Die französisch-katalanische Sopranistin Lauranne Olivia in einem blassvioletten Kleid bei einem Auftritt diesen Jahres.
Sopranistinnen wie Lauranne Olivia können ihre Stimmbänder so trainieren, dass sie ungeahnte Höhen erreichen. Mit dem Pfeifen von Nagetieren hat das aber physiologisch wenig zu tun.
AFP/PASCAL GUYOT

Man möchte Opernsängerinnen kaum mit Ratten vergleichen, außer, sie verkörpern die Nagetiere in einer Inszenierung. Doch die höchsten Töne, die die Performerinnen produzieren können, erinnern manche an das Fiepen und Pfeifen von Mäusen und Ratten, das bis in den Ultraschallbereich reicht. Daher wurde in der Wissenschaft und Pädagogik teils angenommen, dass menschliche Sängerinnen die Laute über den gleichen Mechanismus produzieren. Dass dem nicht so ist, zeigt eine neue Studie im Fachblatt Scientific Reports, an der der österreichische Stimmforscher Christian Herbst von der Universität Wien beteiligt war.

"Wenn wir reden, vibrieren die Stimmlippen im Kehlkopf mit einer Frequenz von ungefähr 100- bis 200-mal pro Sekunde", sagt Herbst. "Beim Pfeifen würde im Gegensatz dazu nur die Luft in Schwingung versetzt werden." Historisch gab es laut dem Forscher Grund zur Annahme, dass etwa die extrem hohen Tonlagen der Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte ohne eine Bewegung der Stimmlippen erzeugt werden – zumal andere Säugetiere wie Ratten und Mäuse anhand von Ultraschallstimmerzeugung in einem für den Menschen nicht hörbaren Bereich pfeifen können.

Vocal Folds
So sehen Stimmlippen beim Singen aus. Auch bei extrem hohen Tönen schwingen sie - mit besonders hoher Frequenz.
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Um das Phänomen zu untersuchen, machte das Forschungsteam von der Universität Wien und der Ludwig-Maximilians-Universität München im Herbst Videoaufnahmen vom Kehlkopf neun professioneller Opernsängerinnen mit einer Bildwiederholrate von 20.000 Bildern pro Sekunde. Die Sängerinnen sangen dabei eine Tonfolge bis zum dreigestrichenen G, also einen Ganzton höher als der höchste Ton der Königin der Nacht. Das Ergebnis: Die hohe Stimme beruht auf demselben Prinzip wie das Sprechen oder der Gesang tieferer Töne. Das heißt, dass die Stimmlippen im Kehlkopf exakt mit der Frequenz des erzeugten Tones, je nach gesungener Tonhöhe 1000- bis 1600-mal pro Sekunde, vibrieren und kollidieren.

Exzellent beherrschte Muskeln

"Dies deckt einen seit langem bestehenden Mythos der Gesangspädagogik auf", so Herbst. "Es gab zwar schon davor Studien, die ein ähnliches Ergebnis angedeutet haben – wir konnten es nun mit einer größeren Kohorte an Probandinnen und ausreichenden technologischen Methoden zeigen." Möglich sei das Erreichen dieser extremen Klänge mit einem recht gewöhnlichen Stimmerzeugungsmechanismus laut dem Forscher nur wegen der hervorragenden muskulären Feinbeherrschung des Gesangsinstruments durch die Sängerinnen.

Im Rahmen der Studie durchgeführte Simulationen mit einem Computermodell weisen zudem darauf hin, dass zwei wesentliche Faktoren bei den hohen Tönen eine Rolle spielen: stark erhöhte Spannung der Stimmlippen und sehr hoher Ausatmungsluftdruck. "Es ist wirklich erstaunlich, wie manche Sängerinnen die erforderlichen extrem hohen Spannungen in ihren Stimmlippen erzeugen können, ohne gesundheitliche Probleme für die Stimme zu erleiden", wird Erstautor Matthias Echternach in einer Presseaussendung zitiert. "Warum dies manchen Sängerinnen in diesen hohen Stimmlagen gelingt und anderen nicht, muss vorerst offenbleiben." (APA, red, 18.6.2024)