Bojko Borrisow
Bojko Borrisow in einem Wahllokal in Sofia am Wahltag.
AFP/NIKOLAY DOYCHINOV

Sofia – Bei der parallel zur EU-Wahl abgehaltenen Parlamentswahl in Bulgarien ist die konservative Partei von Ex-Regierungschef Bojko Borissow laut Exit-Polls stärkste Kraft geworden. Die Partei Gerb (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) errang laut den am Sonntagabend veröffentlichten Umfrageergebnissen einen Stimmenanteil zwischen 26 und 28 Prozent. Das liberale Reformbündnis PP-DP, mit dem die Gerb-Partei nach der vergangenen Wahl im Vorjahr einige Monate koaliert hatte, rutschte hingegen auf knapp 16 Prozent ab. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 30 Prozent.

Die neue Stimmenverteilung hatte sich in Umfragen vor der Wahl bereits abgezeichnet. Der Urnengang am Sonntag war die sechste Parlamentswahl in Bulgarien binnen drei Jahren. Im Wahlkampf hatten Borissow und seine Partei Gerb die Bildung einer Koalition in Aussicht gestellt, mit der die jahrelange politische Instabilität in dem Land beendet werden soll.

Als möglichen Partner dafür brachte sich bereits die Partei der türkischen Minderheit DPS ins Gespräch. Experten zufolge dürfte sich die Regierungsbildung aber schwierig gestalten. Experten halten es daher für wahrscheinlich, dass für den Herbst erneut Neuwahlen angesetzt werden müssen. In diesem Fall würden sich im ärmsten EU-Land die Reformen, welche die Voraussetzung für die Freigabe von EU-Mitteln und eine Vollmitgliedschaft Bulgariens im Schengenraum sind, weiter verzögern.

Fünf Übergangsregierungen

Bulgarien, das ärmste Land in der EU, befindet sich seit Jahren in einer politischen Krise. Mehrere Wahlen führten zu zersplitterten Parlamenten, in denen keine Partei in der Lage war, eine funktionierende Regierung zu bilden. Die Gerb-Partei hatte Bulgarien fast ununterbrochen von 2011 bis 2021 regiert, wurde aber nach massiven Protesten wegen Korruptionsvorwürfen 2020 zunehmend isoliert.

Das Reformbündnis PP-DP arbeitete zuletzt jedoch mit der Mitte-rechts-Partei Gerb zusammen. So vereinbarten sie etwa, dass das traditionell Russland-freundliche Bulgarien die Ukraine bei der Abwehr des russischen Angriffskriegs unterstützt. Nach nur neunmonatiger Zusammenarbeit überwarfen sich PP-DP und Gerb im April jedoch im Streit über eine wichtige Justizreform und andere Reformvorhaben.

Im März war ein Regierungsbündnis beider Parteien zerbrochen. Bulgarien wird deswegen gegenwärtig von einer Übergangsregierung geführt. Seit 2020 hat Präsident Rumen Radew fünf Übergangsregierungen eingesetzt, nachdem mehrere Koalitionen nach Streitigkeiten gescheitert waren. Das Land hat am Sonntag zum sechsten Mal in drei Jahren ein neues Parlament gewählt. Im Tagesverlauf hatte sich eine niedrige Wahlbeteiligung abgezeichnet.

Hart umkämpft war der zweite Platz und davon hängt zum größten Teil die Regierungsbildung ab. Auf fast den gleichen Zuspruch kamen am Sonntag gleich drei Parteien: die liberale Partei der türkischen Minderheit DPS, das liberal-konservative Wahlbündnis PP/DB und die antieuropäische prorussische Partei "Wazraschdane" (zu Deutsch: Wiedergeburt) mit jeweils rund 15 bis 16 Prozent. Die Russland-orientierten Sozialisten erreichen fast das gleiche Wahlergebnis wie im April 2023 – 9,8 Prozent. Die kleinste Parlamentsfraktion im neuen Parlament in Sofia stellt die populistische Formation ITN des Showmasters Slawi Trifonow, die mit 6,4 Prozent wieder den Sprung ins Parlament schafft, wofür mindestens vier Prozent der abgegebenen Stimmen notwendig sind.

Erneute Koalition unwahrscheinlich

Die Gerb-Partei gewann zum vierten Mal in Folge eine Parlamentswahl in Bulgarien, diesmal jedoch deutlicher als zuvor. Politische Beobachter erwarten allerdings nicht, dass es erneut zu einer Koalition mit der verfeindeten PP/DB (Wandel fortgesetzt und Demokratisches Bulgarien) kommt.

Der erste politische Kommentar kam vom Co-Vorsitzenden der DPS, Deljan Peewski, einem umstrittenen Geschäftsmann und Politiker, der von den USA wegen Korruption sanktioniert wird. "Die Bulgaren verdienen einen Neuanfang und eine stabile Regierung, die das Funktionieren des Staates möglich macht", sagte er am Wahlabend. Er setze auf die Vernunft der Politiker. Gerb-Chef Borissow hatte zuvor angekündigt, die Wahlergebnisse erst am Montag zu kommentieren.

Das liberal-konservative Bündnis PP/DB verzeichnet deutliche Verluste – rund zehn Prozent weniger als bei der letzten Wahl im April 2023 – und erklärt dies mit der neunmonatigen Koalition mit Borissows Partei und der indirekten Duldung durch die Partei von Deljan Peewski. Auch das Reformbündnis will sich am Wahlabend nicht äußern. (APA, 9.6.2024)