Im Gastblog interpretiert der Psychotherapeut und Psychoanalytiker Timo Storck die zweite Folge der zweiten Staffel der Prequel-Serie zu "Game of Thrones".

Aegon am Thron und in Trauer um seinen Sohn in der zweiten Episode von
Aegon auf dem Thron und in Trauer um seinen Sohn in der zweiten Episode von "House of the Dragon 2".
HBO/Sky

Der Philosoph Martin Heidegger, der in House of the Dragon mit ziemlicher Sicherheit "Highdaegger" genannt würde und einen Bruder namens "Martyn" hätte, widmet sich ausführlich einer begrifflichen Analyse des "Zeugs". Dabei geht es ihm darum, dass sich das Zeug durch ein "um-zu" darstellt. Ein Hammer ist dazu da, dass man mit ihm hämmert. Das Zeug ist über das bestimmt, was man damit besorgen kann. Ohne das Hämmern ist der Hammer kein Hammer.

Wer benutzt wen?

In "Rhaenyra The Cruel", so der Titel der Episode, wird diese Woche immer wieder etwas oder jemand als Werkzeug eingesetzt oder genutzt, um etwas zu erreichen. Meistens sind es Männer (und unter ihnen meistens Otto), die so handeln.

Fangen wir mit dem Konkretesten an: Sobald "Blood" (einer der beiden Rattentäter der vergangenen Folge) sieht, welche Folterwerkzeuge Larys vor ihm ausbreitet, gibt er Daemon als Auftraggeber und den Rattenfänger als Komplizen preis.

Auch der Tod von Jaehaerys selbst wird als Werkzeug genutzt. Otto weist darauf hin, dass die Präsentation des kindlichen Leichnams gegenüber der Bevölkerung von King's Landing (ebenso wie den Häusern von Westeros) als Werkzeug dazu dienen kann, die Menschen gegen Rhaenyra einzunehmen.

Weiter mit der Verwerkzeugung der Menschen: Criston, grob von Schuldgefühlen geplagt (aber so ganz weiß man das nicht; vor allem scheint er, trotz der Rebound Dates mit Alicent nicht so ganz über Rhaenyra hinweggekommen zu sein), weist Arryk an, seine Nachlässigkeit im Thronfolger-Bewachen sowie die Verräter-Bruder-Problematik auszugleichen, indem er Rhaenyra erschlägt.

Hammer-Gefühle

Aber nicht alles ist von der Logik der Werkzeuge durchdrungen. Wir sehen zum Beispiel auch, wie Aegon wütend die Modelleisen – äh – Modell-Stadt seines Vaters zerschlägt (oder täusche ich mich?). Es ist ein Angriff auf das ganze Geplotte, auf das Verschieben von Figuren im Spiel der Throne. Das ist ganz erfrischend, denn so langsam kann man Ottos augenrollendes Gesicht angesichts der kurzsichtigen Entscheidungen des Königs nicht mehr sehen. Meine Meinung.

Den Werkzeugen stehen die Gefühle entgegen. Zunächst scheinen vor allem die Frauen Gefühle zu haben. Alicent hat Schuldgefühle wegen der Kristonisierung ihres Schlafzimmers (aber ihre Beichte interessiert ihren Vater nicht). Rhaenyra fühlt sich von Daemon verraten. Helaena ist vor Trauer dem Wahnsinn nah. Baela hasst möglicherweise ihren Vater. Und es sind nicht irgendwelche Gefühle, sondern: familiäre. Und auf den zweiten Blick haben sie dann doch nicht nur die Frauen.

Nehmen wir Aegon. Er attackiert nicht nur das Modell seines Vaters, sondern auch konkret die (Groß-)Vaterfigur Otto, und zwar genau in dem Moment, als dieser andeutet, dass nicht Viserys, sondern er selbst, Otto, dafür gesorgt hat, dass Aegon König wird. Aegon, emotional, entlässt Otto als Hand und setzt dafür Criston als "Fist of the King" ein. Diesen stellt er sich als geeignetes Werkzeug vor, das eiserne Zuhandensein scheint ihm wertvoller als der hochtürmige Überblick des Verstandes.

