Es liegt durchaus in der Macht von Harry Edward Kane MBE, die Zweifel der Nation an der Titelreife der englischen Vize-Europameister zu zerstreuen. Dazu müsste sich der 30-jährige Kapitän der Three Lions quasi nur den Goldenen Schuh anziehen, den er für seine 36 Volltreffer zugunsten der Bayern in der verwichenen Bundesligasaison gewonnen hat, und am Donnerstagabend (18 Uhr/live ORF 1 und ZDF) in Frankfurt dem Duell mit Dänemark seinen Stempel aufdrücken.

Kane vorne isoliert

Kane könnte damit auch seinen Trainer aus der Schusslinie nehmen, denn die Unkenrufe nach dem mühsamen Auftakt galten im Grunde Coach Gareth Southgate. Wenn der für den Rest der EM am beim 1:0 gegen Serbien gezeigten System festhalte, schrieb Ex-Teamspieler Jamie Carragher in einer Kolumne für den Telegraph, dann werde das "die Nummer neun stark beeinträchtigen". Nicht nur die Verteidigerlegende des FC Liverpool sieht ein "Kane-Problem".

Tatsächlich wirkte Kane, der für die Bayern insgesamt sogar 44 Tore in 45 Pflichtspielen schoss, zum Start der EM wie ein Fremdkörper im Spiel seines Teams. In der ersten Halbzeit kam er nur zu zwei Ballkontakten, bis zum Abpfiff schaffte es Kane auf 24 Ballaktionen – weniger als je zuvor bei einem Startelfeinsatz für die Three Lions, für die er in 93 Einsätzen bisher schon 62-mal getroffen hat.

Kane hält sich Finger an Kopf.
Harry Kane soll gegen die Dänen den Goldenen Schuh auspacken.
IMAGO/David Rawcliffe

Neben seiner Rolle als Vollstrecker gibt Kane gerne auch eine Art Spielmacher, indem er sich ins Mittelfeld, sozusagen in die Position eines Zehners, zurückfallen lässt. Southgate, sagte ZDF-Experte Christoph Kramer, raube seinem Kapitän die "Weltklasse-Stärke", indem er ihn als "klare Neun" aufbiete. So werde Kane nicht eingebunden und könne vom Gegner einfach weggedeckt werden.

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die Sicht der Spieler von jener der Experten unterscheidet, zumal offiziell und nach einem Sieg, den England ja zum Auftakt gefeiert hat. Kane selbst sah seine Harmlosigkeit gegen Serbien weniger tragisch. Seine Positionierung werde in jedem Spiel "ein bisschen anders aussehen, manchmal ein bisschen höher, manchmal ein bisschen tiefer".

Ja selbst innerhalb der Kommentatorenriege gibt es sehr unterschiedliche Meinungen über Kane. Er lasse "den kreativen Spielern hinter ihm Raum", sagte Gary Lineker bei der BBC, und konzentriere sich mehr als sonst auf seine Aktionen im Strafraum.

Dänemark sinnt auf Revanche

Dass Kane im Halbfinale der EM 2021 den Dänen mit einem Tor mittels Elfmeter-Nachschuss in der Verlängerung den Garaus gemacht hat, mag seine Zuversicht stärken, die Skandinavier brennen deswegen aber auf Revanche. Nicht mit dabei war damals in Wembley Christian Eriksen, der ja schon im ersten EM-Gruppenspiel gegen Finnland in Kopenhagen seinen Herzstillstand erlitten hatte.

Just Eriksen war beim insgesamt enttäuschenden 1:1 gegen die Slowenen am vergangenen Sonntag der beste Däne und dazu noch der Schütze zur frühen Führung. Neben dem Mann von Manchester United dürfte Coach Kasper Hjulmand sechs weitere Legionäre aus der englischen Premier League aufbieten, darunter Jannik Vestergaard, der es sehr viel mit Kane zu tun bekommen wird. "Wir glauben an uns. Wenn wir nicht an uns glauben, denke ich nicht, dass es jemand anderes tut", sagte der Innenverteidiger von Premier-League-Aufsteiger Leicester City.

Eriksen jubelnd auf Knie am Rasen.
Christian Eriksen will auch gegen England jubeln.
IMAGO/Silas Schueller/DeFodi Images

Seinen Gegenspieler Kane schätzt der 31-Jährige besonders: "Er ist in jedem Bereich gut, und das macht es schwierig, ihm eine Stärke wegzunehmen, weil er dann einfach etwas anderes macht. In dieser Hinsicht ist es hart, gegen ihn zu spielen, aber es ist auch eine interessante Herausforderung."

Die englische Abwehr, die gegen Serbien alles andere als sattelfest wirkte, ist wiederum für den dänischen Sturmstar mit Sturm-Vergangenheit, Rasmus Höjlund, eine interessante Herausforderung. In der Qualifikation hatte der Angreifer von Manchester United sieben Tore in acht Spielen erzielt. Rolleninterpretationsfragen belasten den 21-Jährigen sicher nicht. (sid, lü, 20.6.2024)

Mögliche Aufstellungen zum Spiel Dänemark - England am Donnerstag in Stuttgart:

Gruppe C, 2. Runde: Dänemark - England (Frankfurt, 18.00 Uhr, live ORF 1 und ZDF, SR Artur Soares Dias/POR)

Dänemark: 1 Schmeichel - 2 Andersen, 6 Christensen, 3 Vestergaard - 18 Bah, 15 Nörgaard, 23 Höjbjerg, 17 Kristiansen - 10 Eriksen, 14 Damsgaard - 9 Höjlund

England: 1 Pickford - 2 Walker, 5 Stones, 6 Guehi, 12 Trippier - 8 Alexander-Arnold, 4 Rice - 7 Saka, 10 Bellingham, 7 Foden - 9 Kane

Fraglich: 3 Shaw (Oberschenkel)

Mögliche Aufstellungen zum Spiel Slowenien - Serbien am Donnerstag in München:

Gruppe C, 2. Runde: Slowenien - Serbien (München, 15.00 Uhr/live ServusTV, SR Istvan Kovacs/ROU)

Slowenien: 1 Oblak - 2 Karnicnik, 21 Drkusic, 6 Bijol, 13 Janza - 20 Stojanovic, 10 Elsnik, 22 Gnezda Cerin, 17 Mlakar - 9 Sporar, 11 Sesko

Serbien: 1 Rajkovic - 13 Veljkovic, 4 Milenkovic, 2 Pavlovic - 14 Zivkovic, 22 Lukic, 20 S. Milinkovic-Savic, 25 Mladenovic - 10 Tadic - 9 Mitrovic, 7 Vlahovic