Die Combo Tęgie Chłopy, deren polnischer Name "fette Bauern" oder "gewichtige Mazurkas" bedeutet.
Agata Maziarz

Begegnungen können nicht nur Freundschaften stiften. Sie können die Welt retten – oder sie zumindest zu einem besseren Ort machen. Man denke da etwa an die Gesprächstermine zweier Herren namens Ronald Reagan und Michail Gorbatschow in den 1980er-Jahren. Oder an jenen Handschlag von Yassir Arafat und Yitzhak Rabin, der den Nahen Osten 1994 – kurz­zeitig – an so etwas wie Befriedung heranführte. Tempi passati: Die Welt hätte derlei Begegnungen guten Willens heute wieder bitter ­nötig. Und sie könnte überhaupt mehr Meinungsaustausch vertragen. Wer arbeitet sich heute noch freiwillig an Meinungen ab, die markant von der eigenen Geisteshaltung abweichen?

Es ergibt somit in mehrfacher Hinsicht Sinn, dass Glatt & Verkehrt seine aktuelle Ausgabe unter das Motto "Begegnungen" stellt und die fruchtbare Kraft des Austauschs – seit jeher bei dem weltoffenen Festival zu spüren – heuer besonders feiert. "Manchmal müssen wir uns die scheinbar auf der Hand liegenden Tatsachen hernehmen und sehen, wie wichtig sie sind", sagt Intendant Albert Hosp und hat den diesjährigen Konzertreigen "noch dichter als sonst programmiert". Zwischen 12. und 28. Juli teilen sich etliche Acts die Bühne für ein Gemeinschaftsprojekt oder ein Doppelkonzert.

Was wichtig ist

Das spiegelt sich auch an den fünf zentralen Festivaltagen bei den Winzern Krems wider. Am Abend des 25. Juli werden Bassistin Beate Wiesinger und zwei Kollegen ihres Jazzpop-Projekts Echo Boomer auf die Zagreber Gruppe Dunjaluk treffen, die als Artists in Residence geladen sind. Dass die beiden Bands in einen musikalischen Dialog treten, verdankt sich einem Kompositionsauftrag von Ö1. Der zweite Event des Abends vereint ein Jazzlegendenduo auf der Kremser Hofbühne, nämlich den unverkennbaren E-Gitarre-Stilisten John Scofield und den charismatischen Bassisten Dave Holland.

Leyla McCalla, US-Sängerin mit haitianischen Wurzeln und dem Leibthema Identität.
Chris Scheurich

Der Folgetag beschert eine britische Kollaboration: Die schottische Singer-Songwriterin Beth Malcolm und das walisische Trio VRï – Garanten für kammermusikalische, lichte Folktöne – teilen sich die Bühne. Am späteren Abend dürfte die Kombo B11 reichlich venezolanische Energien freisetzen, sind ihre neun Sängerinnen und Sänger doch weitgehend auch trommlerisch tätig (26. Juli). Auch ein Star der westafrikanischen Musik lockt heuer nach Krems, nämlich Oumou Sangaré: Seit mehr als 30 Jahren begehrt die Singer-Songwriterin aus Mali gegen frauenfeindliche Verhältnisse auf. Vor dem Auftritt der Ikone zu erleben: die estnische Sängerin Mari Kalkun mit ihren gelassenen Heimatliedern und der tieftönende Norweger Daniel Herskedal an Tuba und Basstrompete (27. Juli).

Vertonte Vielflieger

In luftige Höhen wagt sich wiederum Ernst Molden, der sein Projekt Fliagl aus der Taufe hebt: Der heimische Publikumsliebling mit Hut hat im Auftrag des Festivals einen Songzyklus über den gefiederten Teil der Tierwelt geschrieben und für die Premiere eine bunte Schar Musizierender zusammengestellt, darunter Sänger Thomas Gravogl und Geiger Aliosha Biz (28. Juli).

Nicht zu vergessen der erste Abend der Konzertserie (24. Juli) mit zwei Österreich-Debüts: zum einen Leyla McCalla, US-Sängerin mit haitianischen Wurzeln und dem Leibthema Identität, zum anderen das glutvolle Folkgespann Tęgie Chłopy, dessen polnischer Bandname "fette Bauern" oder "gewichtige Mazurkas" bedeutet. Details, die sich bei den Künstlergesprächen im Rahmen der Kremser Veranstaltungsreihe, stets eine Stunde vor Konzertbeginn, erfahren lassen – eine weitere Gelegenheit für stimulierende Begegnungen.

