Politisches Kasperltheater für Erwachsene im Prater: Elis Veit hat den Volkskasperl gebaut, Thomas Ettl Text und Lieder geschrieben. Gemeinsam spielen sie das Stück noch bis Ende Juni.
Heribert Corn

Er ist ein Säufer. Und ein Besserwisser. Er erreicht zwar alles. Aber selten absichtlich, sondern eher irgendwie. Nicht gerade ideale Voraussetzungen, um politisch durchzustarten. Und dennoch gelingt ihm das momentan. Absichtlich – und nicht nur irgendwie.

Das Superwahljahr 2024 hat es geschafft: Wenn Europawahl auf Kommunalwahl folgt und sich Landtagswahl an Nationalratswahl reiht, dann wird der Praterkasperl politisch. Tief drinnen war er es eh schon lange. Kritik an der Obrigkeit, der Kampf gegen Autoritäten und ein Aufbrechen von gesellschaftlichen Normen – das sind alles Inhalte, die in Kasperlstücken traditionell mitschwingen. Im kleinen Kasperltheater im Prater bekommt Politik nun eine große Bühne.

Der Volkskasperl heißt das Stück, das aktuell dort läuft. Es ist ein besonderes: Statt Kindern sind Erwachsene die Zielgruppe. Das holt nicht nur den Kasperl aus der Komfortzone. Sondern auch jenen Mann, der ihn spielt: Thomas Ettl. Seit 35 Jahren gibt er mit seiner Kollegin Elis Veit im Prater Kaspervorstellungen. Anfangs neben einem Sexkino, heute in einem rund 60 Personen fassenden Puppentheater am Wurstelplatz.

Der kleingewachsene einstige Student der Publizistik, der Geschichte sowie der Philosophie mit Brille und Kärntner Dialekt hat große Pläne: Er will Volkskasperl werden.
Heribert Corn

Veit baut die Puppen, Ettl schreibt die Lieder und Texte für die Stücke. Wenn er vor lauter Frauen und Männern spiele, sei er aufgeregter als bei Kinderpublikum, erzählt der 65-Jährige. Schlicht weil er die Erwachsenen noch nicht so gewohnt sei: Nach Jederboy, einer Aufarbeitung der Ära Sebastian Kurz, ist Der Volkskasperl Ettls zweites Kasperlprogramm für die Großen.

Teuflische Machenschaften

Am Beginn steht eine Sinnkrise: Nach mehr Life und weniger Work sehnt sich der Kasperl. Eine scheinbar einfache Lösung tut sich auf: Ein zweiter Kasperl namens Gockl bietet sich an.

Der kleingewachsene einstige Student der Publizistik, der Geschichte sowie der Philosophie mit Brille und Kärntner Dialekt hat große Pläne. Er will Volkskasperl werden. Ein Glück, dass der Teufel bereit ist, ihn zu unterstützen. Mit Beistand seiner Helfer Donald Trump und Wladimir Putin. Und zu einem angemessenen Preis, versteht sich: Gockls Seele.

Wie wurde Herbert Kickl, wie er heute ist? Da kann nur schwarze Magie im Spiel sein. Um ihn zu stoppen, braucht es – wie könnte es im Kasperltheater anders sein – die Hilfe des Publikums.
Heribert Corn

Wie die faustische Geschichte ausgeht? Verraten sei an dieser Stelle nur so viel: Um dem Volkskasperl Gockl das Handwerk zu legen, braucht es – wie könnte es im Kasperltheater anders sein – die Zuseherinnen und Zuseher. "Weil wir davon ausgehen, dass sie ihn stoppen wollen", sagt Ettl. Ebenfalls – Achtung, Spoiler! – mit dabei: das Krokodil.

Mitgefühl für Kickl

Zum Kasperl habe sich FPÖ-Chef Herbert Kickl quasi selbst gemacht, meint Ettl. "Als er mit seinen Volkskanzlerfantasien begann, war das aufgelegt." Beim Schreiben habe ihn folgende Frage umgetrieben: "Wie wird man so menschenverachtend und unsensibel?" Für den Puppenspieler wurde schließlich klar: "Es kann nur schwarze Magie sein."

In Umfragen liegen Kickls Freiheitliche seit Monaten an der Spitze. Auch andernorts erfahren Rechtspopulisten regen Zulauf. Bleiben da nur noch Galgenhumor und Satire als Rettung? "Pessimistisch betrachtet: Ja", sagt Ettl. Ihm gehe es aber nicht darum, Kickl bloßzustellen. Sondern um Mitgefühl, beteuert er: "Ich stelle mir immer vor, dass so jemand als Kind ja nicht so war. Was muss da passiert sein?"

Donald Trump und Wladimir Putin treten in der Kasperlbühne im Prater als Hilfsteufel auf.
Heribert Corn

Zugleich gelte: "Kickl sagt Sachen, die kann man einfach nicht so stehen lassen." Der Volkskasperl ist für Ettl deshalb politische Bildung und Unterhaltung zugleich. Wobei er vermutet, in seinem Theater vor allem zu bereits Bekehrten zu predigen. Für sie sei eine Aufführung die Möglichkeit, zu schreien, aufzustampfen. Davon lebt eine Kasperlaufführung schließlich. "Das kann erleichternd sein", sagt Ettl. "Jeder hat ja seine Krokodile, denen er gern eine drüberziehen will."

Wiederaufnahme im Herbst

Im Juni ist Der Volkskasperl noch an drei Samstagen zu sehen, danach geht der Praterkasperl auf Sommerpause. Im September, vor der Nationalratswahl, will Ettl das Stück wieder ins Programm nehmen. Und er hat noch weitere Ideen: Ein Kickl-Lied würde ihn reizen. Andere Parteien inspirieren ihn ebenso: etwa die ÖVP und Parteichef Karl Nehammers Traum vom "Autoland Österreich".

Ausreichend Zeit, seine Wahrnehmungen in Kunst zu verwandeln, hat Ettl mittlerweile. Früher arbeitete er auch als Nachtredakteur beim Kurier, inzwischen ist er in Pension und kann sich voll und ganz seinem Theater widmen.

Ihm sei es wichtig, "Stellung zu beziehen", wie Ettl sagt. Doch was, wenn – anders als im Theater im Prater – Kickl und die FPÖ das Superwahljahr für sich entscheiden? Der Kasperl werde damit schon zurechtkommen: "Er hat zum Glück noch alle politischen Konstellationen überlebt." (Stefanie Rachbauer, 7.6.2024)