Holländische Fans beim Spiel gegen Österreich in Berlin.
Holländische Fans beim Spiel gegen Österreich in Berlin. Vor allem im Zusammenhang mit Alkohol zeigen sich Schattenseiten bei Fußballgroßereignissen.
IMAGO/ZUMA Press

Viel Alkohol und eine Menge Emotionen, das gehört zu Fußballgroßereignissen dazu. Vor allem erhöhter Alkoholkonsum ist ein Risikofaktor für Gewalt an Frauen. Somit steigt auch die Sorge, dass während Sportgroßereignissen wie der Fußball-Europameisterschaft die Gewalt an Frauen ansteigen könnte. Angesichts von Untersuchungen zum Verhältnis von Gewalt und Alkoholkonsum rund um Fußballspiele ist diese Sorge durchaus berechtigt, wenngleich für Österreich Daten ebenso fehlen wie international angelegte Studien.

Eine Untersuchung des Centre of Economic Performance zeigte jedenfalls für den Großraum Manchester im Nordwesten Englands einen klaren Zusammenhang zwischen häuslicher Gewalt, Alkoholkonsum und Fußballspiele auf. Die großangelegte Studie konnte auf Basis von Anrufen bei Notfallhotlines und der Kriminalitätsstatistiken der Polizei aus den Jahren 2012 bis 2019 nachweisen, dass es während der Spiele selbst zwar einen Rückgang der Gewalt um fünf Prozent gab. Gewalttaten passierten somit nicht während der eigentlichen Spielzeit, danach stiegen sie aber an. Ein Höhepunkt des Gewaltanstiegs war zehn Stunden nach dem Spiel mit 8,5 Prozent im Vergleich zu den durchschnittlichen Zahlen abseits von Fußballereignissen zu beobachten.

Gewaltdynamiken

Dieser Gewaltanstieg zeigte sich auch nur bei zusammenlebenden Partner:innen, bei Ex-Partner:innen, die nicht mehr zusammenlebten, gab es keinen Anstieg. Die Daten basieren auf 3000 Fußballspielen von Manchester United und Manchester City. Der Anstieg hatte laut Studie auch weniger mit Gram oder überschwänglicher Freude über ein Spiel zu tun, sondern primär mit der Menge von Alkohol und dem Zeitraum, der einen langandauernden Alkoholkonsum ermöglicht. Spiele, die gegen Mittag oder am Nachmittag begannen, forcierten demnach einen höheren Alkoholkonsum, schlicht weil der Zeitraum dafür größer war. Das Problem seien laut Forscher:innen somit nicht Sportveranstaltungen an sich, sondern der Alkoholkonsum vor und während der Spiele.

Im Gewaltschutzzentrum Wien konnte man bisher aufgrund der EM noch keinen Anstieg der Anfragen von Gewaltbetroffenen feststellen. Valide Zahlen aus Österreich zu vorangehenden Fußballgroßereignissen gibt es keine. Dabei wäre es wichtig, Phasen und Ereignisse herauskristallisieren zu können, wenn die Gefahr von Gewalt gegen Frauen steigt, sagt Nicole Krejci, Leiterin des Gewaltschutzzentrums Wien. So könnten die nötigen Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden.

Sehr wohl gibt es aber fundiertes Wissen über Gewaltdynamiken und Gewaltspiralen, aus denen schwer auszubrechen ist, sagt Krejci. Studien zeigen, dass Alkohol oder Suchtmittel wie generell alles, was berauschend und enthemmend wirkt, ein Gefährlichkeitsfaktor ist, so die Gewaltschutzexpertin. Allerdings sei gewalttätiges Verhalten in den allermeisten Fällen unabhängig von einem Event da, rund um den etwa viel getrunken wird. "Es ist nicht die Ursache für gewalttätige Dynamiken, es ist vielmehr ein zusätzlicher Faktor, der enthemmend wirkt."

Keine Rechtfertigung

Übermäßigen Alkoholkonsum als Rechtfertigung für Gewalt heranzuziehen, davor warnt auch Maja Markanović-Riedl, Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF). Sie hat an mehreren Standorten in Österreich nachgefragt, ein Anstieg konnte auch hier bisher nicht beobachtet werden. Valide Zahlen über einen Gewaltanstieg bei Sport- oder Fußballgroßereignissen gibt es auch laut Markanović-Riedl keine, was aber auch heißt: "Es wurde noch nicht untersucht."

Frust und Wut eigenen sich ebenso noch immer als Rechtfertigung für Gewalt, der sich Täter wie auch Medienberichte immer wieder bedienen. Neben Alkohol zeigte eine kleinere und ältere Studie den Spielausgang als Faktor für zunehmende Gewalt auf. Untersucht wurde, ob es einen Anstieg häuslicher Gewalt durch jene Zuseher:innen gibt, die die Fußballweltmeisterschaft über das Fernsehen verfolgen. Dies wurden ebenfalls für den Nordwesten Englands untersucht, die Zahlen hierzu sind aber deutlich älter als jene des Centre of Economic Performance. Die Daten stammen von nur drei Turnieren im Jahr 2002, 2006 und 2010. Hier zeigte sich im Gegensatz zur Studie des Centre of Economic Performance sehr wohl ein Zusammenhang zwischen Spielausgang und dem Gewaltanstieg am Tag des jeweiligen Spiels. So stieg die Gewalt um 26 Prozent an, wenn die englische Nationalmannschaft gewann oder das Spiel unentschieden endete. Verlor die Mannschaft, stieg die Gewalt um 38 Prozent an.

Risikoeinschätzung

Während es in Österreich bisher meist ein völliges Rätsel ist, wann Gewalt an Frauen ansteigt oder abflaut, sind Gefährlichkeits- und Risikoeinschätzung die zentralen Instrumente für den Gewaltschutz, sagt Nicole Krejci. Wobei hier die unterschiedlichen Stellen, die mit Gewalttätern und Betroffenen zu tun haben, wiederum unterschiedliche Tools nutzen. Krejci begründet das damit, die unterschiedlichen Anlaufstellen mit unterschiedlichen Gruppen zu tun haben: Gewaltschutzzentren mit Gewaltbetroffenen, die Polizei oder auch die Einrichtungen, bei denen sich Gefährder:innen seit Herbst 2022 verpflichtend beraten lassen müssen, mit Tätern. "Somit kommt man vor einem bestimmten Hintergrund zu einer bestimmten Einschätzung, und die verschiedenen Stellen müssen sich abstimmen, ob wir die Gefahr ähnlich einschätzen – wenn nicht, müssen wir uns damit auseinandersetzen", sagt Krejci. (Beate Hausbichler, 27.6.2024)