Viele afghanische Flüchtlinge mussten in den vergangenen Monaten aus Pakistan in die Heimat zurückkehren. Geht es nach Olaf Scholz, könnten in Deutschland verurteilte Afghanen künftig auch diesen Weg beschreiten.
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Wien – Neue Töne in Sachen Asyl kommen aus der SPÖ. Österreichs Sozialdemokraten unterstützen einen Vorstoß des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD), Abschiebungen in die Nachbarländer von Afghanistan und Syrien durchzuführen. "Wer Mord und Terrorismus bejubelt, ist kein Schutzsuchender", sagte SPÖ-Klubobmann Philip Kucher in der ZiB 2 am Donnerstagabend.

Am Freitag hieß es auf STANDARD-Nachfrage aus dem Büro Kucher, dass für die SPÖ Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien – so wie das ÖVP-Innenminister Gerhard Karner bereits seit längerem evaluieren will – aktuell eher unrealistisch seien. Es sei aber grundsätzlich sinnvoll, den Status der Herkunftsländer regelmäßig zu überprüfen. "Das ist ohnehin Standard." Denn an Lösungen für das Problem müsse jedenfalls gearbeitet werden.

SPÖ-Klubobmann Philip Kucher
SPÖ-Klubobmann Philip Kucher spricht sich dafür aus, Täter aus Afghanistan abzuschieben.
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Mit dem Scholz-Vorschlag, Rückführungen in Nachbarländer Afghanistans zu erwägen, sei man jedenfalls voll auf einer Linie. Nur: Bisher gibt es kein einziges solches Abkommen der EU oder auch nur eines einzelnen EU-Staats mit einem "sicheren Drittstaat" in der Region. Wie stellt sich die SPÖ das also konkret vor? Und welche Nachbarländer Afghanistans sollten das sein, mit denen ein Rückführungsabkommen geschlossen werden könnte? An Afghanistan grenzen mit dem Iran, Pakistan, Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan nämlich nicht eben lauter lupenreine Demokratien.

Vorbild Türkei-Deal

Wie genau Abkommen mit Drittstaaten aussehen könnten, müsse Schritt für Schritt geprüft werden, heißt es aus dem Büro Kucher. Es sei jedenfalls sinnvoll, auszuloten, wo noch nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten bestehen könnten. Im Grunde gehe es dabei um Abkommen in der Art des bestehenden EU-Migrationspakts mit der Türkei, heißt es aus Kuchers Büro. Beim Deal mit Ankara ging es aber vor allem um die Reduzierung von Fluchtbewegungen nach Europa und weniger um Abschiebungen. Was Rückführungen betrifft, sei ein gemeinsamer Ansatz der EU-Mitglieder sinnvoller als bilaterale Abkommen einzelner EU-Länder mit einzelnen Drittstaaten, so das Büro Kucher.

Auch SPÖ-Parteichef Andreas Babler sprach sich am Freitag gegenüber der Krone für Abschiebungen aus. Man könne Straftaten wie die Messerattacke in Mannheim Ende Mai "nicht dulden". Konsequenzen sollten, so Babler, von hohen Gefängnisstrafen bis zu Ausweisungen gehen. Dafür bräuchte es ein Rückführungsübereinkommen. Die Mehrheit der Schutzsuchenden würde durch "diese Islamisten diskreditiert" werden. Laut seinem Büro lehnt Babler aber Verhandlungen mit den Taliban ab. "Im Unterschied zu (Andreas, Anm.) Mölzer und Karner schließen wir aus, uns mit den Taliban an einen Tisch zu setzen", zitiert Puls 24.

Kritik gab es unterdessen von FPÖ-Chef Herbert Kickl. Die SPÖ habe genauso wie die ÖVP, die Grünen oder die Neos der "illegalen Masseneinwanderung unter dem Deckmantel Asyl immer Tür und Tor" geöffnet.

Scholz empört

Am Donnerstag hatte in Deutschland Kanzler Olaf Scholz Abschiebungen von Schwerstkriminellen nach Afghanistan und Syrien vorgeschlagen. "Es empört mich, wenn jemand schwerste Straftaten begeht, der hier bei uns Schutz gesucht hat", sagte er bei seiner Rede im Bundestag. Er nahm damit Bezug auf das Attentat von Mannheim, das in Deutschland für Entsetzen gesorgt hatte.

