Dürfen Sportler einer Nationalmannschaft politische Aufrufe erlassen? Ousmane Dembélé hat die Frage für sich beantwortet: Bei der Fußball-EM sagte er, ohne den Namen Marine Le Pens oder ihrer Rechtspartei Rassemblement National (RN) zu erwähnen, in seinem Land schrillten die "Alarmglocken", weshalb man abstimmen gehen müsse. Sein Kollege Marcus Thuram erklärte bei einer Pressekonferenz seines Teams noch deutlicher: "Wir müssen uns dafür einsetzen, dass der RN nicht gewinnt."

Thuram, dessen Vater 1998 beim historischen Sieg der Blauen mitgespielt hatte und der heute als Antirassismuskämpfer bekannt ist, erhielt viel Applaus. In den sozialen Medien mehren sich aber auch Sprüche gegen die multikulturelle Frankreich-Elf. Der Fußballverband FFF forderte die Nationalspieler am Wochenende auf, "Neutralität" zu wahren: "Jede Form von Druck oder politischer Vereinnahmung ist zu unterlassen."

Der Jungstar der französischen Rechten, Jordan Bardella, wird aufs Korn genommen.
AP/Michel Euler

Zeitgleich demonstrierten in über hundert Städten Frankreichs – und je nach Polizei und Organisatoren – zwischen 217.000 und 640.000 Le- Pen-Gegner. Sie warnten vor einer Regierungsübernahme durch die extreme Rechte nach einem allfälligen Sieg bei der Parlamentswahl, die Präsident Emmanuel Macron ausgerufen hat. "Wir wollen diese Katastrophe verhindern", sagte die Gewerkschaftschefin Sophie Binet auf dem Pariser Platz der Republik.

Historische Vergleiche

Die Beteiligung wirkte eindrücklich, lag aber deutlich unter der bei den Großdemos von April 2002, als der Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen – Marines Vater – überraschend in den zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahl vorgestoßen war. Dort verlor er klar gegen den Konservativen Jacques Chirac.

Vor der jetzigen Neuwahl kann der RN laut einer Pariser Sonntagszeitung mit 32 Prozent der Stimmen rechnen, gefolgt von der linken Volksfront mit 26 Prozent. Das Macron-Lager folgt mit 17 Prozent. Ein Viertel der Wähler gibt sich allerdings noch unentschlossen.

Kreative Plakate in Paris.
IMAGO/Ait Adjedjou Karim/ABACA

Die frühere Chirac-Partei der Republikaner ist abgeschlagen und gespalten. Die Parteileitung hat ihren Parteichef Éric Ciotti entlassen, nachdem dieser wie von der Basis gewünscht ein Bündnis mit Le Pen angekündigt hatte. Ein Gericht hat den Rauswurf aber am Wochenende für unrechtmäßig erklärt.

Die Linke hofft dagegen auf die Dynamik ihres Wahlbündnisses von den Sozialdemokraten bis zu den linkspopulistischen "Unbeugsamen". Sogar der ehemalige Präsident François Hollande ist auf den Zug aufgesprungen und kandidiert für ein Abgeordnetenmandat.

Streit auf der Linken

Der schöne Schein der linken Einheit ist allerdings nach einer Woche bereits Vergangenheit. Der autoritäre Anführer der "Unbeugsamen", Jean-Luc Mélenchon (72), beraubte mehrere prominente, aber ihm kritisch gestimmte Parteimitglieder wie Rachel Garrido oder Alexis Corbière ihres Wahlkreises. Sie, aber auch Sozialisten, Grüne und Kommunisten protestierten gegen diese "Säuberung" und das "Sektierertum" Mélenchons. Er wird auch dafür verantwortlich gemacht, dass der Wahlsieger der Linken bei der jüngsten Europawahl, der Sozialist Raphaël Glucksmann, von der Volksfront schlicht ins politische Abseits gestellt wurde. Warum das geschah, vermochte niemand zu sagen.

Auf diese Weise könnte das Mélenchon-Lager noch dazu beitragen, der Le Pen-Partei am 7. Juli an die Regierungsmacht zu verhelfen. Die linksliberale Zeitung Le Monde warnt jedenfalls: "Die Säuberung in der Partei des 'Unbeugsamen Frankreich' schwächt die ganze neue Volksfront." (Stefan Brändle aus Paris, 16.6.2024)