Wien – Der Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin bei Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un ist ein Fest für das Entlarven von Propagandafotos. Der STANDARD hat Andreas Pribersky gebeten, die Inszenierungen in Nordkorea und in Vietnam visuell einzuordnen. Pribersky lehrt am Institut für Politikwissenschaften in Wien im Themenbereich politische Symbole und Rituale sowie visuelle Politik.

Russlands Präsident Wladimir Putin und Nordkoreas Diktator Kim Jong-un fluten die Agenturen mit inszenierten Propagandafotos. Dieses Bild hat die staatliche russische Nachrichtenagentur in Umlauf gebracht.
AFP/POOL/VLADIMIR SMIRNOV

STANDARD: Wladimir Putins Besuch bei Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un ist eine Propagandashow. Welche Rolle spielen da die Bilder, die um die Welt gehen?

Pribersky: Für Russland scheint es in der Darstellung wichtig, den Besuch in Nordkorea nur als eine Zwischenstation der Reise Putins erscheinen zu lassen: Sie führt zunächst in die russische Autonome Republik Jakutien, dann nach Pjöngjang und schließlich nach Vietnam. Der Fokus der offiziellen Repräsentation wird dabei auf den Besuch in Vietnam gelegt: Das lässt sich auf der offiziellen Website des Kremls bzw. des Präsidialamtes nachvollziehen. Die Fotos des Vietnambesuchs werden zweimal präsentiert – in der Rubrik Fotos und der Rubrik Events, während die Aufnahmen aus Pjöngjang nur in der Rubrik Events abgerufen werden können. Dem entsprechen auch die politischen Deklarationen: Während sie in Pjöngjang ausschließlich die Beziehungen zwischen Russland und Nordkorea betreffen, kündigt Putin in Hanoi – Abschluss und Höhepunkt der Reise – die Änderung der russischen Nukleardoktrin an und versucht damit, den Fokus der politischen Berichterstattung von seinem Nordkorea-Besuch abzulenken.

Beim Spaziergang in Pjöngjang.
IMAGO/Gavriil Grigorov

STANDARD: Putin und Kim Jong-un streicheln Hunde, Rosen und Luftballone säumen ihre Wege. Welche Botschaft sollen diese Fotos vermitteln?

Pribersky: Besonders auffällig an den Aufnahmen in Pjöngjang sind die Unzahl von Kindern und Jugendlichen als Teil der Begrüßungsinszenierung: umso mehr, als im Vorfeld des Besuchs in den internationalen Medien als Programmpunkt auch die gemeinsame Abnahme einer Militärparade angekündigt wurde. Die Inszenierung folgt dabei dem bewährten Muster sogenannter lebender Tableaus. Die Teilnehmer wirken durch Kleidung und Accessoires wie Fahnen und Tücher, diesmal auch Luftballons – vielleicht auch deshalb, weil sie in "westlichen" Medien gerade wieder häufiger zu sehen sind –, und durch ihre Aufstellung an einem gemeinsamen Bild zusammen. Das Tableau wird in Nordkorea regelmäßig für staatliche Feiertage genutzt – es soll die Harmonie im Zusammenwirken des Volkes zum Ausdruck bringen und ermöglicht zugleich eine detaillierte Kontrolle der bestellten Massenversammlungen, da niemand den zugewiesenen Platz verlassen kann, ohne eine Bildstörung auszulösen.

Zeremonie für Putin.
IMAGO/Komsomolskaya Pravda

STANDARD: Ein bewährtes Mittel?

Pribersky: In der internationalen Repräsentation ist diese Darstellungsform auch aus den sogenannten Weltfestspielen der Jugend aus den Zeiten des Realen Sozialismus geläufig, die im Juli 1989 in Pjöngjang abgehalten wurden – die bisher letzten Weltjugendspiele haben auf Einladung von Putin 2017 in Sotschi stattgefunden; die Gastgeber konnten also annehmen, dass er das Arrangement kennt und zu schätzen weiß. Vergleicht man die Aufnahmen der Jugendspiele von 1989 mit jenen der aktuellen Putin-Visite, so fallen die Nutzung der teilweise selben Schauplätze und vergleichbare Begrüßungsspaliere am Straßenrand auf: Es war also vielleicht auch organisatorisch naheliegend, die aus den kommunistischen Jugendorganisationen an das Prozedere und die Aufstellungsorte gewohnten Jugendlichen für diesen Anlass einzusetzen. Im Gegensatz zu einer Militärparade lassen sich diese Bilder auch besser für den erwünschten Eindruck der "Völkerfreundschaft" und zum Verdecken des ukrainischen Kriegshintergrundes der aktuellen Intensivierung der bilateralen Beziehungen nutzen.

