Die Weltbevölkerung wächst, überaltert in vielen Staaten, und steigender Wohlstand fördert ungesunden Lebensstil – Gesundheit gilt seit langem als aussichtsreiche Wachstumsbranche. Eines der weltweit größten Probleme ist Adipositas, also starke Übergewichtigkeit. Die neuen Abnehmspritzen versprechen Betroffenen eine einfache Lösung: Einmal pro Woche verabreicht, wirken sie wie ein Darmhormon und sorgen für ein Sättigungsgefühl. Auf diese Weise können Patienten und Patientinnen bis zu 20 Prozent ihres Körpergewichts verlieren. Für Menschen mit starkem Übergewicht – in Industrieländern werden 2030 etwa 310 Millionen mit Adipositas leben – kann sich das als Segen erweisen.

Lunch Break II Four construction workers expose their rear ends while leaning over on a bench to eat lunch USA No model
IMAGO/Jimmy Williams

Diesen Personen können durch die Behandlung auch Folgeerkrankungen von Herz-Kreislauf, an Gelenken oder Diabetes erspart bleiben. Diese Erwartung ließ Schockwellen durch die Gesundheitsbranche rollen. Während bei den beiden Diätspritzenerzeugern Novo Nordisk aus Dänemark und Eli Lilly aus den USA die Kassen klingeln, fürchten andere um das Geschäft mit Adipositas-Folgeerkrankungen – etliche Aktien sackten im Vorjahr deshalb kurzfristig ab.

Sind also die sogenannten GLP-1-Diätmittel wie Wegovy oder Ozempic von Novo Nordisk Gamechanger, die die Spielregeln der Branche ändern? "Für den Gesundheitssektor kann man den Begriff ‚disruptiv‘ verwenden", sagt Fondsmanager Leopold Salcher von Raiffeisen Capital Management. Wovon die Erzeuger profitieren, nach einer Verfünffachung des Aktienkurses in fünf Jahren hat Novo Nordisk unlängst Tesla beim Börsenwert überflügelt.

"Lucky Punch"

"Man kann das als Lucky Punch bezeichnen", sagt Salcher dazu, dass die GLP-1-Diätspritzen eigentlich Mittel gegen Diabetes sind, die sich als geeignet zur Gewichtsabnahme erwiesen haben. Nun versuchen andere Pharmakonzerne, eigene Diätspritzen zu entwickeln, während Eli Lilly dem Fondsmanager zufolge derzeit bei der Erforschung eines oral einzunehmenden Mittels die Nase vorn hat. "Das ist alles noch in einer Findungsphase", sagt er. "Die Hersteller sehen, dass extrem viel Geld damit zu verdienen ist."

Weltweit würden etwa 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung im Zusammenhang mit Adipositas und den Folgen erzielt. "In den USA sind 42 Prozent der Bevölkerung wirklich adipös", erklärt Salcher, "die Zahlen sind erschreckend." Auch die Kosten, denn das US-Gesundheitssystem wendet jährlich gut 300 Milliarden Dollar für die Folgen von Adipositas auf. Mit den Diätspritzen könnte ein großer Teil davon künftig eingespart werden – was Unternehmen aus dem Gesundheitssektor an Einnahmen fehlen könnte.

"GLP-1 ist der neue, große disruptive Faktor in der Pharmabranche", zitiert das Handelsblatt Florian Leschinsky von der Unternehmensberatung Kearney in Deutschland. Für dort ansässige Unternehmen im Gesundheitsbereich sieht er ein durchschnittliches Umsatzrisiko von bis zu 23 Prozent bis zum Jahr 2033 durch die Diätspritzen. Allerdings schränkt Leschinsky auch ein: "Wir sind gerade erst am Anfang der GLP-1-Wachstumsphase." Es werde noch einige Jahre dauern, bis sich tatsächlich feststellen lasse, inwiefern Folgeerkrankungen beeinflusst würden.

"Übertriebene Geschichte"

Als "übertriebene Geschichte" stuft Erste-Group-Analyst Hans Engel, früher selbst in der Pharmabranche tätig, die Befürchtungen massiver Umsatzeinbußen ein. "Es gibt eine riesige Zielgruppe", räumt er ein, "aber der Markt steht von der Bearbeitung noch ganz am Anfang." Die Mittel von Novo Nordisk und Eli Lilly seien hochpreisig und werden das auch bleiben. Selbst wenn Mitbewerber Alternativen entwickeln, werden die Pioniere voraussichtlich 80 Prozent Marktanteil behalten.

Somit bleiben Diätspritzen "eine exklusive Sache", denn: "Das ist auch eine Frage der Kosten, so billig ist das nicht." Zur Einordnung: Ozempic kostet 140 bis 300 Euro monatlich, das in Österreich nicht zugelassene Wegovy ist trotz selben Wirkstoffs teurer. In den USA bezahlen Versicherungen mitunter. Die Kassen in Österreich und Deutschland sind zurückhaltend.

Kasse zahlt selten

"In begründeten Einzelfällen bei Adipositas werden die Kosten von Ozempic von der Krankenkasse übernommen", heißt es auf Anfrage aus der ÖGK. "Als Therapieergänzung bei Übergewicht von an Diabetes erkrankten Menschen erfolgt die Kostenübernahme bei entsprechender Indikationsstellung." Die Kasse gibt auch zu bedenken: Nach dem Absetzen steige das Gewicht erfahrungsgemäß wieder an.

Vorerst wird also nur ein kleiner Teil der adipösen Menschen damit behandelt werden und sich die dadurch entstehenden Umsatzeinbußen im Gesundheitssektor in Grenzen halten. Zumindest bis die Patente auslaufen und günstige Generika auf den Markt kommen. "Das ist erst im nächsten Jahrzehnt der Fall", betont Engel. Die Gesundheitsbranche bleibe auch mit Diätspritzen eine Wachstumsbranche. (Alexander Hahn, 14.6.2024)