Wer ein Smartphone mit guter Kamera möchte, ohne gleich einen höheren dreistelligen Eurobetrag auszugeben, hat ein Problem. In der Regel skaliert nämlich der Preis mit den fotografischen Möglichkeiten. Selbst bessere Mittelklassegeräte kosten gut und gerne 500 Euro. Günstiger gibt es natürlich ältere Modelle, deren Softwaresupport dann aber schneller ausläuft.

In dieses Dilemma soll das Focus Pro 5G der ZTE-Tocher Nubia grätschen. Für 350 Euro soll hier alltagstaugliche Leistung geboten werden, aber garniert mit einer Kamera, die mit deutlich teureren Handys mithalten soll. Ein verlockender Pitch für all jene, die gerne schöne Aufnahmen machen möchten, aber nicht unbedingt Highend-Rechenleistung benötigen. DER STANDARD hat getestet, ob das Smartphone diesen Versprechungen auch gerecht wird.

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Äußerlichkeiten

Das Gerät präsentiert sich nicht gerade zierlich, aber gut verarbeitet. Es kommt auf Maße von 166 x 76,1 x 8,5 Millimeter und wiegt deftige 222 Gramm. Ein Mitgrund dafür ist die verglaste Rückseite, die auch das auffällige, große Kamerasegment beherbergt. Es empfiehlt sich, die beiliegende Schutzhülle zu verwenden, denn der Rücken des Focus Pro ist recht glatt. Auf der linken Seite findet sich die Lautstärkewippe, gegenüber davon der Ein-Aus-Schalter mit integriertem Fingerabdruckscanner. Dieser bietet zwar eine flotte Erkennung, neigt aber zu Aussetzern.

Darüber positioniert – und einhändig nicht mehr zu erreichen – ist ein Schiebeschalter mit zwei Positionen. Diesen kann man nutzen, um etwa schnell die Kamera oder den Stimmrekorder zu starten und zu beenden. Ansonsten muss man den Weg über das 6,7-Zoll-Display (2400 x 1080 Pixel) nehmen. Es handelt sich um ein IPS-Panel, das zwischen 60- und 120-Hertz-Wiedergabe umschalten kann. HDR-Support gibt es allerdings nicht. Angaben zur Helligkeit fehlen. Das Maximum dürfte sich im Bereich von 600 bis 800 nits bewegen. Die Darstellung von Farben und Kontrasten ist sehr ordentlich.

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Basics

Unter der Haube findet sich eine eher exotische Lösung, nämlich der Unisoc T760, ein im 6-Nanometer-Verfahren gefertigter Chip mit dem klassischen Profil der unteren Mittelklasse: Nämlich passable Leistung für alltägliche Dinge bei niedriger Energieaufnahme. Zugreifen darf der auf 8 GB RAM, wobei er bis zu 12 GB zusätzlich als Auslagerungsdatei am 256-GB-Onboardspeicher einkassieren darf.

Die restliche Ausstattung entspricht weitgehend einem aktuelleren Stand. Wie der volle Name des Geräts bereits suggeriert, wird 5G unterstützt. Es gibt zwei nanoSIM-Slots. Bluetooth ist in Version 5.2 an Bord, der höchste unterstützte WLAN-Standard ist allerdings nur Wifi 5 (802.11ac). Geladen wird das Telefon per USB-C. Einen 3,5-mm-Klinkenstecker für Audiobelange gibt es nicht.

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Software und Performance

Vorinstalliert ist eine Android-Adaption namens "MyOS 13". Bei der Einrichtung wird die Vorinstallation einer Reihe zweifelhafter Free2Play-Spiele vorgeschlagen. Selbst wenn man diese abwählt, bleibt man allerdings nicht von Bloatware verschont. Sieben Apps von Fremdanbietern – reichend von Tiktok und Facebook über weitere Free2Play-Games – sind ab Werk am System, aber zumindest schnell deinstallierbar.

Abseits der Anpassung verschiedener Farben und Icons bleibt MyOS sonst recht nah an "typischem" Android. Hie und da gibt es ein paar zusätzliche Features. Diese sind teilweise auch ganz praktisch, beispielsweise die Schnellanordnung von App-Icons entlang des oberen oder unteren Randes eines Homescreens. Was allerdings schmerzt ist, dass MyOS 13 auch tatsächlich auf dem nicht mehr gerade taufrischen Android 13 aufbaut. Öffentliche Informationen zur Updatepolitik hinsichtlich des Focus Pro 5G gibt es seitens Nubia derzeit nicht.

