Als der FPÖ-Spitzenkandidat für die EU-Wahl, Harald Vilimsky, im Wahlkampf von einem ORF-Journalisten auf "Rechtspopulisten und Rechtsextreme" im EU-Parlament angesprochen wurde, empörte er sich vor der Kamera über die angebliche pauschale Zuschreibung als rechtsextrem und brach ostentativ das Interview ab.

Sturm auf das US-Kapitol am 6. Jänner 2021
Der Sturm auf das US-Kapitol am 6. Jänner 2021 gilt bis heute als größter Angriff auf die Demokratie in den USA. Für Jason Stanley ein Beispiel für Faschismus.
REUTERS

Ist rechtsextrem ein zu starkes Wort? Jason Stanley, Philosophieprofessor an der Yale University, würde noch einen Schritt weitergehen. "Die richtige Bezeichnung für diese Art von Politikern und Parteien ist Faschismus", sagt er im STANDARD-Gespräch. Sie seien antidemokratisch, nationalistisch und würden bestimmte Gruppen zur Zielscheibe ihrer Hetze machen.

Stanley meint damit die ganze Breite von Autokraten, beginnend mit Wladimir Putin über Viktor Orbán bis Donald Trump, und ebenso weitere europäischen Pendants, die meist als Rechtspopulisten bezeichnet werden. "Wir müssen von diesem Begriff wegkommen", sagt er. "Politikwissenschafter mögen solche Begriffe, weil sie neutral und nicht antidemokratisch klingen, aber sie sind nicht korrekt."

2018, mitten in der Trump-Präsidentschaft, hat Stanley im Buch How Fascism Works die Mechanismen dieser Politik präzise beschrieben. Passend zum jüngsten Aufschwung von Rechtsparteien in zahlreichen EU-Staaten ist das Buch nun auf Deutsch erschienen.

Der Philosophieprofessor Jason Stanley macht aus seiner linken politischen Überzeugung keinen Hehl.
Der Philosophieprofessor Jason Stanley macht aus seiner linken politischen Überzeugung keinen Hehl.
Yale University

Auch Stanley ist sich bewusst, dass man Putin, Orbán, Trump und Marine Le Pen nicht auf die gleiche Stufe stellen kann. "Wir müssen uns Faschismus als Kontinuum vorstellen, nicht als schwarz und weiß", sagt er. "Putin ist so klar ein Faschist wie Mussolini und Hitler. Orbán bringt keine Journalisten um, aber auch er respektiert die Demokratie nicht, genauso wenig wie Trump. Und viele Männer hinter Trump würden sich selbst als Faschisten bezeichnen."

Als Charakteristika des modernen Faschismus listet Stanley folgende Faktoren auf:

Mit der Hilfe von Nichtfaschisten

Hier könne man die Verbindungen zu den faschistischen Bewegungen vor dem Zweiten Weltkrieg erkennen, sagt Stanley. Dass nicht alle Wählerinnern und Wähler von rechten Parteien und Kandidaten von dieser Ideologie überzeugt sind, sei ebenfalls nicht neu. "Die meisten Mitglieder der NSDAP waren keine überzeugten Nazis", sagt Stanley. "Faschisten gewinnen immer mithilfe von Menschen, die sich nicht als Faschisten sehen, so etwa religiöse Gruppen oder Wirtschaftstreibende." Auch jetzt werde Trump immer stärker von Unternehmern unterstützt, die sich von ihm Deregulierung und niedrigere Steuern erhoffen.

Für Stanley ist nicht jede Form des Nationalismus faschistisch. So sieht er in der Ukraine ein gesundes, tolerantes Kollektivgefühl, das vor allem gegen das faschistische Russland gerichtet ist.

Wie könne man das Wiederwachen des Faschismus am besten bekämpfen? Angesichts der großen Migrationsbewegungen, die der Klimawandel beschleunigen werde, nur durch die Schaffung einer multiethnischen, multireligiösen Demokratie mit einem starken Bekenntnis zu demokratischen Institutionen. Das falle einem Land wie Österreich ohne koloniale Geschichte besonders schwer, aber anderen Staaten auch. "Das Problem ist: Es ist nicht leicht, eine Demokratie zu sein." (Eric Frey, 2.7.2024)