Billie Joe Armstrong, der Sänger von Green Day, ist mit seinen 52 Jahren noch immer Punk.
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Diesmal waren keine Gummistiefel nötig. Das Nova Rock 2024 steht ganz im Zeichen des Staubes, so ist das nämlich dort, wenn es ausnahmsweise nicht regnet. Auch sonst ist alles beim Alten: Literweise wird Bier geschleppt, die Kutten zieren Patches von Iron Maiden, Slayer oder Metallica, und emporgestreckte Hände machen die berühmte Pommesgabel. Metal! Auf dem Campingplatz dröhnen Rammstein aus den mitgebrachten Boxen. Bäng, bäng. Feuer frei!

So ein Festival beginnt am frühen Nachmittag. Silverstein screamen ein bisschen herum, die deutschen Punker Donots wollen sich einschleimen und predigen das 16er-Blech. Der Nova-Rock-Boden hat sich in einen staubigen Highway to Helles Bier verwandelt, das Ottarocker fließt in Strömen. Natürlich hat jemand einen Dosenhund gebastelt. Man spürt Vorfreude. Auf Billy Talent, auf Green Day, darauf, sich vier Tage lang nicht zu duschen (obwohl die Sanitäranlagen dieses Jahr ungewöhnlich hygienisch wirken) und ein durch Alkoholmissbrauch definiertes Gefühl der Freiheit zu empfinden. Das Line-up ist wieder einmal perfekt so, wie es sich ein vor 15 Jahren Elfjähriger gewünscht hätte. Nicht viel hat sich seit damals geändert. Aber Eristoff Ice gibt es jetzt in Dosen, und statt Zigaretten werden überall die penetrant nach Furz riechenden Iqos-E-Zigaretten geraucht.

Ein Hauch von Hollywood

Dann betritt ganz unscheinbar der wahrscheinlich berühmteste Mensch, der sich zu diesem Zeitpunkt im Burgenland befindet, die Blue Stage. "Ist er das wirklich, oder ist das nur ein Double?", hört man einen Betrunkenen fragen. Da steht jetzt Keanu Reeves auf der Bühne, Neo aus Matrix, Johnny Utah aus Gefährliche Brandung, John Wick aus John Wick. Der netteste Mensch Hollywoods. Ganz bewusst hält er sich im Hintergrund, mit seiner Band Dogstar spielt er einfach soliden Alternative Rock. Geduldig schreibt er danach auch noch Autogramme, macht Selfies, lässt sich ein Hundestofftier schenken.

Der Schauspieler Keanu Reeves gilt als sehr netter Mensch und ist auch ein passabler Bassist.
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Das Nova Rock ist bargeldlos, man muss kompliziert Geld auf sein Bändchen laden. Das ist eine Hürde – aber wenn man sie überwunden hat, kann man sich kulinarisch mit klassischem Rock-Food eindecken. Auch Langos, Pizza, Asia-Nudeln mit Gemüse und Glutamat oder ein Kebap um 12,50 Euro stehen auf dem Programm. Viel Frittiertes. Schnell wieder zurück zur Musik, bevor einem davon schlecht wird. Mit wummerndem Schlagzeug und heulenden Gitarren spielen Jane's Addiction routiniert ihren handgemachten Rock. Sänger Perry Farrell, der ist noch ein Rocker der alten Schule, trinkt seinen Rotwein direkt aus der Flasche. In den 1970ern habe er Led Zeppelin live gesehen, erzählt er, aber Jimmy Page sei zu betrunken gewesen, um zu spielen. Er nimmt selbst noch einen kräftigen Schluck.

Ein Stromausfall und Green Day

Weil Slipknot-Frontmann Corey Taylor abgesagt hat, kann man dann eigentlich gleich auf der Blue Stage bleiben. Billy Talent betreten die Bühne, plötzlich singt jeder mit. Sänger Benjamin Kowalewicz schreit sich routiniert die Seele aus dem Leib. Rusted from the Rain, Devil on My Shoulder, wie sie alle heißen, die Hits. Plötzlich, beim größten Hit Red Flag, ein Stromausfall. Ein taktischer Stromausfall? "That's the thing I love about Nova Rock, you motherfuckers are so crazy, you shut the fucking power down on stage", schreit der Sänger in die tobende Menge. Sie spielen noch einmal Red Flag. Kowalewicz muss gar nicht selbst hackln, jeder kennt den Text. Dann noch Fallen Leaves. Alle singen mit. Brav die Hits runtergespielt. Soll erfüllt, keine Zugabe. Baba!

Die Leute am Nova Rock sehen lieber Billy Talent als Billie Eilish.
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Dann schleichen sich die Kommerzpunker von Green Day auf die Bühne. Billie Joe Armstrong, mittlerweile über 50 Jahre alt, noch immer mit Stachelfrisur. Mike Dirnt, Jason White und Tré Cool am Schlagzeug, mit blauen Haaren, optisch, als ob er aus Willy Wonkas Schokoladenfabrik entflohen ist. Mit Punk hat das jetzt so viel zu tun wie der Investmentpunk, denkt man sich.

Etwas zurückhaltend beginnen sie ihr Set mit The American Dream Is Killing Me, einem Lied vom 2024 erschienenen Album Saviors. Merkbar hat das kaum jemand im Publikum gehört. Dann nimmt das Ganze doch noch Fahrt auf. Basket Case, American Idiot, Jesus of Suburbia, Boulevard of Broken Dreams. Irgendwann fliegt ein aufblasbares Flugzeug über die Menge, 30 Jahre ist das beste Green-Day-Album Dookie jetzt alt. Wake Me Up When September Ends. Feuerfontänen erstrahlen von der Bühne, es knallt wie zu Silvester. Pflichtschuldig liefern sie fast alle Hits. Das passt dann auch so.

Drüben spielen noch The Sisters of Mercy, aber gleichzeitig wird schon zusammengeräumt. Irgendwie ist das Nova Rock braver geworden. Ruhiger. Wo ist eigentlich Helga? (Jakob Thaller, 14.6.2024)