In einer eindringlichen Warnung hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg angekündigt, dass das Verteidigungsbündnis einige Atomwaffen aus den Depots holen und in Alarmbereitschaft versetzen will. Angesichts der wachsenden Bedrohung durch Russland und China solle die Nato eine "direkte Botschaft" an ihre Widersacher senden, sagte der Generalsekretär in einem ausführlichen Interview der britischen Tageszeitung The Telegraph.

Grafik zeigt die Zahl der einsatzfähigen Atomsprengköpfe nach Ländern.
Einsatzfähige Atomsprengköpfe 2024 nach Ländern, Veränderung zu 2023 (Quelle: Sipri).
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"Transparenz trägt dazu bei, die direkte Botschaft zu vermitteln, dass wir natürlich ein nukleares Bündnis sind", sagte Stoltenberg im Hauptquartier der Allianz in Brüssel. "Das Ziel der Nato ist natürlich eine Welt ohne Atomwaffen, aber solange es Atomwaffen gibt, werden wir ein nukleares Bündnis bleiben, denn eine Welt, in der Russland, China und Nordkorea über Atomwaffen verfügen und die Nato nicht, ist eine gefährlichere Welt."

"Beispiellose Konfrontation" möglich

Er wolle "nicht in operative Details gehen, wie viele Atomsprengköpfe einsatzbereit sein müssen und wie viele gelagert werden", aber die Nato-Staaten würden solche Themen diskutieren und transparent machen, dass sie dies tun. Damit will man in einer immer gefährlicheren Welt auf wirksame Abschreckung setzen, so der Generalsekretär des Verteidigungsbündnisses.

"In nicht allzu ferner Zukunft" könnte die Nato in einer "beispiellosen" Situation durch "zwei potenzielle nuklear bewaffnete Gegner, China und Russland", konfrontiert werden, sagte Stoltenberg. China investiere massiv in moderne Waffensysteme, auch die Zahl seiner Sprengköpfe werde stark steigen. Wladimir Putin hat seinerseits kürzlich Andeutungen gemacht, dass Russland seine Nukleardoktrin unter Umständen anpassen könnte.

Zahl einsatzbereiter Waffen gestiegen

Indes ist die Zahl der weltweit einsatzbereiten Atomwaffen im vergangenen Jahr erneut gestiegen, schreibt das Friedensforschungsinstitut Sipri in seinem am Montag vorgestellten Jahresbericht. Zwar würden weiterhin Sprengköpfe ausgemustert, und die Zahl der Atomwaffen sinke seit Jahrzehnten, doch gleichzeitig würden immer mehr Sprengköpfe in Einsatzbereitschaft gehalten. Auch die Zahl der in Entwicklung befindlichen Atomwaffen sei gestiegen, wobei die Fachleute damit rechnen, dass sich dieser "äußerst besorgniserregende" Trend weiter verstärken werde.

Eine Mittelstreckenrakete fährt während einer Parade auf einem Lastwagen, drei Soldaten stehen neben der Waffe stramm.
Pakistan gehört wie sein Nachbar Indien zu den neun Atomwaffenstaaten. Im Bild eine ballistische Mittelstreckenrakete vom Typ Shaheen-III bei einer Parade in Islamabad im März 2022.
AP/Anjum Naveed

Demnach sank der weltweite Gesamtbestand an Sprengköpfen im Vergleich zum Vorjahr um rund 400 auf circa 12.100. Gleichzeitig waren beispielsweise rund 3900 dieser Sprengköpfe auf Raketen und Flugzeugen montiert, 60 mehr als im Jänner 2023. Während die USA und Russland unter den neun Nuklearstaaten führend seien, baue China sein Arsenal "schneller als jedes andere Land" aus, so Sipri-Experte Hans Kristensen.

Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine im Februar 2022 habe die Transparenz über die Nuklearstreitkräfte der USA und Russlands abgenommen, so Sipri. "Seit dem Kalten Krieg haben wir nicht mehr erlebt, dass Nuklearwaffen eine so prominente Rolle in den internationalen Beziehungen spielen", sagte Wilfred Wan, Leiter des Sipri-Programms zu Massenvernichtungswaffen. (red, APA, 17.6.2024)