Seit August 2021 sind die Taliban in Afghanistan wieder an der Macht.
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Ein junger Afghane hatte bei einem Angriff auf Islamkritiker und -kritikerinnen einen jungen Polizisten so schwer verletzt, dass dieser zwei Tage später verstarb. "Solche Straftäter gehören abgeschoben, auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen", so Scholz. Seit der Machtübernahme der Taliban 2021 führt Deutschland keine Abschiebungen nach Afghanistan durch. Nach Syrien wird wegen des nach wie vor andauernden Bürgerkriegs nicht abgeschoben.

Widerstand von den Grünen

"Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder haben hier nichts verloren. In solchen Fällen wiegt das Sicherheitsinteresse Deutschlands schwerer als das Schutzinteresse des Täters", sagte Scholz und betonte, dass das deutsche Innenministerium bereits an einer Verschärfung der Regelungen arbeite. Während die FDP dies gutheißt und erklärt, es dürfe "keine Denkverbote" geben, kommt Widerstand vom grünen Koalitionspartner.

"Die Taliban haben in Afghanistan seit 2021 ein menschenverachtendes Regime errichtet, unter dem besonders Frauen und Kinder leiden. Jede Ausweisung und jede Abschiebung nach Afghanistan erfordert eine Zusammenarbeit mit diesem islamistischen Terrorregime und damit quasi eine Anerkennung der Taliban. Dies wäre aus meiner Sicht ein großer Fehler", sagt die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne), in der Tageszeitung (Taz).

"Der Innenminister der Taliban ist ein international gesuchter Terrorist", gibt der österreichische Völkerrechtsexperte Ralph Janik in der ZiB 2 aber zu bedenken. Abschiebungen würden eine Zusammenarbeit mit dem Taliban-Minister Sirajuddin Haqqani erfordern, damit würde man die Taliban-Regierung in Afghanistan, die von kaum einem Land anerkannt wird, "faktisch anerkennen". Und in Syrien müsste man mit dem Regime von Machthaber Bashar al-Assad zusammenarbeiten, auch das wäre ein brisanter Schritt.

Keine Ausnahme in EMRK

Laut Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention ist eine Person, die "aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist", vom allgemeinen Verbot ausgenommen, Flüchtlinge in Gebiete auszuweisen, in denen "ihr Leben oder ihre Freiheit" in Gefahr sind.

Artikel drei der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) trifft aber keine solche Unterscheidung und setzt das sogenannte Refoulement-Verbot absolut, egal ob es sich um einen Straftäter handelt oder nicht. Artikel drei der EMRK steht in Österreich in Verfassungsrang. Verstöße gegen diese Regelung können also verfassungsrechtlich bekämpft werden. Auch Janik geht davon aus, dass etwaige Abschiebungen seiner Meinung nach nicht mit der EMRK vereinbar seien.

Umweg über Nachbarländer

Um eine direkte Zusammenarbeit mit dem Assad-Regime und den Taliban zu verhindern, wird in Deutschland erwogen, die Menschen in die Nachbarländer Afghanistans und Syriens zu bringen, damit sie von dort in die Heimatländer abgeschoben werden können. Konkret wird etwa Pakistan genannt. Allerdings würde weiterhin der rechtliche Grundsatz gelten, dass Menschen nicht dorthin abgeschoben werden können, wo ihnen Folter oder unmenschliche Behandlung droht.

So gesehen sind die Pläne nur umsetzbar, wenn man Afghanistan und Syrien oder zumindest Teile der Länder als sicher einstuft. In Deutschland hatte die Innenministerkonferenz, also die Innenminister der Bundesländer, das Bundesinnenministerium im Dezember 2023 aufgefordert, zu prüfen, wie Abschiebungen von Straftätern auch nach Afghanistan und Syrien durchgeführt werden können. Das Ergebnis soll bei der nächsten Innenministerkonferenz am 19. Juni vorgestellt werden. (Isadora Wallnöfer, Matthias Balmetzhofer, Martin Tschiderer, Birgit Baumann aus Berlin, Kim Son Hoang, APA, 7.6.2024)

Video: Abschiebungen nach Afghanistan: Das sind die Hürden
AFP