Die österreichische Künstlerin Martha Jungwirth vor einem Gemälde aus der Serie "Australidelphia" im Guggenheim-Museum Bilbao.
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Seit einigen Jahren ist Martha Jungwirth, die 1940 in Wien geborene Künstlerin, einer der großen Stars des internationalen Kunstbetriebs aus Österreich. Seit Freitag widmet ihr nun das weltberühmte Guggenheim-Museum im nordspanischen Bilbao mit 67 Werken eine großangelegte Retrospektive. "Für mich ist das ein Höhepunkt meiner Karriere, im Guggenheim, dem schönsten Museum der Welt, ausstellen zu dürfen", erklärte Jungwirth am Rande der Ausstellung.

Vielversprechender Beginn

Der Start ihrer Laufbahn verlief vielversprechend. Mit 21 Jahren wurde Martha Jungwirth bereits mit dem Otto-Maurer-Preis geehrt. 1968 stellte sie an der Seite von Wolfgang Herzig, Kurt Kocherscheidt, Franz Ringel und Robert Zeppel-Sperl als einzige Frau in der Gruppenausstellung Wirklichkeiten in der Wiener Secession aus. 1977 kam dann die Krönung der Wiener Künstlerin. Mit ihren abstrakten Geschirrspüler-Gerippen-Aquarellen aus der Serie Indesit wurde sie zur Documenta 6 nach Kassel eingeladen.

Doch dann wurde es plötzlich ruhig um Jungwirth. Über Jahrzehnte übersah oder ignorierte sie der Kunstmarkt praktisch. Auch große Museen stellten sie nicht aus. Doch sie arbeitete weiter – kontinuierlich, aber weitgehend zurückgezogen in ihrem Wiener Atelier. Bis sie 2010 von Albert Oehlen "wiederentdeckt" wurde. Der bekannte Künstler kuratierte damals eine Gruppenschau im Museum Essl in Klosterneuburg und war so begeistert von ihren Werken, dass er Jungwirth gleich einen eigenen Raum widmete.

Später Erfolg

Plötzlich, mit 70 Jahren, wurde sie auch international wieder wahrgenommen. London, Paris, New York, Tokio – weltweit stellen renommierte Museen und Galerien ihre Werke aus; natürlich auch die Kunsthalle Krems und die Wiener Albertina. Ihre Werke erzielen mittlerweile Rekordpreise. 2021 wurde der Malerin der Große Österreichische Staatspreis verliehen.

Nun also Bilbao. Es bedeute ihr sehr viel, in denselben Räumen auszustellen, in denen zuvor unter anderen auch Oskar Kokoschka gezeigt wurde – der Kokoschka-Preis wurde ihr 2018 verliehen –, sagte Jungwirth. Eindrucksvoll bespielt sie die riesigen Ausstellungshallen des Guggenheim-Museums mit ihren temperamentvollen abstrakten Ölgemälden und Aquarellen.

"The Apocalyptic Animal" von Martha Jungwirth.
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Jungwirths kraftvollen Werke sind in einem ausgesprochen nonkonformistischen Stil gehalten. Sie arbeitet mit schnellen, fast wütenden Pinselstrichen und pastosen bunten Farben, vor allem Grün, aggressivem Gelb, Blau und verschiedensten Rottönen. Die unregelmäßigen Formen und intensiven Farben verleihen ihren Gemälden eine gewisse Spontaneität.

Materialienvielfalt

Mit scharfer Beobachtungsgabe und persönlichen Gefühlen analysiert sie Menschen, Tiere und Landschaften, die sie auf Materialien wie Pappe, Leinwänden, Papier, Kartons und sogar auf Geschäftsbüchern darstellt. Sie stellt auch Bezüge zur Kunstgeschichte her, zu Malern, die sie liebt. Wie Francisco de Goya, dessen Maja sie gleich in einer ganzen Serie neuinterpretierte. "Schaut man auf die Ereignisse in der Ukraine und Europa, denkt man an die Corona-Pandemie, könnten Goyas Werke über die Schrecken des Kriegs kaum aktueller sein", erklärt die 84-Jährige.

