Rhaenyra (Emma D'Arcy) trauert in der ersten Folge der zweiten Staffel von
Rhaenyra (Emma D'Arcy) trauert in der ersten Folge der zweiten Staffel von "House of the Dragon" um ihren Sohn, Jacaerys (li.) und Lucerys (Elliot Grihault und Harry Collett) ebenfalls.
Sky/HBO

Im Gastblog interpretiert der Psychotherapeut und Psychoanalytiker Timo Storck die zehnte und letzte Folge der Prequel-Serie zu "Game of Thrones".

Die zweite Staffel von House of the Dragon ruft uns in Erinnerung, wer diese ganzen Figuren, die in der Regel ein "ae" im Namen haben, eigentlich noch mal sind und was sie vorhaben – und präsentiert ein, nun ja, missrattenes Ende.

Rund zwei Jahre nach dem Start von Staffel 1 wird die Geschichte über den Niedergang von Haus Targaryen fortgesetzt. Während der kommenden Wochen werde ich zu den jeweils neu erscheinenden Wochen einen Kommentar aus psychoanalytischer/psychologischer Sicht vorlegen; dabei beziehe ich mich – aus Trotz und Gewohnheit – auf die englischen Eigennamen.

"A son for a son"

Folge 1 der zweiten Staffel trägt den Titel A son for a son und benennt damit ein Thema, das seinen Anfang im vorangegangenen Staffelfinale hat. Mehr oder weniger im direkten Anschluss daran, dass Aemond und sein Drache Vhagar in augenverlustvergeltender Absicht seinen, ähm … Schwippneffen Lucerys getötet haben, geht es nun weiter. Die Serie nutzt dies, um uns Orientierung zu geben. Die unterschiedlichen Reaktionen auf den Tod von Lucerys rufen uns in Erinnerung, wer zu "Team Black" (Rhaenyra) und wer zu "Team Green" (Alicent bzw. König Aegon) gehört. Dabei wird etwas viel erklärt, aber, seien wir mal ehrlich: Anders würden wir uns auch kaum zurechtfinden. Ich möchte nur noch einmal in Erinnerung rufen: dass es Zwillingsbrüder gibt, die Arryk und Erryk heißen, dass diverse Figuren Aegon heißen (selbst die letzten Worte des verstorbenen König Viserys war da ja diesbezüglich missverstanden worden) oder dass wild durcheinandergeheiratet wird, mit dem Ergebnis eines Multiversums aus Verwandtschaftsbeziehungen.

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Aber zurück zur Sohnesvergeltung in Episode 1. Rhaenyra muss den Verlust ihres Sohnes zunächst wahrhaben können, regt dann aber in aller Deutlichkeit an, Aemond zu liquidieren. Während dessen gibt es in King's Landing, wo Aegon (bzw. "The Magnanimous") als König herrscht, einiges an Uneinigkeit. König Aegon wird, m.E. etwas zu sehr, als unfähig zu herrschen präsentiert. Er hat nur Augen für seinen Sohn Jaehaerys (was bedeutet: Wir sollen ihn in der Folge im Auge behalten) und kann bei Entscheidungen, die das Anliegen der einfachen Leute angeht, nicht das große Ganze (z.B. bevorstehende Drachenfütterung per Schaf in Kriegszeiten) im Blick behalten. Ach so, und mit seinen Jungs trinkt er zu viel Alkohol und macht Peniswitze (#wassollausdemjungenblosswerden). Otto Hightower, "Hand of the King", nimmt es seiner Tochter Alicent weiterhin übel, dass sie Rhaenyra nicht hat töten lassen, da nun Dragon Trouble zu erwarten ist. Alicent ist, ungeachtet ihrer intakten Libido, betrübt – auf einmal will sie das alles auch alles nicht so gewollt haben und zündet eine Kerze für ihren, ähm … Stiefenkel Lucerys an.

Kontrolle durch Augenrollen

Doch guter Rat ist teuer: Während Otto meint, als Hand die Strippen zu ziehen (er kontrolliert Aegon durch Augenrollen), bringt sich zugleich auch weiterhin Larys "Foot of the Queen Regent" Strong, der für einen Nick-Cave-Ähnlichkeitswettbewerb zu trainieren scheint (#peopleaintnogood), neben dem Ohr von Aegon in Stellung. Wer entscheidet? Wer meint zu entscheiden? Wer meint, wem was einflüstern zu können?

Team Black scheint sich eher einig zu sein. Aemond soll talionsprinzipmäßig der Sohn sein, mit dem der Sohnesverlust ausgeglichen wird. Daemon wollte das schon die ganze Zeit, aber hat, auf Rat seiner, ähm … Ex-Schwiegermutter Rhaenys, erst noch die Trauerzeit von Rhaenyra abgewartet.

