FPÖ-Chef Herbert Kickl hatte am Abend der EU-Wahl Grund zur Freude.
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In zehn Tagen ist es so weit: Herbert Kickl begeht sein dreijähriges Jubiläum an der Spitze der FPÖ. Grund zum Feiern hat er aber schon jetzt. Was noch keinem Parteichef bei einer bundesweiten Wahl vor ihm gelungen war, trauten weite Teile der Partei bis vor wenigen Jahren auch Kickl nicht zu: die FPÖ zur Nummer eins zu machen.

Zwar hatten die Freiheitlichen in der Vergangenheit auch schon das eine oder andere Mal Umfragen angeführt, Hoffnungen auf Platz eins wurden aber spätestens am Wahlabend jäh zunichtegemacht. Nicht so Sonntagabend: 25,5 Prozent der Stimmen bescherten den Freiheitlichen laut vorläufigem Ergebnis samt Wahlkartenprognose Platz eins bei der EU-Wahl. Ein historischer Moment für die Partei. Und das, obwohl es sich in Prozentpunkten um kein Rekordergebnis handelt – bei der EU-Wahl 1996 hatte die Partei 27,5 Prozent erzielt, was damals allerdings nur für Platz drei gereicht hatte.

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Keine g'mahde Wies'n

Dass die EU-Wahl dennoch nicht ganz so gut ausgegangen ist wie prophezeit, lässt bei den Blauen so manchen zürnen – nicht ob des Ergebnisses, sondern ob der Seriosität von Umfragewerten. Diese hatten die FPÖ bei der EU-Wahl seit Wochen auf Platz eins gesehen – und zwar mit 25 bis 30 Prozent der Stimmen. Mit 25,5 Prozent siedelte sich das Ergebnis auf der unteren Skala dessen an, was Demoskopen vorhergesagt hatten. Hinzu kommt, dass der Abstand zwischen FPÖ und ÖVP im Laufe des Wahlabends auf weniger als einen Prozentpunkt schmolz. Ein haushoher Sieg mit klarem Abstand zum Zweitplatzierten sieht anders aus.

Das Ergebnis vom Sonntag habe "wieder einmal gezeigt, dass mit Umfragen gar nichts feststeht und es der Wahltag ist, der zählt – und sonst nichts", sagt Generalsekretär Michael Schnedlitz im STANDARD-Gespräch. Den geringen Abstand zum Zweitplatzierten will man in der FPÖ aber nicht als Wermutstropfen sehen. Dass es der erste Platz geworden ist, sei "für uns psychologisch extrem wichtig", formuliert es ein Freiheitlicher. Außerdem würde der knappe Abstand zur ÖVP das Risiko schmälern, dass Anhängerinnen und Sympathisanten demobilisiert werden könnten, indem sie davon ausgehen, die Nationalratswahl im Herbst sei für die FPÖ ohnehin eine g'mahde Wies'n.

Stimmung schlägt Themen

Mit harter EU-Kritik, einem noch härteren Asyl- und Migrationskurs, scharfem Auftreten gegen Russland-Sanktionen und die Hilfszahlungen für die Ukraine, dem blauen Gassenhauer Corona sowie Kritik an der Teuerung und dem "Öko-Kommunismus" konnten Wählerinnen und Wähler vom letzten Mal gehalten sowie aus dem Lager der ÖVP und dem Nichtwählersegment abgeholt werden. Es war ein Kurs, der in Zeiten der Krise, Unzufriedenheit und Unsicherheit auf die Erfolgsspur geführt hatte. Der FPÖ gelingt es wie keiner Zweiten, die herrschende Proteststimmung in Wählerstimmen umzuwandeln.