Startwochenende im Schloss zu Spitz

Zwei Legenden ihrer Zunft haben heuer bei Glatt & Verkehrt das erste Wort – und bestreiten zugleich ihr Festivaldebüt: Der Wahlwiener Hans Theessink und der Pakistaner Ustad Noor Bakhsh absolvieren am Eröffnungswochenende im atmosphärischen Arkadenhof des Schlosses zu Spitz ein Doppelkonzert.

Während der niederländische Gitarrist und Sänger Theessink zu den Koryphäen des Blues zählt, gilt Ustad Noor Bakhsh als Meister des Benju, einer tastenbesetzten Zither, und als Garant für mitreißende, nachgerade groovige Konzerte (12. Juli).

Zwei Duogespanne sprengen tags darauf Grenzen. Da wären erstens der bosnische Akkordeonist Almir Meskovic und der Geiger Daniel Lazar aus Serbien: Großräumig betrachtet als Nachbarn geboren, sind die beide nach einem Studium in Norwegen hängengeblieben. Ihre Musik zeichnet sich nicht nur durch ein naheliegendes Faible für Balkan-Klänge aus, sondern streift mittles musikalischer Farbtupfer auch diverse Weltregionen.

Auch die spanische Sängerin Magalí Sare und ihr Landsmann Manel Fortià am Kontrabass – das zweite Duo des Abends – geben sich nicht mit dem Repertoire ihres Heimatlands zufrieden, sie spannen einen Bogen vom klingenden Kulturgut aus Katalonien bis hin zu Ohr­würmern aus dem lateinamerikanischen Raum (13. Juli).

Der letzte Festivaltag auf dem Schloss gehört schließlich dem Nachwuchs: Die Tänzerin und Choreografin Emmy Steiner stellt im Kinderstück Dachs den gleichnamigen Fellträger als "Krafttier" vor und lehrt, Ängste zu besiegen – eine Performance mit ­Saxofonbegleitung (Anna Tsombanis), empfohlen für ein Publikum ab fünf Jahren (14. Juli).

Debüt des Saitenmeisters Padma Shri Lakha Khan

Ich habe in einer Geheimsprache gesungen lautet der Titel des Konzerts von Sakina Teyna: 1973 in einer türkischen Kleinstadt geboren, hat sie erst in ihrer Studienzeit ihre kurdischen Wurzeln und die zugehörige Sprache für sich und ihre musikalischen Auftritte entdeckt – eine Sprache, die in der Türkei lange Jahre verboten war.

Seit 2006 lebt Teyna in Österreich und gastiert nun bei Glatt & Verkehrt in der Reihe der "Tafelmusiken": Die weltoffene Sängerin beehrt das Wirtshaus Salzstadl gemeinsam mit dem gebürtigen Teheraner Mahan Mirarab, der sich als Gitarrist, Komponist und Arrangeur in Wien längst einen Namen gemacht hat (25. Juli).

Die zweite Tafelmusik bringt die Sängerin Özlem Bulut und den Oud-Spieler Orwa Saleh gemeinsam ins Kremser Wirtshaus. Auch hier vermengen sich vielfältige Einflüsse, ist die türkische Vokalistin doch mit Klassik, Jazz und Pop ebenso vertraut wie mit Musik aus ihrer Heimat; der Bandleiter Saleh wiederum ist 2012 aus Syrien nach Österreich geflüchtet (26. Juli).

Auch das Österreich-Debüt von Lakha Khan – oder richtiger gesagt: Padma Shri Lakha Khan, wie der Inder seit dem Erhalt eines der höchsten Orden seines Landes heißt – findet im Rahmenprogramm von Glatt & Verkehrt statt.

Der 82-Jährige gilt als Meister der Sarangi und wird das nordindische Streichinstrument am 27. und 28. Juli in aller Herrgottsfrüh, genauer gesagt: um sieben Uhr, im Klostergarten des Klangraum Krems ertönen lassen. Konzertreisen des betagten Virtuosen sind mittlerweile doch eher rar – und sie werden von Vertrauenspersonen begleitet: Sein Sohn Dane flankiert die Musik­legende, und der Manager führt sicher sehr kenntnisreich in die Inhalte der Lieder ein. (Christoph Irrgeher, 21.6.2024)