Daniel Brühl spielt den ikonischen Modedesigner während seines Aufstiegs in den 1970er-Jahren in Paris.
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Einer der bekanntesten deutschen Schauspieler spielt den erfolgreichsten Modedesigner, den Deutschland hervorgebracht hat. Daniel Brühl verkörpert in der Serie Becoming Karl Lagerfeld den exzentrischen Modezaren. Darin spielt er den etwa 40-jährigen Lagerfeld, der in den 1970er-Jahren zum Star aufsteigt.

STANDARD: Herr Brühl, gleich in der ersten Szene sieht man, wie Lagerfeld mit roten hochhackigen Stiefeln in einen Club geht. Was haben Sie gedacht, als Sie die Boots das erste Mal gesehen haben?

Brühl: Das war ein Schock, ging gar nicht. Ich stand mit der Kostümbildnerin vor dem Spiegel, habe mich angeguckt und gedacht: Völlig absurd, sieht aus wie vom Kölner Karneval.

STANDARD: Weil Sie wie eine Parodie wirkten?

Brühl: Das ist natürlich der Kitzel bei solchen Angeboten. Das war mir gleich klar, als ich zugesagt habe. Solche Rückfälle müssen unbedingt passieren, dieses Gefühl, oh, das wird eine Katastrophe.

STANDARD: Ist es eine geworden?

Brühl: Nein, weil die Serie unfassbar gut recherchiert ist. Jedes einzelne Stück wurde eins zu eins nachgebildet, nichts übertrieben. Die 70er-Jahre hatten solche Outfits, das darf man nicht künstlich herunterfahren, sondern muss sich mit voller Panache – wie Lagerfeld sagen würde – reinstürzen. Diese Ängste über Bord zu schmeißen, das hat mir totale Freude bereitet. Der Gedanke war ja schon absurd genug, dass ich Karl Lagerfeld sein könnte. Als die erste Anfrage kam, ob ich ihn spielen würde, habe ich gelacht und das Telefon aufgelegt. Nach einem Denkmoment habe ich zurückgerufen und gefragt: Moment mal, wie wollt ihr das machen? Aha, in Paris, auf Französisch, fühlt sich schon mal richtig an.

STANDARD: Warum?

Brühl: Weil es Karls Zuhause war, das war die Kultur, die er so geliebt hat. Die Zeit hat für mich gestimmt, ich kann ihn kaum in seiner letzten Etappe darstellen. Wie sah er überhaupt mit 40 aus? Ach, wie ein Italiener, mit viel stärkerem, dunklerem Bart als ich. In dem Augenblick war ich angefixt und habe mich gefragt: Wer war dieser Typ, bevor er zur öffentlichen Figur wurde?

STANDARD: Sie waren in den 90er-Jahren ein Teenager. Damals tauchte Lagerfeld in Medien als Karikatur seiner selbst auf: mit Pferdeschwanz, Sonnenbrille und Fächer. Was haben Sie über diesen Mann gedacht, dem Zitate zugeschrieben wurden wie: Man muss das Geld aus dem Fenster rauswerfen, damit es zur Tür wieder hereinkommt?

Brühl: Wenn er in Talkshows saß, habe ich über seine hanseatische Ironie und schnelle Zunge geschmunzelt. Zum Teil war ich irritiert angesichts dieser starken Attitüde. Als junger Mensch hatte ich jedoch wenig Bezug zu ihm. Das kam erst später, als ich selber im Beruf steckte. Es gab eine Begegnung Ende der Nullerjahre bei einem Fotoshooting für die Berlinale. Erst letzte Woche haben wir den Assistenten gefunden, der vor 15 Jahren dabei war. Hier, ich zeige Ihnen mal das Bild auf meinem Handy, ich habe es kürzlich zum ersten Mal gesehen.

STANDARD: Sehr starke Kontraste, alles in Schwarz-Weiß, ein Lichtstrahl fällt von oben auf Sie.

Brühl: Lagerfeld war bisschen distanziert, bisschen charmant, hat nach zwei Minuten einen Witz gemacht, weil er merkte, dass ich verkrampfte. Wie er das schaffte, dass ich nach kurzer Zeit vergaß, dass ich es mit dieser fast artifiziellen Erscheinung zu tun hatte, das hat mir imponiert.

