Ein Konsument hält eine Packung Milch in der Hand von Landliebe.
Regional und nachhaltig: So wollen viele Konsumenten gerne einkaufen und leben. Am Wirrwarr der Labels scheitert es dann aber oft. Ebenso am fehlenden Wissen über die Effekte.
Rüdiger Wölk

Klimaschutz und der weit gefasste Begriff der Nachhaltigkeit sind omnipräsent. Doch wie gehen die Menschen in Europa mit diesen Themen um? Ist das Interesse an Klimapolitik und Umweltschonung überhaupt noch vorhanden? Und wenn ja, wo sollte dieses Thema angesiedelt sein: bei jedem selbst, bei Unternehmen – oder soll es durch die EU-Politik geregelt werden? Diesen Fragen ist die Managementberatung Horvath nachgegangen und hat eine Umfrage dazu durchgeführt. 1900 Personen aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Spanien, Italien, Rumänien und Ungarn wurden dafür im April und Mai befragt.

88 Prozent geben demnach an, dass wenn die Nachhaltigkeitsinitiativen nicht die nötige Wirkung nicht erzielen würden, wenn sie nicht global umgesetzt werden. 84 Prozent befürworten größere Anreize für Unternehmen, die nachhaltig wirtschaften. 78 Prozent befürworten stärkere Sanktionen für Unternehmen, die nicht nachhaltig wirtschaften. Doch 80 Prozent geben auch an, dass das Problem vieler vermeintlich nachhaltiger Produkte und Lösungen sei, dass sie bei genauerer Betrachtung und unter Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus nicht viel umweltfreundlicher seien. 77 Prozent sind der Meinung, dass die unterschiedlichen Regierungs- und Parteiensysteme der EU-Staaten ein gemeinsames, konsolidiertes Vorgehen für mehr Nachhaltigkeit verhindern.

Viele kleine Schritte

"Um eine Veränderung kommen wir nicht herum", sagt Peter Sattler, Head of Sustainability & Green Transformation bei Horvath. Seine berufliche Praxis zeige jedoch, dass sich rund 80 Prozent der Unternehmen nur in einem sehr kleinen Bereich mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Für den Experten ist der Begriff jedenfalls zu breit gefächert. Der zentrale Punkt sei derzeit die CO2-Reduktion, eine Fokussierung darauf würde laut Sattler möglicherweise Ziele rascher greifbar machen. Nachhaltigkeit sieht Sattler aufgrund der Umfrage immer noch als aktuell und den Menschen wichtig an. "Doch die Umsetzung ist harte Arbeit", sagt der Experte. Zudem ist eine Veränderung mit Ängsten verbunden. So geben 49 Prozent der Befragten an, dass der Kampf gegen den Klimawandel in Europa eine Deindustrialisierung des Kontinents auslösen werde. Mehr als 70 Prozent der EU-Bevölkerung sehen Nachhaltigkeit als Chance für die Wirtschaft der EU. Die Befragten in Deutschland und Österreich sehen das aber kritischer.

Auch bei Unternehmen gibt es laut Sattler viele Zweifel. Denn viele neue Technologien seien nicht ausgereift, der technologische Fortschritt rasant. Stelle ein Unternehmen um – etwa auf eine andere Antriebstechnik für die Maschinen –, könnten andere Unternehmen das beobachten und sich gegebenenfalls für ein anderes System entscheiden. Der Vorteil des First Mover könnte damit zu einem Nachteil werden. Welche Maßnahmen welche Wirkung haben, darüber herrsche aber noch Unklarheit. So sagen 73 Prozent der in Österreich und Deutschland Befragten, dass sie "auf viel mehr verzichten" würden, "wenn ich sicher sein könnte, dass es wirklich einen positiven Beitrag für die Umweltbedingungen leistet". 61 Prozent glauben aber auch, dass Nachhaltigkeit kaum noch eine Rolle spielen wird, wenn die Konjunktur sich weiter abschwächt.

Wer soll sich kümmern?

Doch wen sehen die EU-Bürger beim Thema Nachhaltigkeit in der Pflicht? 47 Prozent sagen, die Verantwortung liegt bei jedem Bürger. 25 Prozent sehen diese "in der Regierung meines Landes", 17 Prozent bei der EU und elf Prozent "in den in meinem Land angesiedelten Unternehmen".

Mit neuen Gesetzen und Vorgaben entstehen aber auch neue Schlupflöcher. So müssen auch Banken und Versicherungen ihre Portfolios dekarbonisieren. Sie werden bestimmte Geschäfte künftig nicht mehr finanzieren können. Eine Finanzierungslücke sollte es für die Unternehmen dennoch nicht geben. Denn US-Banken würden in Europa bereits ihre Fühler auf der Suche nach Finanzierungen ausstrecken, die europäische Institute nicht mehr bieten könnten.

Laut Sattler gibt es drei Rollen, die für einen echten Klimaschutz zusammenspielen müssen:

- Gesetzgeber: Dieser müsse durch einheitliche Vorgaben und Förderungen das Spielfeld schaffen, damit alle dem gleichen Wettbewerb unterliegen. Das Motto sollte "Nachhaltige Idee gegen nachhaltige Idee" lauten, damit die besten Ideen in diesem Bereich gewinnen, und nicht "Nachhaltige gegen nichtnachhaltige Idee". Sattler wäre auch dafür, die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die für viele Unternehmen nun Pflicht wird, zu beschränken. Statt aktuell zwölf würden weniger Themen den Unternehmen wohl helfen, die Agenden besser zu bearbeiten.

- Unternehmen: Sie müssen im Wettbewerb bestehen – auch wenn es darum geht, auf Alternativen umzusteigen. Das verursacht hohe Kosten, die oft gescheut werden, weil aktuell die Gefahr gesehen wird, dass man auf eine Technologie umsteigt, die sich dann am Markt nicht durchsetzt.

- Konsumenten: Sie müssen die Möglichkeit haben, faire Entscheidungen zu treffen. Label auf vielen Produkten suggerierten den Konsumenten ein Bild der Nachhaltigkeit, das der Praxis nicht standhalte. Bürger haben aber auch die Wahl, zum Beispiel Flüge mit Zertifikaten auszugleichen oder ihre Recyclingquote zu erhöhen. Der Konsument etwa könne nicht entscheiden, ob es besser sei, bei der E-Mobilität auf Strom oder Wasserstoff zu setzen. "Hier muss der Gesetzgeber eine Entscheidung treffen", sagt Sattler. Dann müsse die Infrastruktur entsprechend geschaffen werden, dann sei das Thema greif- und lebbar. Sattler erinnert an die FCKW-Debatte in den 1980er-Jahren. "Das war damals auch ein harter Einschnitt, über den heute aber niemand mehr redet." (Bettina Pfluger, 3.6.2024)