Michelle Cotton zeigt ab September ihr Programm in der Kunsthalle Wien.
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Nach zwölf Jahren Dürre soll es Michelle Cotton jetzt richten. Seit dem Abgang von Pop-Gentleman Gerald Matt 2012 dämmert die Kunsthalle Wien vor sich hin. Erst hatte Nachfolger Nicolaus Schafhausen sieben Jahre lang kein Glück, dann das weibliche Kollektiv What, How & for Whom (WHW). Publikumsträchtige Schauen, Aufreger, Gesprächsstoff sein – das ging sich beim verkopften, mal theoretisch-sperrigen, mal diskursiv-aktivistischen Programm nicht aus. Anders als erhofft und weniger überraschend, zog die Idee "Themen statt große Namen" beim Publikum nicht.

Nach nur einer Periode war deshalb für die drei Kroatinnen von WHW Schluss: Die Bewerbung von Ivet Ćurlin, Nataša Ilić und Sabina Sabolović um Verlängerung habe "nicht den Kriterien" entsprochen, wurde Anfang 2023 kommuniziert, die Ausschreibung des Postens vor dem Hintergrund wiederholt, dass ganz offen und für alle potenziellen Bewerber klar ersichtlich ein Wechsel an der Spitze gewünscht war. Groß war im April vorigen Jahres die Euphorie bei der Präsentation Cottons als nächste Chefin.

Nora Turato wird für die Kunsthallen-Außenwand ein Textkunstwerk gestalten. Hier im Bild: ein Werk der Künstlerin in Chicago.
Michael Concialdi

Jetzt ist sie also da, genauer: Ab Herbst trägt das Ausstellungsprogramm ihre Handschrift. Seit sechs Wochen lebt sie in Wien, und seit einem Jahr führt sie viele Gespräche mit Institutionen wie Museen und Universitäten, hat sie Künstler in deren Studios besucht, Galerien, Off-Spaces, Kunstmessen. Das erzählte die 1977 geborene Britin und zuletzt Programmleiterin am Mudam in Luxemburg am Mittwoch bei ihrer ersten Programmvorschau. Noch nicht viel Zeit habe sie aber gehabt, Deutsch zu lernen, entschuldigte sie den Wechsel danach ins Englische.

"Diskursplattformen"

Dass sich ihr Deutsch noch verbessern wird, daran muss man nicht zweifeln. Denn Sichtbarkeit und Offenheit sind wichtige Schlagworte ihres Ansatzes – gerade um jene zu erreichen, die nicht das "Privileg" haben, an dem teilzunehmen, was Wien kulturell bereits bietet. Nicht nur ein größeres, ein diverseres Publikum will sie anlocken mit Ausstellungen, Workshops, Meisterklassen, Filmscreenings. Ein barrierefreies Atelier für Bildungs- und Vermittlungsprogramme soll dort einziehen, wo die Kassen jetzt sind (die dafür neben jene der Halle E+G übersiedeln, was zu einer klareren Eingangssituation führen soll).

Weiters plant Cotton Führungen in einfacher Sprache und die Einbeziehung von Kollaborationspartnern im Sozialbereich. Generell will sie mehr im öffentlichen Raum arbeiten. Publikum muss man dort finden, wo es physisch und intellektuell ist, sagt Cotton, die sich selbst aus einem eher kulturfernen Elternhaus in die Zirkel hineinentwickelt hat. Menschen sollen kommen und wiederkommen, sodass sich rund um die Kunsthalle eine "Community" und "Diskursplattformen" entwickeln.

Aleksandra Domanović (hier ihre Arbeit "Calf bearer new body") hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten international viel und erfolgreich ausgestellt, in der Kunsthalle zeigt sie ab September ihre bisher größte Schau.

Ein Jahr nach Cotton wird Fatima Hellberg als neue Mumok-Leiterin in die direkte MQ-Nachbarschaft ziehen - mit ganz ähnlichem Community- und Inklusions-Programm. Das Fehlen dieses Sinns kreidete SP-Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler WHW an. Sie habe unter ihnen "sehr viele Ausstellungen auf sehr hohem Niveau gesehen", aber "das Vermögen, in die Stadt hinauszugehen", habe gefehlt. Zum Vergleich: Ein Freundeskreis der Kunsthalle, wie Cotton ihn aufbauen will, ist unter WHW eingeschlafen. Letztlich auch die internationale Wirkung des Hauses. Für fortan leicht erhöhte 4,6 Millionen Euro Finanzierung im Jahr will die Kulturstadträtin zudem "internationale Strahlungsmöglichkeiten".

Produzierendes Haus

Die soll sie kriegen. Nicht nur weil sich die Kunsthalle unter Cotton wieder stärker als produzierendes Haus versteht – in Auftrag gegebene Werke sollen in Schauen auf der ganzen Welt wiederauftauchen. Man will eifrig Bücher herausgeben. Etwa zu Aleksandra Domanović, der die erste Ausstellung ab September gilt. Die 1891 in Novi Sad geborene, zwischen 2001 und 2006 an der Wiener Angewandten ausgebildete, inzwischen in Berlin wohnhafte und international gewürdigte Künstlerin wird mit ihren optisch spektakulären Arbeiten am Standort im Museumsquartier ihre bisher größte Werkschau bestücken. Der erste Werkauftrag ergeht an Nora Turato, die ein 62 Meter langes textbasiertes Werk an der Außenwand anbringt. Diego Marcon zeigt im Oktober seinen neuen, koproduzierten Film La Gola. Kommenden Februar folgt eine große historische Gruppenschau zu Frauen in der digitalen Kunst. Die Kunsthalle am Karlsplatz wird derweil bis 2025 renoviert, das Lokal dort verkleinert, Ausstellungsfläche zurückgewonnen.

Viele Künstler zögen derzeit nach Wien, viele würden bereits hier sein, von denen sie gar nichts gewusst habe, sagte Cotton. Die Kunsthalle soll sich nach innen wie international vernetzen. "Wien ist gerade ein guter Ort für Künstler. Das ist gutes Material." (Michael Wurmitzer, 26.6.2024)