Suicidal Tendencies in der Version 2024. Am Mittwoch ist die Band um Mike Muir (Mitte) in der Wiener Arena zu erleben.
Suicidal Records

Es ist das Privileg der Jugend, den Tod nicht besonders ernst zu nehmen. Weit weg ist er, seine Vorstellbarkeit ebenso. Michael Muir war gerade erst 17 Jahre alt, als er seine Band gründete. Das unermessliche Leid der Schule, schon wieder ein abgebrochenes Rad am Skateboard und Mutti, die will, dass er endlich essen kommt. Da konnte er gar nicht anders als die Band Suicidal Tendencies zu nennen.

Michael Allen Muir galt bei sich in der Nachbarschaft als kleine Rabiatperle. Die Zuschreibung Cyco Punk (Straße für "Psycho Punk") etablierte sich früh als sein Spitzname. Er war nicht sehr groß, aber voller Energie. Anstatt diese in die Kleinkriminalität zu investieren, wie es viele seiner Freunde getan haben, verlor er sich in der Musik. Die Zeit dafür war günstig. Los Angeles Anfang der 1980er, da ging gerade der Deckel hoch.

Punk entwickelte sich zum ärgeren Hardcore, der Hardrock entglitt zum Metal, und es dauerte nicht lange, da verfloss das alles ineinander. Die Skater spielten Skatepunk – ohne dass damals irgendjemand einen dünnen Pfiff auf die Nomenklatur gegeben hätte. Und in Muirs Jugendzimmer kollidierten Black Sabbath mit den Ramones. Die Energie dieses Knalls, die wollte er als Sound.

Einschlägiger Adel

Muir und seine Tendencies veröffentlichten 1983 ihr Debütalbum. Es hatte keinen Namen – keine Zeit, sich einen auszudenken. Das titellose Werk schuf den Grundstein für eine nun schon mehr als 40 Jahre währende Karriere. Am Mittwoch tritt Suicidal Tendencies in der Wiener Arena auf – vorn im Zentrum, mit seinem typischen Bandana, wird Mike Muir stehen.

Er ist die einzige Konstante dieser Band, die in ihrer Biografie Leute beschäftigte wie den aktuellen Bassisten von Metallica, Robert Trujillo, dessen Sohn Tye gerade für Suicidal den Viersaiter strapaziert. Oder Drummer Dave Lombardo von Slayer. Oder Josh Freese, der nach dem Tod von Taylor Hawkins das Schlagzeug bei den Foo Fighters übernommen hat. Man kann das durchaus als einschlägigen Adel bezeichnen, gut zwei Dutzend Musiker hat die Band bisher verbraucht.

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Entgegen aller Wahrscheinlichkeit wurde das Debütalbum ein Hit. Dafür verantwortlich war die Nummer Institutionalized. Eigentlich viel zu hart und inhaltlich bedenklich für das konservative Amerika, wurde der Song via College Radios und MTV ein Hit – das Video mit einem Auftritt von Slayer-Bassist Tom Araya beständig nachgefragt, obwohl der Song für MTV eigentlich zu heavy war. Es lief vornehmlich nachts, wenn die renitenten Kids nicht und nicht schlafen wollten.

Auf dem Soundtrack von "Repo Man"

1984 verwendete der Regisseur Alex Cox den Song für seinen Film Repo Man, eine durchgeknallte Science-Fiction-Komödie, die in Los Angeles und dessen Punk-Szene angesiedelt war. Schnell erhielt der Film das Präfix "Kult", die Popularität der Band explodierte. Suicidal Tendencies arbeitete sich infolge durch die 1980er zu einer angesagten Genreband mit Steherqualitäten hoch, die Anfang der 1990er mit Arbeiten wie Lights...Camera...Revolution! in den Genuss der sich abzeichnenden Veränderungen des Mainstreams kam und 1992 mit dem damals als experimentell eingeschätzten The Art of Rebellion auf das Alternative-Publikum schielte. Das gelang, das zahlte sich aus.

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The Art of Rebellion war ihr kommerziell erfolgreichstes Album mit Songs wie Nobody Hears, dessen Video Samuel Bayer drehte, derselbe, der gerade erst Smells Like Teen Spirit für Nirvana gedreht hatte.

Ihre Wendigkeit war damals das große Plus der Band, sei es ihre Hereinnahme von Funk, die Abzweigung in Richtung Alternative oder diverse Spielarten des Metal, der damals in alle Richtungen explodierte – mit Metallica sogar in den Mainstream.

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Doch bis heute schimmert Punk als Ursprung dieser Band aus ihren Alben. Das jüngste, von 2018 stammende Studioalbum Still Cyco Punk After All These Years macht das deutlich. Einmal Skatepunk, immer Skatepunk. Gleichzeitig erfreuen Hochgeschwindigkeitssoli die Metallfans im Orbit der Band. Und vorn gibt Muir immer noch das Brülltier: allein gegen den Rest der Welt.

Zu Hause ist der mittlerweile 61 Jahre alte Sänger Vater von drei Kindern und hat nach eigener Aussage nie Drogen genommen oder getrunken. Kann man glauben, muss man aber nicht. Aber anders wäre es vielleicht nicht so gut ausgegangen, Mike Muir zu sein. (Karl Fluch, 2.7.2024)