machen, ins Gym und zum Yoga. Unter der Woche bin ich teilweise um 5.30 Uhr aufgestanden, um zum Hot Yoga zu gehen, und bin danach in der Arbeit wirklich eingesunken. Soziales ging sich meist gar nicht mehr aus, ich musste Prioritäten setzen. Heute arbeite ich im juristischen Bereich 18 Stunden und baue nebenbei ein Business auf. Ich nehme mir je nach Energielevel meine Zeit. Eine Routine habe ich weiterhin, aber in einem selbstbestimmten Kontext.“

Jamil Demba Sy (25), Angestellter in der Kommunikation

„Bis vor zwei Jahren habe ich noch 40 Stunden gearbeitet, dann habe ich mich entschieden, auf 25 Stunden zu reduzieren. Mir war es einfach zu viel, denn ich kam viel zu wenig dazu, meine Freizeit zu genießen. Mein Sozialleben konnte nur abends stattfinden, was anstrengend war, weil ich am nächsten Tag umso müder war in der Früh. Ich bin nebenbei Fußballtrainer, und es war immer ein Stress, nach der Arbeit noch zum Fußballplatz zu fahren und nach dem Training noch zu sozialen Aktivitäten dazuzustoßen. Ein Tag hat dann oft bis 21 Uhr gedauert. Auch für Kultur war kaum noch Zeit, da die meisten Ausstellungen und Museen kurz nach Arbeitsschluss schließen. Auch stressig fand ich immer das Einkaufengehen, wenn ich einmal länger in der Arbeit war, konnte ich meine Lebensmittel- und Drogerieeinkäufe oft nicht mehr erledigen, und ich musste immer richtig im Voraus planen.

Je nach meiner Laune war es mal leichter, auch mit weniger Energie nach den acht Stunden etwas zu unternehmen, wenn ich aber einmal schlechter gelaunt war, bin ich direkt nach Hause gefahren. Ich bin mit Vollzeit in den Job gestartet, weil ich dachte, das macht man eben so, ohne mir da viel Gedanken zu machen. Jetzt will ich, solange es geht, in Teilzeit bleiben, je nachdem, wie es finanziell aussieht. Ich fühle mich ausgeglichener, da ich mehr Zeit für das habe, was mir abseits der Arbeit Freude bereitet.“

Jennifer Wagner* (29), Vereinsmitarbeiterin

„Direkt nach meinem Bachelor mit 25 habe ich ein Jobangebot in einem Verein gesehen, das mir gleich zugesagt hat. Die Stelle war für 40 Stunden ausgeschrieben, weil mir dann aber 30 Stunden angeboten wurden, habe ich zugesagt. Das Arbeitspensum wurde aber immer mehr, deshalb erhöhte ich auf Vollzeit. Der Job macht mir viel Spaß, das Umfeld ist ganz anders als in einem Unternehmen. Früher habe ich viel Erfahrung in Jugendvereinen gesammelt, und heute mache ich das eben bezahlt – von Kommunikation bis Eventmanagement arbeite ich vielfältig. Trotzdem stelle ich mir immer wieder die Frage, wie viel Arbeit zu viel ist. Im Frühling ist saisonal im Verein immer viel zu tun – 60 bis 70 Stunden pro Woche sind dann keine Ausnahme. Dafür sind es im Herbst deutlich weniger. Für mich sind die Schwankungen okay, weil ich weiß, es kommt auch eine lockere Phase.

Aber natürlich bleibt in der stressigeren Phase meistens nicht einmal Zeit für einfache Dinge wie Sport, Tagebuch schreiben, Beziehung pflegen oder die Eltern besuchen. Selbst für banale Dinge, wie private E-Mails zu checken oder die Stromrechnung zu kontrollieren. Es heißt eher nur: schlafen, essen, arbeiten. Oft überlege ich dann, ob das auf Dauer für mich passt. Wenn nicht gerade Veranstaltungszeit ist, arbeite ich dafür Freitag nicht, weil ich mich ehrenamtlich engagiere oder im elterlichen Betrieb mithelfe.“

Niklas Weiß* (30), Technischer Mitarbeiter Maschinenbau

„Das Hauptproblem an der 40-Stunden-Woche sehe ich darin, dass sich die Gesellschaft und die Möglichkeiten auf der ganzen Welt geändert haben. Für meine Eltern war es normal, dass sie bis an ihr Limit arbeiten. Heute ist es zum Glück so, dass die Gesellschaft anders denkt. Man hat einfach gerne mehr Freizeit, trifft sich mit Freunden oder geht auf Reisen. Über Social Media bekommt man Dinge aus aller Welt mit, die man erleben möchte.

Auch für mich ist es schwer, Woche für Woche mit vollem Einsatz in der Arbeit zu sein, und genau dann merkt man, dass man nur ein Leben hat. Mir geht es noch relativ gut, da ich nur zehn Minuten in die Arbeit fahre und auch Homeoffice nutzen kann. In meinem Fall merke ich allerdings, dass die Arbeit am Computer ab dem Nachmittag schwierig wird und die Konzentration nachlässt.

Gleichzeitig gehören aber auch Haushalt und Einkauf irgendwann erledigt. Daher finde ich 40 Stunden zu viel. Selbst mein liebstes Hobby möchte ich nicht 40 Stunden in der Woche ausüben, weil es eintönig werden würde. Aber sicherlich ist die Bezahlung für sehr viele der Grund, warum sie trotzdem die Vollzeitanstellung wählen. Ich glaube wiederum auch, dass belastende Ereignisse wie Corona, Kriege oder die hohe Inflation uns alle verunsichern und sicher auch ein Grund sind, warum man gerne mehr Freizeit hat.“

Andreas Winter (28), IT-Berater

„Ich habe Ende 2016 bei einem IT-Unternehmen angefangen und mir das Fachwissen angeeignet. Das bedeutete anfangs, sehr früh zu kommen und bis mindestens 17 Uhr zu arbeiten. In dem Unternehmen wurde auch gern gesehen, dass man länger bleibt. Wer früh ging, hat meistens schiefe Blicke bekommen.

Es war ganz normal, in der Früh zu Kunden zu fliegen und abends wieder zurück. Mit Corona kam natürlich ­Remote Work, und ich konnte entspannter um acht Uhr beginnen und Videogespräche führen. Überstunden sind dann zum Großteil weggefallen. Nicht so toll fand ich aber die 'Kontroll-Meetings', unsere Chefs wollten schauen, ob wir eh arbeiten.

2018 habe ich meine Stunden für ein Studium reduziert und musste darauf achten, nicht zu viele Überstunden zu machen. Allerdings hat sich mit der Stundenreduktion auch meine Verantwortung im Job verringert. Davor hatte ich Montag bis Donnerstag nur gearbeitet. Irgendwann habe ich angefangen, nach der Arbeit regelmäßig im Fitnessstudio zu trainieren und auf diese Weise dann meine Freunde zu treffen. Vor dem Einstieg in die Berufswelt habe ich sie mehrmals pro Woche getroffen und mit der Umstellung nur noch zweimal. Jetzt arbeite ich wieder 40 Stunden, und es passt für mich, allerdings weiß ich jetzt, wie die Lebensqualität steigt, wenn ich zum Beispiel nur vier Tage arbeite. Das kann ich mir auch für die Zukunft wieder gut vorstellen.“ (Melanie Raidl, 29.5.2024)