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DER STANDARD hat nachgefragt, ob bzw. wann mit einer Aktualisierung auf Android 14 zu rechnen ist und wie es mit zukünftigen Versions- und Sicherheitsupdates aussieht. Eine Antwort wurde zugesagt, traf aber nicht vor Testabschluss ein und wird ergänzt, sobald verfügbar. Mit Langzeit-Support ist allerdings nicht zu rechnen. Das aktuelle Flaggschiff des Herstellers, das Z60 Ultra, bekommt laut offizieller Formulierung "bis zu drei Jahre reguläre Systemupdates", wobei hier keine Distinktion zwischen Sicherheitspatches und Android-Versionssprüngen gemacht wird und auch keine Intervalle angegeben sind.

Hinsichtlich der Performance bietet das Focus Pro, was man von der Hardware erwarten kann. Das System selbst läuft flüssig und ruckelfrei, und die Leistung reicht auch für anspruchsvollere Casual Games aus. Das grafisch aufwendigere Diablo Immortal lässt sich zwar nur in niedriger Auflösung nutzen – eine höhere Einstellung wird seitens des Spiels auf diesem Gerät verweigert –, läuft darin aber selbst in mittelhohem Detailgrad flüssig mit 30 Frames pro Sekunde.

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Kamera

Überzeugen soll aber ohnehin vor allem die Kamera. Beim Hauptsensor hat man sich für einen 108-Megapixel-Sensor mit Weitwinkeloptik und optischer Bildstabilisierung entschieden. Flankiert wird er von einem 5-MP-Ultraweitwinkel. Dazu gibt es auch noch eine 2-MP-Kamera, bei der es sich um den Tiefensensor handeln dürfte.

Die Ergebnisse unterscheiden sich drastisch. Die Hauptkamera macht in der Tat eine meistens passable Figur und schlägt sich besser, als der Preis des Telefons es vermuten lassen würde. Sie fokussiert selbst bei schlechteren Lichtverhältnissen flott, die Farbdarstellung ist realistisch und der Detailgrad ist recht hoch. Anlasten kann man ihr, dass die Lichtempfindlichkeit eher niedrig liegt und das softwareseitige Postprocessing in manchen Situationen zu stark nachschärft.

Unter Kunstlicht leidet der Detailgrad etwas, ohne aber das Gesamtergebnis zu stark zu trüben. Bei Nachtfotos braucht man aufgrund der nicht gar so lichtstarken Optik etwas mehr Geduld, erhält aber auch dann absolut herzeigbare Resultate.

Konkurrenz für aktuelle iPhones, Samsungs S-Serie oder Googles Pixel ist das Focus Pro zwar nicht, die Hauptkamera erfüllt aber das Versprechen, fotografisch mehr zu liefern, als man zu diesem Preispunkt erwarten kann. Es gibt allerdings Luft nach oben hinsichtlich der nachträglichen Optimierung seitens der Kamerasoftware.

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Über den Ultraweitwinkel kann man leider kein positives Fazit ziehen. Denn dessen Output ist schlicht und ergreifend schlecht. Es fehlt an farblicher Abstimmung zur Hauptkamera, dazu kommen – trotz Autofokus – deutliche Unschärfe kombiniert mit Detailarmut, Bildrauschen und erheblichen Verzerrungen am Rand. All zu viel dürfte hier selbst mit softwareseitigen Nachbesserungen nicht zu retten sein. Schade drum.

Die Frontkamera läuft mit einem 32-MP-Sensor und beweist, dass Megapixel und Qualität nicht unbedingt in direktem Zusammenhang stehen. Selbst bei guten Lichtverhältnissen zeigt sich deutlicher Detailverlust bei feineren Strukturen, wie etwa Haaren, weswegen das Endergebnis bestenfalls durchschnittlich ausfällt. Bei schlechteren Lichtbedingungen sinkt die Abbildungsqualität erheblich, was sich auch am Nachlassen der Bildschärfe bemerkbar macht. Dass es keinen Selfie-Porträtmodus gibt ist für ein als Kamerahandy beworbenes Gerät eine eher erstaunliche Auslassung.

