Emir Suljagić wurde von der Polizei verhört.
AP/Armin Durgut

Drei Wochen nachdem in der UN-Generalversammlung die Resolution zum Gedenken an den Genozid an bosnischen Muslimen rund um den ostbosnischen Ort Srebrenica im Jahr 1995 angenommen worden ist, wurde am Mittwoch der Leiter der Völkermord-Gedenkstätte, Emir Suljagić, zum Verhör zur Polizei gerufen. Die Gedenkstätte liegt im bosnischen Landesteil Republika Srpska (RS), der auch heute von serbischen Nationalisten regiert wird. Diese Nationalisten in der Republika Srpska und ihre Verbündeten im Nachbarstaat Serbien versuchten in den vergangenen Monaten, die Resolution, die auch von Suljagić unterstützt wurde, zu desavouieren.

"So behandelt die bosnisch-serbische Polizei Nichtserben: als Untermenschen, ohne Rechte und rechtsstaatlichen Prozess. Ich kenne nicht einmal meinen Staatsanwalt. Unterdessen schikanieren Mitglieder dieser Polizeistation mich und andere Mitarbeiter der Gedenkstätte Srebrenica und führen inoffizielle Ermittlungen gegen uns", sagte Suljagić zu dem Verhör.

Strafe des Dodik-Regimes

Vor einigen Tagen wurde Suljagić bereits von der Sicherheitspolizei Sipa einvernommen, weil er einer vom Präsidenten des Landesteils Republika Srpska, Milorad Dodik, angeführten Delegation den Zutritt zur Gedenkstätte verweigert hatte. Dodik leugnet den Völkermord. Mit der Einvernahme soll Suljagić offenbar vom Dodik-Regime bestraft werden. Sämtliche Institutionen sind von den Interessen der Dodik-Partei unterlaufen, es gibt keine unabhängige Polizei oder Justiz.

Suljagić ist ein Überlebender des Genozids, er war während des Krieges in der Enklave Srebrenica, die von den Truppen der Republika Srspka bedroht und schließlich im Juli 1995 eingenommen wurde. Die Truppen unter der politischen Führung des rassistischen muslimenfeindlichen damaligen Regimes wollten die Republika Srpska "ethnisch säubern", die Muslime ermorden oder vertreiben. Diese Politik, die drei Jahre lang durchgeführt wurde, kulminierte im Völkermord rund um Srebrenica.

Srebrenica umbenennen

Suljagić denkt, dass es dem Regime von Dodik nun darum gehe, das Gedenken an den Völkermord zu kriminalisieren. Der Revisionismus des Regimes in Serbien und des Regimes von Dodik in der Republika Srpska geht mittlerweile so weit, dass der Bürgermeister von Srebrenica, Mladen Grujičić, die Stadt Srebrenica umbenennen will, damit sie nicht mehr mit dem Völkermord in Verbindung gebracht wird.

Das Umbenennungsvorhaben erinnert an den Fall der ostbosnischen Stadt Foča, die 1994 von Kriegsverbrechern in Srbinje umbenannt wurde, um "alle Spuren muslimischer Präsenz und Kultur" zu löschen, wie es in einem Gerichtsverfahren hieß. Zuvor hatten die rassistischen Militärs und Sicherheitskräfte die Muslime aus Foča vertrieben, viele ermordet und die muslimischen Frauen vergewaltigt. Den Kriegstreibern ging es damals darum, die Region an ein Großserbien anzuschließen. Sie wollten die Grenzen neu ziehen und den Staat Bosnien-Herzegowina zerstören.

Dieses Ziel hat sich nicht geändert. Wie bereits in den 1990er-Jahren geht es auch heute um das Projekt Großserbien. Am 8. Juni fand in Belgrad ein "allserbisches Treffen" mit Politikern und Priestern statt. Dazu eingeladen hatte der serbische Präsident Aleksandar Vučić, der bereits im Krieg gegen Bosnien-Herzegowina der radikalen großserbischen Fraktion angehörte. Die Veranstaltung begann im Tempel des heiligen Sava in Belgrad, wo ein Gebet für Serbien und die Republika Srpska gebetet wurde.

Die Kirche als Partner

Wie in Russland ist auch in Serbien die orthodoxe Kirche ein wichtiger Partner des nationalistisch-revisionistischen Regimes. Später fand eine gemeinsame Sitzung der Regierung Serbiens und der Regierung der Republika Srpska statt, auch um symbolisch eine territoriale Einheit darzustellen.

Bei der Veranstaltung ging es um "Entscheidungen für das Überleben des serbischen Volkes in seinem Herzen", hieß es. Implizit wird immer wieder von diesen Nationalisten vorgegeben, dass das serbische Volk bedroht sei, obwohl dies in der Realität nicht der Fall ist. Durch diesen Selbstviktimierungsdiskurs soll jedoch ihre radikale Politik gerechtfertigt werden. Die US-Botschaft in Sarajevo kritisierte die "allserbische Versammlung" scharf. Sie sei "ein kalkulierter Angriff auf das Dayton-Friedensabkommen und die staatlichen Institutionen von Bosnien-Herzegowina".

Neben seiner großserbischen Politik versucht Dodik gleichzeitig Probleme mit der internationalen Gemeinschaft aus dem Weg zu räumen. So hat er etwa verkündet, dass der Feiertag der Republika Srpska am 9. Jänner künftig auf den 15. Februar verschoben werden soll. Das bosnische Verfassungsgericht hat nämlich den 9. Jänner als RS-Feiertag untersagt. Kürzlich wurde auch das Gesetz zu den "ausländischen Agenten", das NGOs diskreditieren und einschränken sollte, in der RS zurückgezogen. Das Gesetz ist dem Gesetz zum Verbot "ausländischer Agenten" in Russland nachempfunden und wurde von den USA und der EU kritisiert.

Unterstützung durch Ungarn

Dodik selbst steht seit Jahren unter US-Sanktionen, wird aber von maßgeblichen Kräften in der EU – vor allem von Ungarn – unterstützt. Für sanktionierte Personen wie ihn gelten Einschränkungen bei der Eröffnung oder Führung von Bankkonten. Das hat zur Folge, dass die Banken die Konten der sanktionierten Personen schließen, denn sie wollen mögliche rechtliche Probleme, etwa Geldstrafen und Reputationsverluste, vermeiden. Dies ist auch bei Dodik und seinen Familienangehörigen der Fall. Ihre Konten und die ihrer Organisationen wurden gesperrt.

Dodik kündigte nun die Gründung einer Bank für den internen Zahlungsverkehr für sanktionierte Personen wie ihn selbst an. Doch nicht nur Dodiks Bankkonten wurden eingefroren, auch jene der Oppositionspartei SDS in der Republika Srpska. Die SDS kann nun wahrscheinlich nicht an den Lokalwahlen im Herbst teilnehmen, weil die Wahlkommission die Voraussetzungen dafür als nicht gegeben ansieht. Die SDS steht seit 20 Jahren auf der Liste des OFAC (Office for the Control of Foreign Assets of the US Ministry of Finance). Politisch betrachtet ist das für Dodik ein Vorteil, weil damit die Opposition ausgeschaltet ist. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 13.6.2024)