Der Testlauf ist also geglückt, die blaue Strategie funktioniert. Sogar mit einem Spitzenkandidaten, der zwar ebenfalls große Bekanntheit genießt, in der Partei fest verankert und mit allen politischen Wassern gewaschen ist, aber nicht einmal annähernd als Zugpferd wie Kickl gilt. Dass man ausgerechnet eine Europawahl – und damit eine Wahl, bei der die Partei traditionell schwächer abschneidet als bei Nationalratswahlen – für sich entscheiden kann, lässt die Freiheitlichen jedenfalls mit einer großen Portion Zuversicht in den bevorstehenden Nationalratswahlkampf und in den Herbst gehen.

Inhaltlich will man bis dahin an keiner Schraube drehen, sondern die auf dem Tisch liegenden Themen auch in den kommenden Monaten bespielen, sagt Schnedlitz. Wobei der Generalsekretär auch meint: "Einen erfolgreichen Wahlkampf schlägt man nicht mit Themen, sondern mit Stimmung." Hauptausschlaggebend für Stimmung seien wiederum "Glaubwürdigkeit und Vertrauen". Genieße eine Partei oder ein Spitzenkandidat weder das eine noch das andere, könne man "thematisch auf den Tisch legen was man will, man wird nicht erfolgreich sein".

Erfolgreich sein – das bedeutet für die FPÖ Platz eins, um den Anspruch auf den Kanzlersessel erheben zu können. Oder wie Herbert Kickl es Sonntagabend formuliert hatte: "Der erste Schritt ist gemacht, die nächste Stufe heißt Bundeskanzleramt." Das werde laut Schnedlitz "ein riesiger Kraftakt werden".

Neue Gesichter für die Wahl

Sollte dieser Kraftakt tatsächlich gelingen, soll Kickl auch derjenige sein, der am Ballhausplatz einzieht – daran lässt niemand in der Partei auch nur ansatzweise einen Zweifel aufkommen. Immer wieder machen zwar alle möglichen Gerüchte die Runde, wonach die FPÖ darüber nachdenke, Kickl als freiheitlichen Spitzenkandidaten, aber andere Parteigranden als blaue Kanzlerkandidaten zu positionieren. Hört man in die Partei hinein, scheint es jedoch, als würden diese Erzählungen vor allem von so manchem politischen Mitbewerber gestreut, der zwar mit der FPÖ als Koalitionspartner liebäugelt, partout aber nicht Kickl zum Regierungschef machen will.

An anderer Stelle plant die FPÖ dem Vernehmen nach aber schon, ein personelles Angebot zu machen, das breiter ist als das bisherige. Ein Hebel dürfte hier die Bundesliste für die Nationalratswahl sein, die, so ist zu hören, noch im Juni im Rahmen eines Bundesparteivorstandes beschlossen werden soll. In den blauen Reihen wartet man jedenfalls "gespannt auf die Bundesliste", wie es ein Landespolitiker formuliert. Allerorten rechnet man damit, dass diese für so manche Überraschung sorgen werde. Personen, die die Themen Corona und Wirtschaft glaubhaft vertreten, sollen darauf zu finden sein.

War vor fünf Jahren auf den ersten zehn Listenplätzen nur ein Quereinsteiger zu finden, dürfte das diesmal deutlich anders aussehen. Gleich mehrere neue Gesichter sollen aussichtsreiche Listenplätze erhalten, erste Namen kursieren bereits, über die DER STANDARD schon berichtet hatte. Darunter Marie Christine Giuliani und Lisa Gubik, die beide unter anderem für den Sender FPÖ-TV tätig sind, und der Arzt Hannes Strasser, der mit dem künftigen EU-Abgeordneten Gerald Hauser mehrere Corona-Bücher verfasst hat. Auch der Name Barbara Kolm, die ehemalige FPÖ-Politikerin war zuletzt auf einem blauen Ticket Vizepräsidentin der Nationalbank, fällt in diesem Zusammenhang.

Die Vorbereitungen in Sachen Nationalratswahl laufen bei den Freiheitlichen jedenfalls seit Monaten auf Hochtouren. Nur am Tag nach der Wahl wird pausiert. Die FPÖ begeht in alter Tradition ihren "blauen Montag". (Sandra Schieder, 10.6.2024)