Die Kamera-App orientiert sich in ihrer Aufmachung ein wenig an Apple und bietet zahlreiche Modi. Es gibt auch einen für Makrofotos. Dieser stützt sich auf den Ultraweitwinkelsensor und bietet damit dankenswerterweise Autofokus. Allerdings löst das nicht die Probleme hinsichtlich Schärfe und Detailgrad und ist somit auch nur eine marginal bessere Lösung als die sonst gerne inkludierten, dedizierten Makrosensoren mit niedriger Auflösung.

Anstelle unterschiedlicher Zoomstufen gibt die Kamera-App Brennweitenäquivalente an. Tatsächlich handelt es sich aber abseits des Ultraweitwinkels einfach nur um unterschiedlich große Ausschnitte dessen, was der 108-MP-Weitwinkel einfängt. Wer Porträtfotos mit selbigem machen möchte, sollte nicht nach einem Porträtmodus suchen. Der gewünschte Modus mit anpassbarem Bokeh verbirgt sich hier nämlich hinter der Bezeichnung "Apertur". Es gibt auch einen eigenen Modus für Straßenfotografie, es blieb aber unklar, welchen Mehrwert dieser abseits unterschiedlicher Zoomstufen-Vorauswahl bietet. Dazu gesellen sich auch noch ein paar andere Modi und Filter, etwa für Lichtmalerei mit besonders langer Blendenöffnungszeit. Videos kann das Focus Pro mit maximal 4K-Auflösung bei 30 Bildern pro Sekunde aufnehmen.

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Akustik und Akku

Akustisch hat das Gerät wenig zu bieten. Wer per USB-C oder Bluetooth Kopfhörer anbietet, kann von DTS-Sound profitieren, die Tonausgabe des Handys selbst ist allerdings unspektakulär. Der Klang erschallt nämlich nur durch einen einzelnen Lautsprecher, was selbst in dieser Preisklasse eher nicht zeitgemäß ist. Die Lautstärke ist immerhin okay, und das Scheppern hält sich in Grenzen.

Besser ist es bei der Telefonie. Man hört das Gegenüber immer laut und deutlich, fallweise untermalt von etwas Rauschen und leichten Verzerrungen. Man selbst wird auch gut wahrgenommen. Hintergrundlärm wird ausgeblendet oder zumindest weit genug gedämpft, um sich gut unterhalten zu können, auch wenn der Klang der eigenen Stimme durch den Filtermechanismus etwas beeinträchtigt wird.

Zur Akkulaufzeit kann aufgrund der diesmal kürzeren Testdauer keine umfassende Angabe gemacht werden. Soweit während des Tests nachvollziehbar sollte der 5.000-mAh-Akku selbst Vielnutzer gut über den Tag bringen, sofern man dem System das Management der Bildwiederholrate überlässt. Wer 120 Hz dauerhaft einschaltet, muss stärkere Einbußen hinnehmen. Dank Unterstützung für Schnellladen mit 33 Watt ist der Energiespeicher zumindest einigermaßen flott wieder gefüllt.

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Fazit

Mit dem Focus Pro hätte Nubia eine echte Lücke besetzen können. Denn Handys mit passabler Performance aber sehr guter Kamera fürs Mittelklassebudget sind selten. Die Ansätze zur Erfüllung des Versprechens sind da, denn zumindest die Hauptkamera macht – trotz mancher Defizite – eine ordentliche Figur. Leider wird das Erlebnis durch die eher maue Frontkamera und den schlechten Ultraweitwinkelsensor teilweise entwertet.

Die Performance des Smartphones ist jedenfalls absolut ausreichend für den täglichen Bedarf der allermeisten Nutzer. Abgesehen von der Bloatware macht auch die Software eigentlich einen guten Eindruck, wäre da nicht der Haken, dass auf dem bald zwei Jahre alten Android 13 fußt und Nubia nicht gerade für großzügige Updategarantien bekannt ist. Was bleibt, ist einmal mehr Verwunderung über eine verpasste Chance. (gpi, 16.6.2024)

Testfotos

Sofern nicht anders deklariert, wurden die Fotos mit Weitwinkel und ohne Zoom aufgenommen.

Kunstlicht
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Tageslicht
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Tageslicht, 72-mm-Äquivalent
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Makro
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Tageslicht
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Tageslicht, 16 mm (Ultraweit)
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24 mm (Weitwinkel)
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72 mm
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Tageslicht
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Makro
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Street-Modus, 50 mm
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Frontkamera, Tageslicht
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Kunstlicht
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Street-Modus, 16 mm
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24 mm
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35 mm
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50 mm
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Tageslicht
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Frontkamera, Nacht
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Nachtmodus
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