Arnautovic formt Herz.
Die Spieler lassen sich nach dem 3:1-Sieg gegen Polen in Berlin feiern.
AP/Ebrahim Noroozi

Die Gewitter hatten sich rechtzeitig verzogen, das Berliner Olympiastadion war vielleicht kein Dampf-, aber doch ein Hexenkessel. 70.000 Menschen füllten am frühen Freitagabend das ehrenwerte Haus mit schrecklicher Vergangenheit, sie waren in Rot und Weiß gekleidet, die größte Gemeinsamkeit zwischen Polen und Österreich sind die Nationalfarben.

Die Sympathien waren nicht ganz gerecht verteilt, in Berlin leben fast 71.000 polnische Staatsbürgerinnen und -bürger, die meisten sind also schon da. Aus Österreich reisten knapp 25.000 Fans an, es war aber doch ein Auswärtsmatch. Und es war das vorentscheidende Spiel der Gruppe D um den dritten oder gar zweiten Platz, ein Showdown. Motto: Siegen oder fliegen. Teamchef Ralf Rangnick weiß nämlich: "Gewinnt man bei einer EM kein Match, kann der Sinn, aufzusteigen, nicht erfüllt werden."

Hunderte Fans mit Österreich-Flaggen.
Tausende Österreich-Fans waren im Berliner Olympiastadion dabei.
AP/Ebrahim Noroozi

Rangnick hat mit der Aufstellung dann doch verblüfft, in die Trickkiste gegriffen. Er wechselte die komplette Innenverteidigung aus, Gernot Trauner und Philipp Lienhart ersetzten Kevin Danso und Maximilian Wöber. Es mag auch eine Vorsichtsmaßnahme gewesen sein, denn sowohl Danso als auch Eigentorschütze Wöber hatten beim 0:1 gegen Frankreich die Gelbe Karte kassiert. Bei einer zweiten ist man auch als österreichischer Nationalspieler gesperrt.

Marko Arnautovic stürmte anstelle von Michael Gregoritsch, der in Düsseldorf enttäuscht hatte. Allerdings war dann Arnautovic eine halbe Stunde lang gegen die Franzosen auch brandungefährlich. Und nun war der Rekordinternationale sogar Kapitän. In seinem 114. Länderspiel. Florian Grillitsch hingegen blieb in der Starformation im zentralen Mittelfeld neben Dauerbrenner Nicolas Seiwald, die personelle Alternative wäre Patrick Wimmer gewesen, allerdings auf einer anderen Position.

Trauner steht am Fünfer, Ball im Tor.
Gernot Trauner köpfelte Österreich früh in Führung.
AFP/RONNY HARTMANN

Die Österreicher hatten beim Gegner fix mit Robert Lewandowski gerechnet, der polnische Teamchef Michal Probierz ist aber auch ein Schlawiner, es ließ den 35-jährigen Superstar, der das 1:2 gegen die Niederlande aufgrund einer Muskelverletzung auslassen musste und bei 150 Länderspielen hielt, zunächst nur auf der Bank.

Es war davon auszugehen, dass Österreich gegen abwartende Polen mehr Ballbesitz haben wird. Diese Erwartungen wurden erfüllt. Der Start war dynamisch, aggressiv, es wurde gepresst, gedrückt, flüssig und schnell kombiniert. Konrad Laimer war der umsichtige Zehner, Christoph Baumgartner wirbelte rechts, Sabitzer links. Ein Tor hatte sich angekündigt, gefallen ist es in der neunten Minute: Mustergültige Flanke von Phillipp Mwene, der 32-jährige Trauner köpfelt aus vier Metern wuchtig unter die Latte, Goalie Wojciech Szczesny hat keine Chance. Und Rangnick hat schon wieder alles richtig gemacht.

Die Polen blieben deutlich unterlegen, lediglich ein Schuss von Nicola Zalewski war herzeigbar (18.). Aber es war doch ein Weckruf, eine Befreiung. Fortan kreierten sie Umschaltmomente, gewannen Zweikämpfe, erhöhten das Tempo. Die Österreicher hingegen verloren den Faden, Fehlpässe waren keine Rarität. 30. Minute: Jan Bednarek schießt Trauner fest an, den Abpraller versenkt Krzysztof Piatek zum 1:1. 39. Minute: Baumgartner schaltet den Turbo ein, passt zu Sabitzer, die Verteidigung klärt in Not. 45. Minute: Keeper Patrick Pentz pariert einen Freistoß von Piotr Zielinski bravourös.

Rangnick brachte zur zweiten Halbzeit Wimmer, Grillitsch hatte Arbeitsschluss, Laimer wechselte ins Zentrum. Wieder wurde sehr passabel begonnen, Druck erzeugt. 58. Minute: Trauner scheidet verletzt aus, Danso kommt. Und Lewandowski steigt in die EM ein.

Baumgartner und Wimmer laufen nebeneinander.
Torschütze Christoph Baumgartner dreht zum Jubeln ab, Patrick Wimmer hinterher.
AP/Petr Josek

63. Minute: Alexander Prass löst links in der Viererkette Mwene ab. 66. Minute: Prass legt quer auf Baumgartner, Arnautovic täuscht noch die Abwehr, Baumgartner trifft aus 16 Metern flach zum 2:1 ins Eck. Worauf Rangnick an der Linie vor Freude tanzte.

Der 24-jährige Baumgartner ist ein Phänomen, der Leipzig-Legionär hat in den vergangenen sieben Partien sechs Tore gemacht, insgesamt hält er bei 16. Österreich fiel im zweiten Abschnitt nicht ab, die Mannschaft lernt schnell.

Arnautovic schießt nach links, Polens Goalie springt nach rechts.
Marko Arnautovic macht den Sack zu.
EPA/HANNIBAL HANSCHKE

77. Minute: Weiter Abschlag von Pentz, Sabitzer rennt alleine aufs Tor, Szczesny foult ihn. Arnautovic verwandelt den Elfmeter staubtrocken zum 3:1. Auch seine Nominierung ist eine gute Idee von Rangnick gewesen. Es war übrigens der erste Sieg gegen Polen in einem Pflichtspiel. Da durfte rechtschaffen gejubelt werden. Die 25.000 Fans stimmten "Immer wieder Österreich" an. Die folgende Partie zwischen Frankreich und den Niederlanden (0:0) lag niemandem mehr im Magen. (Christian Hackl aus Berlin, 21.6.2024)

Fußball-EM, Gruppe D, 2. Runde
Polen - Österreich 1:3 (1:1)
Berlin, Olympiastadion, 71.000 Zuschauer (ausverkauft), SR Meler (TUR)

Tore: 0:1 (9.) Trauner
1:1 (30.) Piatek
1:2 (66.) Baumgartner
1:3 (78.) Arnautovic (Elfmeter)

Polen: Szczesny - Bednarek, Dawidowicz, Kiwior - Frankowski, Piotrowski (46. Moder), Slisz (75. Grosicki), Zalewski - Zielinski (87. Urbanski) - Piatek (60. Swiderski), Buksa (60. Lewandowski)

Österreich: Pentz - Posch, Trauner (59. Danso), Lienhart, Mwene (63. Prass) - Seiwald, Grillitsch (46. Wimmer) - Baumgartner (81. Schmid), Laimer, Sabitzer - Arnautovic (81. Gregoritsch)

Gelbe Karten: Slisz, Moder, Lewandowski, Szczesny bzw. Wimmer, Arnautovic

Trauner jubelt
Ralf Rangnick und Christoph Baumgartner - das funktioniert.
AP/Petr Josek