Ein Stahlarbeite vor einem Hochofen
Alte Industrien, im Bild ein Stahlarbeiter im Voest-Werk in Linz, sind besonders anfällig für Preisschocks bei fossilen Energien. Die Voest selbst plant einen schrittweisen Ausstieg aus Gas und setzt auf Wasserstoff.
APA/HANS KLAUS TECHT

Es hat die Volkswirtschaften in Europa wie ein Faustschlag getroffen und für Schockwellen gesorgt, die mehr als zwei Jahre danach noch immer nachwirken: Russlands Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 und das Hinaufschnellen zuerst der Gas- und dann auch der Strompreise in nicht für möglich gehaltene Höhen. Dass Gaspreisschocks, egal ob durch physische Verknappung oder durch ein hohes Maß an Unsicherheit bewirkt, Gift für die Wirtschaft sind, konnte man zumindest ahnen. In welchem Ausmaß und wie lange der Schock nachwirken würde, war bisher nicht ganz so klar.

Zu diesem Zweck hat das gerade in Aufbau befindliche Kontext-Institut für Klimafragen das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) mit einer Modellrechnung beauftragt. Die Fragestellung war, welche Effekte der Gaspreisschock im Gefolge des russischen Überfalls auf die Ukraine auf einzelne Wirtschaftssektoren in Österreich gehabt hätte, wären nicht von Staats wegen Eingriffe erfolgt und hätten betroffene Unternehmen nicht Maßnahmen zur Schadensbegrenzung ergriffen.

Signifikanter Schaden

Ergebnis: Preisschocks bei fossilen Energien können zu einem signifikanten wirtschaftlichen Schaden führen. Das WIIW hat errechnet, dass Österreichs CO2-intensive Branchen im Jahr nach der Gaspreisexplosion, also 2023, einen Einbruch der Wertschöpfung um 6,6 Prozent hinnehmen mussten. Das wären rund zehn Milliarden Euro. Und: Im zweiten Jahr nach dem Schockereignis, das nicht das erste war und nicht das letzte sein dürfte, liegt die Wertschöpfung noch immer um 5,5 Prozent zurück. Beides ist hypothetisch, weil der Staats stützend eingegriffen hat.

"Unsere Annahme war, dass alles andere gleich bleibt und sonst nichts passiert. Dann wäre es so gewesen", sagt Robert Stehrer dem STANDARD. Er hat mit Andreas Lichtenberger die Modellierung vorgenommen, die dem STANDARD vorliegt. Die Auswirkungen waren in der Tat spürbar, wenn auch gemildert. Die diversen Hilfspakete kosteten zudem viel Geld.

CO2-arme Sektoren resilienter

Und wie ist es um CO2-arme Sektoren bestellt? Besser. Das Wachstum der Wertschöpfung verlangsamt sich zwar durch das deutlich teurere Gas, nimmt aber zu. Wirtschaftssektoren mit niedrigem CO2-Ausstoß sind in einer Energiepreiskrise viel resilienter, ist eine der Erkenntnisse der Studie.

Auswirkungen haben Energiepreisschocks auch auf den Arbeitsmarkt. Das WIIW, das bei Gas zwischen 2021 und 2022 einen Preisanstieg um gut 80 Prozent, bei Heizöl um knapp 90 und bei Strom um durchschnittlich 18,5 Prozent berücksichtigt hat, kommt zu dem Schluss, dass die Beschäftigung in emissionsintensiven Sektoren im Jahr nach dem Schock um 4,1 Prozent sinkt. Das entspricht rund 74.000 Arbeitsplätzen im Vergleich zu 2022. Auch in den darauffolgenden Jahren sinkt die Beschäftigung. Drei Jahre später sind unter den angenommenen Umständen rund 133.000 Jobs weniger in emissionsintensiven Sektoren vorhanden.

Abkehr von fossilen Energien

In CO2-armen Sektoren hingegen sind keine signifikant negativen Effekte auf den Arbeitsmarkt beobachtbar. Das Beschäftigungswachstum fällt durch die höheren Gaspreise zwar etwas geringer aus, bleibt aber durchwegs positiv. Drei Jahre nach dem Preisschock gibt es in Summe 279.000 Jobmöglichkeiten mehr als im Jahr 2022.

Die Berechnungen zeigten, dass Europa mit fossilen Energien nichts zu gewinnen habe – im Gegenteil, meint Florian Maringer, einer der Gründer des Kontext-Instituts. Maringer war von 2020 bis 2023 im Kabinett des Klimaschutzministeriums für Klimapolitik, Energiepolitik und industriepolitische Fragen zuständig. Es sei Zeit für eine Transformation der alten Industrien. Für den Ausstieg aus fossilen und den Einstieg in erneuerbare Energien stehe ein gut gefüllter Werkzeugkasten zur Verfügung. Die Bandbreite reiche von Investitions- und Betriebskostenförderung bis zu steuerlichen Anreizen und Differenzmodellen (contract for difference). Maringer: "Was es jetzt braucht, sind verbindliche Entwicklungspfade wie beim Emissionshandel, damit die Unternehmen investieren können." (Günther Strobl, 4.6.2024)