Der britische Premierminister Rishi Sunak (links) und Labour-Chef Keir Starmer (rechts).
Der britische Premierminister Rishi Sunak (links) und Labour-Chef Keir Starmer (rechts).
AFP/POOL/ANDY BUCHANAN/PAUL ELLI

Einen Monat vor der Unterhauswahl am 4. Juli hoffen die britischen Parteien diese Woche auf neuen Schwung durch die anstehenden Fernsehdebatten. Am Dienstag steigen Premier Rishi Sunak und sein Labour-Herausforderer Keir Starmer beim Kommerzsender ITV in den rhetorischen Ring.

Es wird das erste von zwei Duellen der beiden einzigen ernsthaften Anwärter auf die Schlüssel der Downing Street für die kommenden fünf Jahre sein, und alle Beobachter sind sich einig: Während der konservative Regierungschef angesichts verheerender Umfragewerte nichts zu verlieren hat, geht der Oppositionsführer, dessen Partei auf Siegeskurs liegt, ein hohes Risiko ein.

Am Montag versprach Starmer die Beibehaltung der britischen Nuklear-Abschreckung und den Bau vier neuer atombetriebener U-Boote im nordenglischen Barrow-in-Furness. Die Sicherheit der Nation müsse "stets an erster Stelle stehen", betonte Starmer und distanzierte sich damit einmal mehr von seinem Vorgänger Jeremy Corbyn, der seit Jahrzehnten der antiamerikanischen Friedensbewegung auf der Insel angehört.

Labour-Kampagne

Change, Veränderung lautet das offizielle Motto der Labour-Kampagne; inoffiziell aber steht die Sicherheit an erster Stelle: Mit einer extrem vorsichtigen Vorgehensweise will die alte Arbeiterpartei ihren meilenweiten Vorsprung in den Umfragen vor den regierenden Torys ins Ziel bringen. Auf der Insel gibt es dafür eine schöne, vom legendären einstigen Labour-Schatzkanzler und späteren EWG-Kommissionschef Roy Jenkins geprägte Metapher: Wie Tony Blair 1997 müsse auch diesmal der Oppositionsführer eine wertvolle chinesische Porzellanvase aus der Zeit der Ming-Dynastie über spiegelglattes Parkett tragen.

Explizit hat sich Starmer diese Strategie zu eigen gemacht: Im Gespräch mit seinem Biografen Tom Baldwin scherzte der frühere Leiter der englischen Staatsanwaltschaft, er werde "jetzt nicht mit der Vase jonglieren". Wie ein Staatsanwalt will der Sozialdemokrat an diesem Dienstag den Angeklagten Sunak zur Rechenschaft ziehen für 14 Jahre Tory-Herrschaft, an deren Ende viele Briten wirtschaftlich schlechter dastehen als zuvor. Das liegt nicht zuletzt am schwersten strategischen Fehler der vergangenen Jahrzehnte, dem EU-Austritt vor vier Jahren. Während der Brexit im TV-Schlagabtausch kaum zur Sprache kommen dürfte, schließen Beobachter bereits Wetten darauf ab, wie häufig Starmer die katastrophale Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss (2022) erwähnen wird.

Zielgruppe Pensionisten

Umgekehrt will Sunak die Zuschauerinnen daran erinnern, dass Starmer ihnen bei der zurückliegenden Wahl 2019 den komplett ungeeigneten Corbyn als Premierminister empfohlen hatte. Labour habe "keinen Plan", höhnt der 44-Jährige bei jeder Gelegenheit. Seine Büchsenspanner denunzieren den 61-jährigen Herausforderer zudem als alt und langweilig, was schon deshalb überraschend wirkt, als sich die Torys mit ihren Politikvorschlägen – keine Besteuerung der Staatsrente, Wehrpflicht für junge Menschen, eine Offensive gegen wenig einträgliche Studienabschlüsse – vor allem an die wachsende Gruppe der mehr oder weniger junggebliebenen Pensionisten wenden.

Was TV-Debatten angeht, kann Sunak deutlich mehr Erfahrung aufweisen: Als es im Sommer 2022 um die Nachfolge des krachend gescheiterten Boris Johnson (2019–22) ging, mussten sich Truss und ihr später unterlegener Rivale häufig den Kameras stellen. Wohl deshalb verlangte der Premierminister insgesamt ein halbes Dutzend Fernsehduelle. Brüsk wies Starmer das Anliegen zurück, eingedenk des Verdikts von Craig Oliver, dem Kommunikationschef des früheren Premiers (2010–16) und heutigen Außenministers David Cameron: "Die Debatten nehmen wochenlange Vorbereitung in Anspruch und können den Wahlkampf total verfälschen."

TV-Duelle unbeliebt

Anders als seit Jahrzehnten in den USA und mittlerweile auch in Deutschland oder Frankreich sind TV-Duelle auf der Insel bis heute keineswegs selbstverständlicher Bestandteil der politischen Auseinandersetzung. Gern weicht der jeweils besser platzierte Kandidat dem Schlagabtausch ganz aus oder pocht auf das Mitspracherecht der kleineren Parteien wie Liberaldemokraten, Grüne oder der Nationalisten von Wales und Schottland. Bei der BBC kommt es am Freitag zu einer Runde zu siebt, wobei allerdings die großen Parteien nicht ihre Vorsitzenden ins Rennen schicken wollen.

Ganz verweigern, das scheint Labours Devise zu sein, kann man sich dem Medienspektakel heutzutage doch nicht mehr. In jüngster Zeit hat das nur Theresa May 2017 versucht. Prompt ging die Sache schief: Lag die Tory-Premierministerin zu Beginn der Kampagne noch rund zwanzig Prozentpunkte vor Labour, so war der Vorsprung vor Herausforderer Jeremy Corbyn am Wahltag auf zwei Prozent zusammengeschrumpft. Mag sein, dass Rishi Sunak diesmal aufs umgekehrte Phänomen hofft. Alle Anzeichen freilich sprechen gegen den Premierminister. (Sebastian Borger aus London, 4.6.2024)