STANDARD: Allerdings hatte er auch manische Züge, wenn man an dieses Hungern in die Anzüge von Hedi Slimane denkt. Sie durften ihn noch zu Zeiten darstellen, als er Croissants und Schokoladentörtchen in sich hineinfutterte.

Brühl: Das hat er genauso obsessiv getan, das war eine richtige Fresssucht. Er war ein Mann der Extreme. Dieser Anachronismus, den er gelebt hat. In den 70er-Jahren in Paris erschafft er sich intellektuelle Fantasien und Paralleluniversen wie aus dem 18. Jahrhundert. Er hatte natürlich auch das dementsprechende Kleingeld dafür. Komm, das Schlösschen kaufe ich mir, und dann ist runter bis zur Kerze und zur Serviette alles perfekt inszeniert. Das ist ganz schön irre.

STANDARD: Dazu trug er konservative Kleidung, Halstücher, Rüschen, Morgenmäntel. Er war emotional kalt, hatte, entschuldigen Sie den Ausdruck, einen "Stock im Arsch".

Das Kostüm seines Filmpartners Théodore Pellerin gefiele Daniel Brühl besser als die lauten Outfits für seine Rolle als Karl Lagerfeld.
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Brühl: Ich wollte auf jeden Fall einen nahbaren, deutschen Romantiker zeigen, einen verletzlichen, noch un­sicheren Karl Lagerfeld. Auch diese Mozart-Salieri-Reibung zwischen ihm und Yves Saint-Laurent ...

STANDARD: ... die beiden Designer waren ursprünglich Freunde und wurden schließlich Konkurrenten in der Modebranche ...

Brühl: ... und diesen Respekt, gepaart mit Eifersucht, fand ich spannend. Warum ist er so distanziert? Erklärt sich natürlich ein bisschen durch seine Herkunft. Der Norden Deutschlands ist nicht die leidenschaftlichste Region Europas. Dazu kommt die strenge Mutter, die ihn beschützt, als sie von seiner Homosexualität erfährt, auf der anderen Seite aber hart und wertend mit ihm umgegangen ist.

STANDARD: Sie haben sich über Monate mit der Figur Karl Lagerfeld beschäftigt. Haben Sie etwas von ihm gelernt?

Brühl: Von diesem Hunger nach Inspiration, mit dem er durchs Leben gegangen ist, kann ich mir sicherlich ein Scheibchen abschneiden.

STANDARD: Was ist mit seinen Kleidervorschriften?

Brühl: Ich bin ganz bei ihm, was Jogginganzüge angeht.

STANDARD: Er soll sinngemäß gesagt haben: Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.

Brühl: Ich hatte das Glück, vor kurzem in Bristol zu übernachten, in einem altehrwürdigen Hotel – und da saß zum Mittagessen eine Ami-Familie, komplett in Joggingklamotten gekleidet. Sorry, das sah einfach kacke aus. Und gehört sich auch nicht.

STANDARD: Lagerfeld machte sich um Jahre jünger und schwieg sich anfangs über seine Herkunft als Hamburger Fabrikantensohn aus, um für die Pariser attraktiver zu erscheinen. Haben Sie einmal Sachen angezogen, um interessanter zu wirken?

Brühl: Als Kind relativ früh, inspiriert durch einen meiner französischen Cousins. Der war ein paar Jahre älter als ich und trug coole Klamotten, ich erinnere mich an ein weißes Hemd mit einer riesigen Blume dar­auf. Ich bin in Köln aufgewachsen, dort gab es einen Designerladen, Cittá di Bologna, in den bin ich reingegangen mit dem Vorsatz, ich will so wie Philippe aussehen. In meinem jungen Alter brauchte ich noch die Erlaubnis der Eltern, um mir etwas Teures zu kaufen. Die haben mir wahrscheinlich den Vogel gezeigt. Allerdings habe ich mir damals schon zu Weihnachten ein schönes Hemd gewünscht, als alle meine Mitschüler lieber T-Shirts trugen. Dafür konnte ich mich begeistern.

STANDARD: Ihre Eltern haben gedacht: Mit dem Jungen stimmt was nicht.

