Thomas Carow ist als Kind an den Fleischfressern "klebengeblieben", wie er sagt.
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Ja, Audrey II ist auch da. Die singende, fleischfressende Pflanze, die in dem 80er-Jahre-Musicalfilm Der kleine Horrorladen eine tragende Rolle spielt, ist so etwas wie das Maskottchen der internationalen Karnivorenszene. Und deshalb steht ein kleineres Modell von Audrey II an diesem Wochenende Ende Mai auch in der Orangerie in Schönbrunn. Auf der Konferenz der International Carnivorous Plant Society (ICPS) sind Lieb­haber aus ganz Europa zusammengekommen, um sich auszutauschen und ihrem Hobby nachzugehen. Eine Sache haben sie mit den Objekten ihrer Leidenschaft gemeinsam: Genau wie fleischfressende Pflanzen sind sie nicht verwandt, aber irgendwie eine Familie.

Karnivore – im Gebrauchsdeutsch fleischfressende Pflanzen genannt – sind Pflanzen, die Fleisch fressen. So simpel ist das. Sie wachsen in Umgebungen, wo eine ausreichende Nährstoffversorgung nicht über herkömmliche Wege möglich ist, und haben deshalb Strategien entwickelt, um das mit tierischer Beute auszugleichen. Diese Strategien sind sehr unterschiedlich. Am Sonnentau klebt die Beute fest, in die Kannenpflanze fällt sie hinein, bei der Venusfliegenfalle wird sie sogar durch aktives Zuschnappen gefangen. Alle diese Pflanzen mit ihren tödlichen Fallen findet man an diesem Wochenende auch in Schönbrunn. Insekt wollte man hier nicht sein.

Zu Thomas Carow geht man, wenn man wissen will, ob die Venusfliegenfalle ...
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Die Orangerie ist eine langgezogene Halle, die man für Veranstaltungen mieten kann. Wie eben die internationale Konferenz für die Karnivorenszene, die heuer von der Gesellschaft für Fleischfressende Pflanzen (G.F.P.) ausgerichtet wird. Das Publikum ist international, wobei Deutschland stark vertreten ist. Die Aussteller kommen aus fast ganz Europa, von den Niederlanden über Frankreich bis Serbien. Es gibt Vorträge („Biomechanics of snapping, reopening, and narrowing in the trap of Dionaea muscipula“) und ein gemeinsames Abend­programm beim Heurigen. Aber das wirkliche Zentrum ist die Pflanzenbörse. Über die Länge der Orangerie reiht sich Verkaufstisch an Verkaufstisch, wo Anbieter wie Green Jaws oder Diaflora ihre Ware präsentieren. Viele Besucher sind hier, um sich neu einzudecken. Wie eine Slowenin namens Alenka, aus deren Sackerl eine riesige Kannenpflanze herausschaut und die auf die Frage, warum sie gerade die ausgewählt habe, mit den Schultern zuckt. "It gets even bigger." Sie wird noch größer.

Ein beklebendes Thema

Karnivore sind ungewöhnliche Pflanzen, weil sie Dinge mögen, die fast alle anderen nicht vertragen. Das beschränkt sich nicht nur auf Insekten. Karnivore haben auch kein Problem mit Staunässe – man kann sie also nicht totgießen. Es sind im Prinzip keine komplizierten Pflanzen, wenn man ihnen die richtigen Bedingungen bietet. "Es sind Sumpfpflanzen, und als solche brauchen sie drei Dinge: viel Sonne, viel Feuchtigkeit und Regenwasser." Thomas Carow steht hinter seinen meterlangen Verkaufstischen, auf denen alles steht, was das Herz eines Karnivoren­liebhabers begehrt. Fragt man herum, wer das Thema hier gut für Anfänger erklären kann, wird man zu Carow geschickt. Der deutsche Profigärtner hat einen prächtigen grauen Schnurrbart und ein freundliches Lächeln. Karnivoren begleiten ihn schon sein ganzes Leben lang. "Als Kind hat mich mein Vater mit ins Moor genommen und mir den heimischen Sonnentau gezeigt", sagt Carow. "Da war es um mich geschehen. Seitdem klebe ich an dem Thema fest." Den Sonnentau empfiehlt er neben der Venusfliegenfalle auch als Einsteigerpflanze, wenn man sich den Tod auf das heimische Fensterbrett holen will.