Fotos, die der Kreml veröffentlicht.
AP/Vladimir Smirnov

Der "spontane" Kontakt mit einzelnen Vertreterinnen des Volkes aus der Menge gehört ebenfalls zu den in Nordkorea üblichen Ritualen, bei den regelmäßigen und jeweils im Bild festgehaltenen Besuchen der Kims – seit Republikgründer Kim Il-sung bis heute – in verschiedenen Alltagswelten, etwa in Produktionsbetrieben, Geschäften bis hin zu privaten Wohnbereichen. Dabei wird auch regelmäßig gezeigt, wie Kinder hochgenommen werden. Das gab es bei uns auch, ist aber etwas aus der Mode gekommen.

Für die Propaganda müssen auch Hunde herhalten.
AFP/KCNA VIA KNS/STR

STANDARD: Die Fotos kommen von Propagandafotografen der jeweiligen Regime. Unabhängige Fotografinnen und Fotografen sind nicht vor Ort. Wie sollen Medien mit der Veröffentlichung der Fotos umgehen?

Pribersky: Die Problematik der Veröffentlichung dieser Propagandafotos entsteht eben aus dem Aspekt, dass sie andere Bilder verdecken sollen – hier die der Folgen der Kooperation im Ukrainekrieg. Zugleich enthüllt der historische Vergleich aber ihre Herkunft aus der Propaganda des sowjetischen Imperiums, zu deren Völkerfreundschaftsverständnis bekanntlich auch die "brüderliche Beistandsleistung" mittels Einmarsches "befreundeter" Truppen gehörte. Am deutlichsten wird das wohl in der Bruderkuss-Szene, mit der Kim Putin willkommen heißt: Die könnte man leicht auch als Abbildung in Verbindung mit dem beliebtesten Bildmotiv der sozialistischen Bruderküsse – Breschnew küsst Honecker – gemeinsam zeigen. Das würde den Charakter des Besuches deutlicher als jeder Erklärungsversuch vermitteln: Putins Programm der Eingliederung der "befreundeten Völker" in ein nunmehr russisches Imperium.

Putin und Kim Jong-un bei der Begrüßung.
IMAGO/Gavriil Grigorov

STANDARD: Wladimir Putin ist bekannt dafür, sich ikonisch zu inszenieren. Ob auf dem Pferd mit nacktem Oberkörper, als Judoka oder beim Fischen. Allerdings wird er auch er älter. Spiegelt sich das in den Fotos wider?

Pribersky: Putin hat seine Selbstdarstellung inzwischen etwas altersgerecht angepasst: Auf den Fotos aus seinem jüngsten vom Kreml veröffentlichten Aufenthalten im sibirischen Tuwa – auf denen auch die bekannten Aufnahmen seiner Outdoor-Aktivitäten, teils mit nacktem Oberkörper, entstanden sind – sieht man ihn im Jahr 2021 als einsamen Wanderer mit Wanderstab im milden Licht durch herbstliche Wälder schreiten. Und zu den orthodoxen Weihnachten zu Beginn dieses Jahres hat er allein an einer Messfeier in der Kreml-Kapelle teilgenommen. Vor allem die Bilder dieser Messe sollen ihn wohl in die Tradition der russischen Zaren versetzen und damit die physische Präsenz durch eine spirituelle, zeitlose ergänzen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Putin-Inszenierung aus dem Jahr 2007.
imago stock&people

STANDARD: Welches Foto von Vladimir Putin sagt am meisten über ihn selbst aus?

Pribersky: In Putin scheint in den vergangenen Jahren eine Leidenschaft für übergroße, weiße Tische entbrannt zu sein: Wir kennen sie alle aus den Aufnahmen aus dem Kreml, und lange wurde vermutet, sie dienen ausschließlich dem Empfang der Vertreter "unfreundlicher Staaten". Ist es die Distanz zum Gegenüber? Die Hygiene? – Auf weißen Oberflächen lassen sich auch Gebrauchsspuren wohl am deutlichsten erkennen. Was auch immer: Seine nordkoreanischen Gastgeber haben die wahre Leidenschaft erkannt, und so empfängt Kim ihn zum trauten Zweiergespräch an einem solchen ein wenig kleineren Tisch in einer Atmosphäre, in der Putin sich nur wohlfühlen kann. Ob dieser Tisch aus derselben Herstellung ist wie die Exemplare im Kreml? Die Stühle jedenfalls sicherlich nicht. (Oliver Mark, 22.6.2024)

Putin und der weiße Tisch.
EPA/GAVRIIL GRIGOROV / SPUTNIK /