Daniela Rus MIT 
Die Robotik-Pionierin Daniela Rus bei ihrer Vienna Gödel Lecture vergangene Woche an der TU Wien. "Es ist viel einfacher, einen Roboter zum Mars zu schicken, als einen Roboter dazu zu bringen, den Tisch nach dem Essen abzuräumen."
Amélie Chapalain / TU Wien

Wenn es um Roboter geht, dann gibt es wohl kaum eine Person, die besser über aktuelle und künftige Entwicklungen Bescheid weiß als Daniela Rus. Die Forscherin, die für ihre Arbeiten unter anderem 2002 mit einem MacArthur-Fellowship ausgezeichnet wurde – in den USA eine Art "Genie-Auszeichnung" –, ist seit vielen Jahren Professorin für Informatik und Elektrotechnik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und leitet dort seit 2012 das weltweit renommierte Computer Science and Artificial Intelligence Laboratory.

Ihre Arbeiten an der Schnittstelle von Robotik und Künstlicher Intelligenz haben in den letzten Jahren wesentliche Beiträge zu dem sich rapide entwickelnden Bereich geliefert. Die Wissenschafterin, die aus Rumänien stammt und zum Studium in die USA kam, entwickelte mit ihren Teams unter anderem Roboter, die in Schwärmen fliegen, mit Menschen tanzen oder für den Einsatz unter Wasser eingesetzt werden können.

Vergangene Woche war Rus in Wien, um anlässlich des 20-Jahr-Jubiläums der Fakultät für Informatik an der TU Wien die Vienna Gödel Lecture zu halten und über die neuesten Entwicklungen an der Schnittstelle von Künstlicher Intelligenz und Robotik zu berichten. Die vielfach ausgezeichnete Wissenschafterin hat darüber mit dem Journalisten Gregory Mone auch ein neues Buch geschrieben, das seit wenigen Wochen vorliegt und in dem es vor allem um die positiven Seiten der künftigen Roboterentwicklungen geht: The Heart and the Chip: Our Bright Future with Robots.

Das neue Buch von Daniela Rus widmet sich vor allem den positiven Seiten künftiger Verbindungen von KI und Robotik.
W. W. Norton & Company

STANDARD: In Ihrem neuen Buch versprechen Sie wahre Wunderdinge, die aus der Verbindung von KI und Robotik hervorgehen werden. Was macht Sie so optimistisch?

Rus: Künstliche Intelligenz hilft uns heute schon bei intellektuellen Aufgaben, während Roboter uns in Zukunft noch stärker bei physischen Aufgaben unterstützen werden. Dabei werden sie uns Fähigkeiten verleihen, die wir von den Superhelden kennen: KI lässt uns heute schneller und effizienter werden, weil uns neue Informationen und deren Verarbeitung zur Verfügung stehen. Das wird uns in Zukunft noch mehr dabei helfen, neue Erkenntnisse zu gewinnen, kreativer zu werden oder bessere Vorhersagen zu treffen. Und intelligente Roboter aus neuen Materialien und mit neuen Algorithmen werden uns in Zukunft Superkräfte der Superhelden verleihen.

STANDARD: Haben Sie dafür ein Beispiel?

Rus: Wir werden irgendwann superstark sein können, indem wir Kleidung tragen, die sich in einen Exoskelett-Roboter verwandeln kann und uns ermöglicht, viel schwerere Gegenstände zu heben, als es mit menschlichen Muskeln möglich ist. Andere dieser übermenschlichen Fähigkeiten von Robotern werden ja heute schon genützt: Wir erlangen durch intelligente Roboterunterstützung eine höhere Präzision, was zum Teil heute schon in der Chirurgie Verwendung findet; wir können durch intelligente Roboter Dinge sehen, die ohne sie für uns unsichtbar bleiben würden – und mit ihrer Hilfe viel weiter greifen als mit unseren Händen.

Chirurgie Roboter
Roboter sind in der Chirurgie wegen ihrer höheren Präzision längst im Einsatz.
EPA/QUIQUE GARCIA

STANDARD: Wie weit sind wir bei der Entwicklung solcher intelligenten Roboter, die uns allen das Leben erleichtern werden?

Rus: Viele von uns haben bereits Roboter, die ein bisschen Intelligenz besitzen und uns im Haushalt helfen: Geräte, die unsere Wohnung saugen, den Pool reinigen oder den Rasen im Garten mähen. Wir haben in meiner Forschungsgruppe beispielsweise einen Roboter gebaut, den wir Bake Bot nennen, der für Sie Kekse bäckt, und wir arbeiten an Robotern, die für Sie das Gemüse schneiden können oder andere in der Küche erforderlichen, interaktiven Aufgaben erledigen. Aber der Preis dieser Lösungen ist noch so hoch, dass es wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, sie heute im Haushalt einzusetzen.

STANDARD: Wie lange wird es noch dauern, bis es solche Prototypen aus dem Labor in unsere Küchen schaffen?

