Die Fahne an sich zeigt nicht unbedingt, woher der Wind weht. Flagge zeigen kann dieses oder jenes bedeuten.
APA/GEORG HOCHMUTH

Für

Man soll sich anlässlich einer außergewöhnlichen Veranstaltung, wie sie die Europameisterschaft in Deutschland allemal ist, den Spaß und den Stolz auf die Teilhabe nicht verderben lassen. Man soll also wie das "Immer wieder Österreich!" auch die Nationalfarben und den Adler nicht einfach nur jenen überlassen, die glauben, mit ihnen Hassparolen oder Verschwörungserzählungen Gewicht verleihen und Legitimität verschaffen zu können.

Unbeschwert Rot-Weiß-Rot zu zeigen ist in Österreich nicht unbedingt Usus, was aber mit Sicherheit nicht an der schon sehr lange verbreiteten und sagenhaften Geschichte liegt, dass Kreuzfahrer Leopold V., der "Tugendhafte", nach einem Einsatz auf den Mauern von Akkon beim Ablegen seines blutgetränkten Waffenrockes feststellte, dass unter der Schwertbinde ein weißer Streifen im flächigen Rot geblieben war. Aber auch die jüngere Geschichte legt nicht unbedingt ein verkrampftes Verhältnis zu Österreichs Farben nahe, die während der Herrschaft der Nationalsozialisten verboten waren.

Dass der sogenannte Party-Patriotismus zwangsläufig zu nationalistischem Denken führt und Gewalt anregt, haben die Deutschen schon 2006 eindrucksvoll widerlegt. Damals wurde zu Recht argumentiert, dass die Farben Schwarz-Rot-Gold für Werte stehen können, für das Miteinander, für ein weltoffenes Land und im Fall Deutschlands für Einigkeit und Recht und Freiheit.

Rot-Weiß-Rot kann bei dieser Europameisterschaft für eine Geschlossenheit stehen, wie sie der akut von Seligsprechung bedrohte Teamchef Ralf Rangnick seiner Mannschaft wieder und wieder predigt. Und, warum auch nicht, für das Füreinander-da-Sein, wie es in den steirischen und burgenländischen Katastrophengebieten dieser Tage demonstriert wird. Das Symbol der Republik zu zeigen ist per se nicht peinlich, peinsam sind zuweilen die Diskussionen darüber. (Sigi Lützow)

Wider

Sport – und Fußball im Speziellen – spaltet. Genau das ist ja der Reiz daran. Wir gegen die, die gegen uns und fast immer alle gegen den Schiri. Die Absonderung vom Gegenüber sorgt für Zusammenhalt mit den Eigenen, den Gleichgesinnten. Dazu braucht es Erkennungsmerkmale: Seit dem 18. Jahrhundert sagt man "Farbe bekennen", der Ausdruck kommt aus dem Kartenspiel, man bekennt sich zu einer Farbe, mittlerweile auch zu einer Meinung, in diesem Fall zu einem Team, einer Mannschaft.

Und jetzt haben wir also ein Dilemma: Was im Vereinsfußball noch im besten Fall herziger Lokalpatriotismus ist, mieft auf nationaler Ebene dann doch gewaltig. Das Schwenken von Fahnen im Sportkontext hat in Österreich ungefähr so eine Tradition wie Titelgewinne des Nationalteams. Gut, im Wintersport hält sich die "Tradition" hartnäckiger, im Fußball wirkt es aber krampfhaft, gekünstelt, gewollt, sprich: unangenehm. Da hilft es auch nicht, dass ein brauender Sponsor des Verbands vor jedem Heimspiel im Happel-Stadion zig Fahnderln austeilt und alle halb peinlich berührt zum Radetzkymarsch mitschwenken. Es ist und bleibt unangenehm.

"Aber man wird ja wohl noch die Fahne schwenken dürfen" kommt fast gleich nach "Aber man wird ja wohl noch sagen dürfen". Nach beiden Beanspruchungen folgt quasi nie etwas Gutes, nie etwas Sinnvolles, fast immer etwas Rückständiges. Den Ausschlag gibt dabei das "Dürfen", als ob es historisch verboten war und man jetzt "endlich Farbe, also Stolz auf Nation und Vaterland offen zeigen darf". "FREIHEIT!" Geh bitte. Die politisch Vereinnahmenden reiben sich die Hände. Erkennen kann man einander sowieso am Trikot oder am südsteirischen oder Waldviertler Dialekt. Das macht auch mehr Spaß.

Aber was tun mit der Vier-mal-vier-Meter-Österreich-Fahne? Das Paar Atomic-Ski im Schrank einwickeln zum Beispiel. (Andreas Hagenauer, 15.6.2024)