Zwielichtige Gestalten

Nun aber wird es merkwürdig. Über weite Strecken der Folge wird diskutiert, welcher Drache wo angreifen könnte oder zum Schutz abgestellt werden muss. Der Plan, Aemond den Sohnespreis zahlen zu lassen, ist dann aber ein gänzlich anderer und, auf den ersten Blick, ein ziemlich bescheuerter. Daemon hat auf einem Schiff seine alte Geliebte, den "White Worm" Mysaria gefunden. Über sie erhält er Kontakte zu zwielichtigen Gestalten in King's Landing (was seltsam ist, denn in dessen Unterwelt kennt er selbst sich doch ähnlich gut aus), genauer gesagt: zu einem Torwächter und einem Rattenfänger (nebenbei bemerkt: Diese beiden gelten im Kanon von Fire and Blood, der Buchvorlage zu House of the Dragon, als "Blood and Cheese").

Aber auch gute Ratt' ist teuer, denn irgendwie wirkt der Plan merkwürdig und unausgereift. Zunächst soll es darum gehen, dass Torwächter und Rattenfänger in den Königsgemächern rumstreunern sollen, um Aemond zu töten. Daemon sagt den beiden noch sinngemäß "Ihr wisst doch, Aemond, lange weiße Haare und Augenklappe", aber dann passiert, was als Frage schon im Raum stand: Was, wenn wir ihn nicht finden können…? Und hier wird Daemons Plan dann (etwas) weniger bescheuert, denn ihm geht es offenbar weniger um das Talionsprinzip (also um einen Ausgleich der verlorenen Söhne), sondern darum, Team Green im Herzen zu treffen. Aemond ist, so merkt Daemon an, ein guter Kämpfer, und das Wächter-Ratten-Duo, nun ja, wirkt wie eine suboptimale Mischung aus Grobschlächtigkeit und Verwahrlosung.

Angst vor den Ratten

Königin Helaena, im Übrigen die Schwester ihres Ehemanns Aegon, merkt bereits im Verlauf der Folge ihre Angst vor den Ratten im Königshaus an. Nun kommen zwar keine Ratten, sondern der Rattenfänger in die Gemächer, schrecklich wird es aber erst recht. Torwächter und Rattenfänger finden sich dann also doch nicht so besonders gut zurecht, örtlich wie personal, und entschließen sich, nicht den Königsbruder, sondern den Thronfolger zu töten. Und eines der beiden recht jungen Kinder von Helaena und Aegon müsste es doch wohl sein. Das ist, wie gesagt, ein bisschen bescheuert, aber auch ein bisschen selbstironisch: Wer ist denn nun wer? Alle heißen nahezu gleich. Nicht einmal die Charaktere selbst finden sich zurecht!

Aber es ist eben auch bescheuert, denn dass die beiden (R)Attentäter dann Helaena fragen, wer von ihren beiden schlafenden Kindern wohl der Sohn ist, wirkt doch sehr Schockplot-getrieben. Helaena, in all ihrer Skurrilität, wehrt sich nicht, zeigt auf ihren Sohn: Jaehaerys, der zuvor noch am Tisch des Großen – teuren – Rates herumgesohnt hatte. Er wird daraufhin – vermutlich – von Torwächter und Rattenfänger getötet. Damit nicht genug, Helaena überrascht dann noch kurz ihre Mutter beim Sex und merkt an, "sie" hätten "den Jungen" getötet.

Chaos und Schmerz

Wenn wir mit der Folge nachsichtig sind, können wir sagen: Daemons Plan und seine Durchführung ist derart bescheuert, dass man kaum glauben mag, dass er nicht von Anfang an Chaos und Schmerz stiften bzw. sogar ganz konkret nicht einen Sohn mit einem Sohn, sondern eine verhinderte Thronfolge (Rhaenyra) mit einer verhinderten Thronfolge (Jaehaerys) begleichen wollte. Er will nicht Lucerys, sondern Rhaenyra rächen. Ansonsten bliebe wirklich nur die Folgerung, dass hier wohl ein "death by plot" erfolgt. Die Figur "Ein Sohn für einen Sohn" bekommt auf diese Weise immerhin eine zusätzliche Wendung. Rhaenyra will den Verlust ihres Sohnes vergelten, nun aber hat auch Team Green einen Sohn (Aegon und Halaena) bzw. Enkelsohn (Alicent) oder gar Urenkelsohn (Otto) zu rächen und halt nicht mehr nur ein Auge.

Worauf können wir gespannt sein? Wird Alicent nun doch auch rach- und vernichtungssüchtiger werden? Wie wirkt sich das auf die Varianz ihrer Sexstellungen (bisher: 2) aus? Wird Aegon sich nun mehr um Kriegsfragen scheren? Wer flüstert lauter, Otto oder Larys? Wie viele Aegons werden noch geboren? Und gewinnt Larys den Nick-Cave-Ähnlichkeitswettbewerb? (Timo Storck, 18.6.2024)