Rus: Es hängt sehr davon ab, was diese Roboter tun sollen. Einige Roboter, in denen zumindest ein gewisses Maß an Intelligenz steckt, sind ja bereits im Einsatz, wie ich schon erwähnt habe. Aber wann genau etwa ein Bügelroboter kommen wird, lässt sich wirklich schwer sagen. Mein Ziel ist es, einige dieser Technologien innerhalb von ein paar Jahrzehnten in die Welt zu bringen. Grundsätzlich wird gerne unterschätzt, wie lange es dauert, ein Forschungsobjekt in ein kommerzielles Produkt zu verwandeln. Denken Sie nur an die selbstfahrenden Autos: Das erste dieser Autos, das in Deutschland auf der Autobahn gefahren ist, war bereits Mitte der 1980er-Jahre unterwegs. Und die erste autonome Fahrt von Washington nach Los Angeles fand Mitte der 90er-Jahre statt.

STANDARD: Woran liegt es, dass es damit so lange dauert?

Rus: Im Labor zeigen wir nur, dass etwas prinzipiell möglich ist. Dann muss dieses Produkt umgestaltet werden, damit es für die viel höheren Anforderungen der Verbraucherinteraktion taugt. Die Robustheit, die es für ein kommerzielles Produkt braucht, ist viel höher als die Fähigkeiten, die ein Prototyp in einer Forschungsumgebung demonstriert. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass es bei der Roboterentwicklung in den nächsten Jahren zu einem echten Durchbruch kommt – durch ein neues Stück Hardware, einen neuen Sensor oder eine neue Fähigkeit, die umwälzend sein wird. Aber wir wissen einfach nicht, was das ist und wann es passieren wird.

STANDARD: Elon Musk ist sehr viel optimistischer, als Sie es sind. Er meinte kürzlich, dass er den von seiner Firma entwickelten humanoiden Roboter Optimus schon in ein oder zwei Jahren auf den Markt bringen will.

Elon Musk bei der Vorstellung eines Prototypen von Optimus im Jahr 2022.
APA/AFP/Tesla/-

Rus: Ich möchte dazu nur anmerken, dass Elon Musk weder ein KI-Forscher noch ein Roboter-Forscher ist. Im Jahr 2017 sagte er beispielsweise voraus, dass bereits 2019 autonome Autos großflächig zum Einsatz kommen würden. Wer weiß, was seine nächste Vorhersage sein wird. Ich teile mit Musk aber die Begeisterung für die Möglichkeit, dass intelligente Roboter uns bei allen möglichen Aufgaben des Alltags helfen werden. Zugleich sehe ich, dass wir in vielen Bereichen noch einen weiten Weg vor uns haben – trotz der raschen Fortschritte. Das liegt vor allem an den komplexen Interaktionen mit der Umwelt. Es ist viel einfacher, einen Roboter zum Mars zu schicken, als einen Roboter dazu zu bringen, den Tisch nach dem Essen abzuräumen.

STANDARD: Wenn es erst einmal diese intelligenten Roboter gibt, welche Arbeit bleibt dann für uns Menschen?

Rus: Jede neue Technologie hat Auswirkungen auf die Arbeitsplätze, das ist seit den Anfängen der Menschheit der Fall. Um 1800 arbeiteten die meisten Menschen in Europa in der Landwirtschaft, ehe die industrielle Revolution für völlig neue Arbeitsverhältnisse sorgte. Aus verständlichen Gründen fällt es uns leichter, über das nachzudenken, was verschwinden wird, als sich vorzustellen, was in Zukunft kommen wird. Denken Sie nur an die Computerrevolution: Die Geräte waren vor dem Jahr 2000 längst da, aber niemand sprach damals über soziale Medien, Cloud-Computing oder Smartphones. Heute sind in diesen Bereichen Millionen Menschen beschäftigt. Es ist also schwierig, all die neuen Arbeitsplätze vorherzusehen, die durch die KI und die Robotik entstehen werden.

TED-Talk mit Daniela Rus vom April 2024.
The convergence of AI and robotics will unlock a wonderful new world of possibilities in everyday life, says robotics and AI pioneer Daniela Rus.
TED

STANDARD: Und welche Arbeiten werden durch diese neuen Roboter verlorengehen?

Rus: Im Idealfall werden wir alle routinemäßigen, langweiligen, für den menschlichen Körper schwierigen Arbeiten auslagern und sie durch andere, interessantere Tätigkeiten ersetzen. Im Moment befinden wir uns in einer Übergangsphase, und es ist wichtig, dass die Menschen auf diesen Übergang vorbereitet werden. Wir brauchen eine Art von Alphabetisierung für den Umgang mit KI und Robotern, damit die Menschen besser wissen, wie man diese Werkzeuge benutzt, zumal sie ja wirklich so intuitiv sind, dass sie von allen genutzt werden können.

STANDARD: So wie jede neue Technologie hat wohl auch die Verbindung von KI und Robotik ihre Kehrseite – Stichwort: autonome Kampfroboter. Wie lassen sich diese Risiken eindämmen?

Rus: Sie haben recht: All die Technologien, die die Superhelden befähigen, gute Dinge zu tun, befähigen auch die Superschurken, schlechte Dinge zu tun. Aber auch das ist nichts Neues und begann im Grunde schon mit der Erfindung des Messers. Es hilft uns beim Zubereiten des Abendessens, aber man kann damit auch Menschen verletzen. Als Gesellschaft müssen wir also überlegen, wie wir diese Technologien zum Guten einsetzen und wie wir das Böse verhindern können. Meines Erachtens müssen wir dafür sowohl auf technischer Ebene als auch auf Policy-Ebene Sicherheitsvorkehrungen treffen. Denn technische Lösungen werden nicht immer ausreichen. (Klaus Taschwer, 9.6.2024)