Die Ausstellung im Guggenheim Bilbao untersucht Jungwirths Werk von den 1970er-Jahren bis zur Gegenwart. Die Retrospektive ist thematisch gehängt, unterteilt in "Objekte und Personen", "Malreisen" – nach Bali, Mexiko, Jemen und nach Griechenland –, wo es ihr während vieler Aufenthalten gelang, die sie sehr interessierende griechische Mythologie lebendig und sehr persönlich darzustellen. "Tiere" und "Kunstgeschichte" sind die beiden anderen Ausstellungsschwerpunkte. Einige ihrer neueren Bilder sind beeinflusst von den Waldbränden in Australien, bei denen auch Millionen Tiere zugrunde gingen.

Besonders beeindruckend wirken aber ihre Porträts wie beispielsweise jenes des Kunsthistorikers Alfred Schmeller (1986) und ihr Selbstporträt. Der Grund: "Porträts male ich von Menschen, die ich besonders mag oder gar nicht mag. Nur dann werden sie so lebendig", sagt Jungwirth.

Das Gemälde "Maja II" aus der Serie "Francisco de Goya, Maja".
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Sich treu bleiben

"Martha Jungwirth hat eine unglaubliche Fähigkeit, Realität und Abstraktion auf einzigartige Weise zu verschmelzen und Werke zu schaffen, die sowohl visuell als auch emotional fesselnd sind", erklärt Ausstellungskuratorin Lekha Hileman Waitoller. Dabei behandle sie die Themen mit persönlichen Erfahrungen, unkonventionellen Materialien, überschreite stilistische Grenzen.

Was sie jedoch besonders in der Kunstwelt macht: "In einer Zeit, in der sich künstlerische Trends schnell veränderten, blieb sie ihrer einzigartigen Vision treu und entwickelte einen unverwechselbaren abstrakten Stil, der Elemente der Abstraktion mit subtilen Bezügen zur Realität verbindet", so die Kuratorin.

Doch genau diese Treue zu ihrem sehr eigenen Stil wurde ihr in gewisser Weise auch zum Verhängnis. Die mangelnde internationale Anerkennung Jungwirths bis zu ihrem 74. Lebensjahr lasse sich durch mehrere Faktoren erklären, erklärt Hileman Waitoller. Erstens wohnte Jungwirth nicht in einem der großen internationalen Kunstzentren wie New York, London oder Paris. Zudem folgte Jungwirth nie den vorherrschenden Trends in der Kunst. "So entsprach ihre Arbeit nicht immer den Vorlieben des damaligen Marktes oder jenen der Kuratoren und Museumsdirektoren. Dies, gepaart mit der historischen mangelnden Anerkennung von Künstlerinnen, trug zu Jungwirths verspätetem, aber wohlverdientem internationalem Ruhm bei."

In Österreich ungeliebt?

Martha Jungwirth schaut in den Sälen des Guggenheims auf ihr Lebenswerk. Sie ist stolz. "Ich habe eine gute Arbeit hinter mir. Obwohl man mich in Österreich anscheinend nicht liebt, muss man diese Qualität doch irgendwann mal bemerken, wie es das Guggenheim getan hat", meint Martha Jungwirth sichtlich verärgert.

Werke aus Jungwirths Serie "Indesit" (1976).
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Doch Tatsache ist auch: In kaum einem anderen Land gibt es so viele ihrer Werke wie in Österreich. Auch das zeigt die Retrospektive, die noch bis zum 22. September läuft. Die 67 Werke Jungwirths stammen aus Museen und Galerien aus den USA, der Schweiz, Spanien und vor allem aus Privatsammlungen aus Österreich, England, Italien, Bulgarien und Deutschland. Das Pariser Centre Pompidou steuerte Hier und jetzt und nie wieder (1982–83) bei. Die meisten in Bilbao gezeigten Aquarelle und Ölgemälde kommen allerdings aus Österreich. Das Wien-Museum, das Salzburger Museum der Moderne und das Linzer Lentos stellten dem Guggenheim Arbeiten zur Verfügung, ebenso das Mumok, das Museum Liaunig, die Albertina und die Sammlung Oesterreichische Nationalbank. Eine große Anzahl an Werken lieh auch die internationale Salzburger Galerie Thaddaeus Ropac Gallery, die Jungwirth vertritt. (APA, 7.6.2024)