Es bleibt in der Familie

Aber es bleibt natürlich familiär, denn die Person, die Aegon hier einsetzt, ist immerhin der Mann, der mit seiner Mutter schläft. Oder anders: Criston wird der Nachfolger des Mannes, mit dessen Tochter er schläft. Überraschenderweise, denn eigentlich hatte man doch erwartet, dass der andere ödipale Vatermörder Hand (bzw. Fuß) des Königs wird, nämlich Larys.

Vielleicht ändert sich das ja auch noch. Denn Criston ist auf vielerlei Weise problematisch. Wäre House of the Dragon ein Groschenroman, dann wäre Criston der Arzt, bei dem man sich fragt, wann er eigentlich mal in der Praxis ist und seiner Arbeit nachgeht, anstatt nur herumzuverführen. Und wieder folgt ein zentrales Element der Handlung aus einer doch irgendwie ziemlich bescheuerten Idee: Weil die beiden Zwillinge Arryk und Erryk nun einmal gleich aussehen, könnte es doch funktionieren, den bösen Bruder einzuschmuggeln und wieder mal einen Tod zu rächen. Denkt sich Criston. Immerhin wird nicht allzu kleinteilig erklärt, dass es Mysaria ist, die am Ende für Rhaenyras Rettung sorgt. Insgesamt ist das aber leider näher dran an Das doppelte Lottchen als an Kain und Abel. Nicht nur durch den Ausruf des hinzugerufenen Leibwächters, der nicht weiß, wer Arryk ist, wen er also als Eindringling töten muss, wird es hier komödiantisch, auch wenn beide Brüder am Ende tot sind.

Das Handwerk einer Erzählung

Hier begegnet uns das Werkzeugige auch auf der Ebene des Plots. Auch House of the Dragon selbst setzt meinem Empfinden nach zu sehr darauf, bestimmte Handlungen der Figuren als Werkzeug dafür einzusetzen, dass danach etwas anderes passieren kann. Wie auch schon zur ersten Staffel bemerkt: Na klar, es handelt sich um die Verfilmung eines (fiktiven) Geschichtsbuchs, in dem nun mal die Ereignisse geschildert werden, die in ihrer Abfolge zum Untergang des Hauses Targaryen führen.

Trotzdem: Sowohl die Anweisung Daemons an Blood und Cheese und deren Handlungen in der vergangenen Episode als auch nun Cristons Anweisung an Arryk und dessen Handlungen sind doch nichts, was so wie gedacht funktionieren kann. Sondern es wirkt wie Handlungen, die geschehen, damit die Geschichte in eine bestimmte Richtung weiterlaufen kann. So ist es nun mal in einer Abenteuergeschichte. Aber entsteht denn wirklich durch den Mord an Jaehaerys oder den Bruder-Tod mehr Spannung?

Inside the Episode - S2, Ep 2 | House of the Dragon | HBO
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Allenfalls kann man sagen, dass der Keil zwischen Alicent und Rhaenyra immer tiefer eingeschlagen wird. Beide trauern um den Verlust der anderen, aber es führt schon längst kein Weg mehr zurück. Noch nicht einmal, sollten sich beide entscheiden, irgendwelche Rattenfänger-Drillingsbrüder anzuheuern, um Criston endlich aus dem Weg (also: Bett) zu räumen. Und was ist das für eine Schlussszene? Erst Ohrfeige, dann Kuss. Das und die Szene mit dem winselnden Hund, der sein erhängtes Herrchen anblickt, ist ein bisschen zu plakativ. Sind das nicht narrative Werkzeuge aus dem Schlussverkauf?

Welche weiteren Fragen bleiben offen? Was wird aus den beiden ungleich herzlicheren Brüdern, die sich zum Essen verabreden? Bekommt Mysaria weitere Handlungsanteile, auch wenn sie die Einzige ist (!), die nicht ständig irgendwas mit Familienmitgliedern macht? Geht Aemond weiterhin zu der Prostituierten, die meines Erachtens seiner Mutter sehr ähnlich sieht? Wie leicht wird es Larys fallen, Criston die Hand zu entwenden? (Timo Storck, 25.6.2024)