Brigitte Bierlein war die erste Bundeskanzlerin Österreichs. Am Freitag wird sie offiziell verabschiedet.
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Wien – Das offizielle Österreich hat sich am Freitag von der Anfang Juni verstorbenen ersten Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein verabschiedet. Im Rahmen eines Requiems im Stephansdom wurde sie umfassend gewürdigt. Interessiert, kompetent, mutig, gesellig, elegant und dialogorientiert waren nur einige der Eigenschaften, die ihr in den Reden von Kardinal Christoph Schönborn, Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter zugeschrieben wurden.

Video: Österreich verabschiedete sich von Brigitte Bierlein.
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In Trauer und im Dank

Das feierliche Requiem in d-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart hatte um 11 Uhr begonnen und wurde von Kardinal Schönborn geleitet. Man sei zusammengekommen in Trauer, aber auch im Dank für eine "große Frau", sagte Schönborn. Er würdigte, dass Bierlein all ihre Tätigkeiten als Dienst verstanden habe: "Nur so kann man dem Recht gerecht werden." Sie habe vorgelebt, dass klare Positionen, aufrechte Haltung und deutliche Sprache mit Wertschätzung anderer Sichtweisen vereinbar seien.

Kardinal Christoph Schönborn leitete das feierliche Requiem im Stephansdom.
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Bierlein habe die Worte Recht und Gerechtigkeit "in hervorragender und herausragender Weise verkörpert". Sie stehe für einen lebenslangen Einsatz für Recht und Gerechtigkeit und habe eine "beeindruckende Laufbahn" als Staatsanwältin, im Verfassungsgerichtshof und in Regierungsverantwortung absolviert, sagte Schönborn. Begleitet wurde dieser unter anderem vom Salzburger Erzbischof Franz Lackner und dem Innsbrucker Bischof Hermann Glettler. Die musikalische Untermalung kam vom Vokalensemble St. Stephan und dem Wiener Domorchester.

Der Salzburger Erzbischof Franz Lackner, Kardinal Christoph Schönborn und der Innsbrucker Diözesanbischof Hermann Glettler.
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Gesamte Staatsspitze anwesend

Zu dem Requiem war die Staatsspitze, angeführt von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, fast geschlossen gekommen. In den Reihen des Doms hatte die Bundesregierung ebenso Platz genommen wie zum Beispiel Alt-Bundespräsident Heinz Fischer, die ehemaligen Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Christian Kern (SPÖ), Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker aller Parteien sowie Prominenz aus der Justiz.

Zu dem Requiem war die Staatsspitze, angeführt von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, fast geschlossen gekommen.
Christian Fischer

Gegen Ende des Gottesdiensts hielten Van der Bellen, Nehammer und VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter Reden. Van der Bellen erinnerte daran, dass Bierlein in den schwierigen Zeiten nach Auftauchen das Ibiza-Videos seinem Wunsch gefolgt sei, das Land als Kanzlerin zu einer Neuwahl zu führen. Sie habe diese Aufgabe als "mutige Frau" angetreten und die Lage in Österreich rasch wieder beruhigt. Bierlein sei eine "treue Dienerin der Republik" gewesen, "weitsichtig, interessiert, in höchstem Maße kompetent, und sie war eine mutige Frau". Er hoffe, dass Bierlein sich bewusst gewesen sei, wie sehr sie andere inspiriert habe: "Sie wird für viele Frauen und Mädchen und uns alle immer ein Vorbild bleiben."

Nehammer sprach im Anschluss von einer "großen Österreicherin", die "viel zu früh gegangen" sei. Ihr Amt als Regierungschefin habe sie mit Eleganz, Entschlossenheit und Mut, der seinesgleichen suche, ausgeübt. Bierlein sei eine "Weltbürgerin" und "echte Wienerin" gewesen, die "jedem Menschen unvoreingenommen begegnet" sei, und habe den "Dialog mit allen nicht nur gepflegt, sondern auch aktiv gesucht". Bierlein habe zeit ihres Lebens "vor allem Mut gezeigt" und andere "bestärkt, Chancen zu ergreifen". Und sie habe "Ja gesagt, wenn es darum geht, Verantwortung zu übernehmen, und damit Geschichte geschrieben".

Bierlein war nicht nur erste Kanzlerin Österreichs, sondern auch die erste Frau, die den Verfassungsgerichtshof geleitet hatte. Ihr Nachfolger Christoph Grabenwarter würdigte sie sichtlich gerührt als "hervorragende Juristin" und "Verbinderin". "Wir blicken dankbar auf den ganzen Menschen und auf die Verdienste einer außergewöhnlichen Frau", sagte Grabenwarter zu Beginn seiner Rede. Sie sei eine Frau gewesen, die Mut, Disziplin und Ausdauer hatte. Das Eintreten für Rechtsstaat und Europa gehöre "zu ihrem Vermächtnis".

Bundespräsident Alexander Van der Bellen, First Lady Doris Schmidauer, Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter.
Christian Fischer

Hunderte nahmen Abschied

Die Trauerfeierlichkeiten haben bereits in den Morgenstunden begonnen. Der Sarg wurde um 6.45 Uhr in den Stephansdom gebracht und aufgebahrt. Hunderte Menschen nutzten anschließend die Gelegenheit, Abschied zu nehmen und sich in die aufgelegten Kondolenzbücher einzutragen.

Das Spalier neben dem in die österreichische Fahne gehüllten Sarg im Stephansdom war paritätisch besetzt durch Vertreterinnen und Vertreter von zivilgesellschaftlichen und staatlichen Organisationen, die das Leben von Bierlein geprägt haben: dem Gymnasium in der Kundmanngasse, dem Juridicum der Universität Wien, dem Verfassungsgerichtshof, dem Bundeskanzleramt, der Bundestheater Holding und der Fraueninitiative Lea – Let's Empower Austria sowie dem Bundesheer und der Polizei.

Nach Ende des feierlichen Requiems wurde der Sarg der Verstorbenen durch das Riesentor aus der Kirche auf den Stephansplatz getragen.
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Nach Ende des Requiems wurde der Sarg der Verstorbenen durch das Riesentor aus der Kirche auf den Stephansplatz getragen, wo eine Militärmusikkapelle die Bundeshymne spielte. Zahlreiche Schaulustige – darunter auch viele Touristinnen und Touristen – verfolgten die feierliche Verabschiedung des Leichenwagens vor dem Stephansdom. Mit Polizeieskorte wurde der Sarg anschließend zum Wiener Zentralfriedhof gebracht.

Die dortige feierliche Beisetzung – ebenfalls in Anwesenheit der Staatsspitze – dauerte eine halbe Stunde. Die Zeremonie leitete ein Beistand der früheren Bundeskanzlerin, der Pfarrer von Ober St. Veit, Stefan Reuffurth. Ein zuvor befürchteter Andrang blieb aus. (APA, red, 14.6.2024)