Brühl: Das waren zum Glück humane Preise, es ging in keinen bedenklichen Fashionista-Bereich hoch. Als Jugendlicher haben mich Typografie und Logos auf Hemden oder T-Shirts fasziniert. Eine Zeitlang trug ich ein weißes Shirt von Le Coq Sportif, dieser französischen Sportmarke, ein sandfarbenes Dreieckslogo mit dem Hahn auf dem Ärmel. Ich kann mich erinnern, dass ich bei meinen Eltern darauf gepocht habe, genau dieses T-Shirt haben zu wollen. Sie haben bestimmt gedacht: Mein Gott, hoffentlich gibt er danach Ruhe.

STANDARD: Vor zehn Jahren haben Sie im Interview gesagt: "Wenn ein Mann jedes Label kennt und auf der Toilette zehn Modezeitschriften her­umliegen, finde ich das alarmierend." Wie hat sich das Verhältnis zur Mode durch die Serie verändert?

Brühl: Ich bin ein Schrittchen weiter. Ich habe einen guten Freund, Alessandro Sartori, den Chefdesigner von Zegna. Wir kennen uns schon lange, sind auch beruflich verbandelt.

STANDARD: Sie haben einen Werbevertrag mit dem italienischen Label.

Brühl: Er war ein bisschen Inspiration für mich, weil er der einzige Modeschöpfer ist, den ich enger kenne. Wenn wir uns treffen, geht es gleich um 1000 Sachen – Politik, Kunst, Musik. Ich glaube, die spannenden Leute in der Mode gucken nach links und rechts, interessieren sich viel für andere Themen. Wenn jemand zu lange über Mode quasselt, verliere ich schnell die Lust am Gespräch.

STANDARD: David Bowie hat Mode fasziniert, weil er sich dabei Charaktere für die Bühne ausdachte. Interessieren Sie sich für Mode, weil Sie dabei an Rollen in Film denken?

Brühl: Ich habe mit Sicherheit ikonische Filme und Fotografien von Schauspielern im Kopf. Zum Beispiel Belmondo in Außer Atem, scharf geschnittene Hose, hochgekrempeltes Hemd, Slipper und keine Socken. Ich freue mich, wenn der Trend wieder dahin schwappt, dass wir Männer so etwas tragen können: weitere Hosen, langes Bein, relativ tailliert am Bund. Das mochte ich immer gerne. Ich habe Bilder von meinem andalusischen Opa aus den 30er-Jahren, wie er in relativ hoch sitzenden Hosen und einem reingesteckten Hemd durch Málaga geht. Cooler kannst du nicht aussehen.

STANDARD: In Berlin-Mitte laufen Männer mit kurzen schwarzen Turnhosen und Sneakers rum.

Brühl: Und das größte Problem dabei: Der Vokuhila ist zurückgekommen. Damit werden Sie mich nicht sehen.

"Becoming Karl Lagerfeld" zeichnet das Leben des Modezaren samt seiner Extreme nach.
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STANDARD: Stehen Sie manchmal vor dem Spiegel und fragen sich: Trau ich mir dieses Outfit zu?

Brühl: Immer wieder auf Foto-Shootings. Dieser angstvolle Schritt in die Umkleidekabine und nachzuschauen, was der Stylist gerade rausgelegt hat. Die Kostümbildnerin der Serie war ganz süß zu mir nach dem Dreh. Sie fragte mich mit leuchtenden Augen: Und welches der Kostüme willst du behalten?

STANDARD: Vom Film "Was nützt die Liebe in Gedanken" haben Sie sich beispielsweise schwarze maßgeschneiderte Schnürschuhe mitgenommen.

Brühl: Nach der letzten Klappe habe ich ehrlich geantwortet, dass ich kein Stück von Karl mitnehmen kann – es sei denn, ich gehe noch mal zum Karneval. Da gab es kein einziges Outfit, bei dem meine Frau oder Freunde sagen würden: Hallöchen, wie schick! Ich habe mir nur den Fächer als Souvenir eingepackt. Meinen Filmpartner Théodore Pellerin, der Lagerfelds Partner spielt, habe ich ein wenig beneidet. Er durfte in manchen Szenen schicke Hosen mit hohem Bund und schöne Hemden tragen, aber die Outfits für Karl waren ziemlich laut, mit vielen Broschen und Gedöns.

STANDARD: Wo liegt der Fächer jetzt?

Brühl: Zu Hause auf Mallorca. Wenn es im Sommer heiß wird, kommt er zu seinem Recht. (RONDO, Ulf Lippitz, 20.6.2024)