... oder die Kannenpflanze gefüttert werden müssen
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Karnivoren sind keine Pflanzenfamilie und im Prinzip auch nicht eng miteinander verwandt. Was die circa 1000 Arten vereint, ist ihre Überlebensstrategie. Sie wachsen auf allen Kontinenten außer der Arktis in karger Umgebung wie eben in Mooren oder auf Felsen. Über die tierische Nahrung holen sich die Pflanzen Mineralstoffe, vor allem den überlebenswichtigen Stickstoff. Und viel Sonne brauchen sie, weil die Fangblätter sehr viel schlechter in der Photosynthese sind als das klassische Blatt.

Die unglückliche Beute reicht je nach Größe der Pflanze von Einzellern bis zu Insekten. Größere tropische Kannenpflanzen können aber auch kleinere Frösche oder Nagetiere verdauen. Sie schnappen ihre Beute auf fünf verschiedene Arten, die auf Infotafeln in der Orangerie mit martialischen Formulierungen wie "Der Tod aus der Tiefe" oder "Ein plötz­licher Tod" umschrieben werden. Die wichtigsten sind die Klebenfalle wie beim Sonnentau, die Klappfalle wie bei die Venusfliegenfalle und die Fallgrubenfalle wie bei der Kannenpflanze. Einige wenige Arten haben auch Saug- und Reusenfallen ausgebildet.

Der Überlebenskünstler

Die Karnivorenszene ist ein eingeschworener Haufen. Wie so oft bei Leidenschaften, die nicht viele teilen, kennt schnell jeder jeden. "Bei so einer internationalen Veranstaltung steht der persönliche Kontakt zu Gleichgesinnten im Vordergrund", sagt Carsten Paul, Vorsitzender der G.F.P. "Deshalb ist für mich auch das Schönste, im Anschluss an das Programm alte Kontakte aufzufrischen." Solche Konferenzen sind auch immer ein Familientreffen, bei dem mehrere Generationen zusammenkommen. Viele haben die Begeisterung von ihren Eltern geerbt und geben sie jetzt an ihre Kinder weiter.

Der familiäre Aspekt zeigt sich besonders beim "Jubiläumsvortrag". Die G.F.P. wird heuer 40 Jahre alt. Und Christian Dietz, der zweite Vorsitzende des Vereins, hat in mühsamer Kleinarbeit die Geschichte zusammengetragen. Alles, was zu finden war, bis hin zum letzten Kassenwart Ende der 80er. Das könnte dröge und langweilig sein. Ist es aber nicht, weil die Kassenwarte aus den 80er-Jahren fast alle im Raum sind. Familientreffen eben. Fast immer, wenn ein Name vorgelesen wird, steht ein älterer Herr auf, winkt und wird beklatscht. Anekdoten aus der Anfangszeit werden quer durch den Raum gerufen. Der eine erinnert sich, dass die Beitrittserklärungen anfänglich auf einer Tischtennis­platte bearbeitet wurden. Der andere, dass es bei den ersten Sitzungen immer Würstchen mit Kartoffelsalat gab. Das älteste Vereinsfoto in der Präsentation ist aus dem Jahr 1987. Links unten ist auch Thomas Carow. Man erkennt ihn sofort am Schnauzer, auch wenn der damals noch nicht ergraut war.

Die internationale Konferenz für die Karnivorenszene schlug in der Orangerie in Schönbrunn auf.
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Die Geschichte der Karnivorenszene gleicht der von jedem ausgefallenen Hobby: Anfänglich wird sie von einem Kern von positiv Verrückten getragen. Das wichtigste Informationsmedium ist die Vereinszeitung, vor allem wegen des Adressenverzeichnisses der Anbieter. Heute ist das alles ein bisschen anders. Über das Internet sind die Pflanzen recht simpel zu beziehen, und auch die Einfuhr ist nicht mehr "der Albtraum", als der sie von den Veteranen beschrieben wird. Und nicht zuletzt kann man relativ einfach zu solchen Konferenzen zusammenkommen. Zum Beispiel in Wien, wo die Orangerie eine "wirklich ein­malige Kulisse" bietet, wie Carsten Paul sagt. "Mit dem Ergebnis unserer Konferenz brauchen wir uns nicht verstecken."

Bleibt noch eine letzte, dumme Laienfrage. Und wahrscheinlich könnte sie niemand so kompetent beantworten wie Thomas Carow mit dem freundlichen Lächeln und der sonoren Stimme. Muss man die Pflanzen füttern? Nein, lacht er. "Das machen die schon selbst." (Jonas Vogt, 2.6.2024)