Dass ihr Vorschlag gerade in einem Superwahljahr auf wenig Begeisterung stößt, dürfte Kristina Schröder bewusst gewesen sein. Die 46-Jährige gilt als erfahrene Kommunikatorin, von 2009 bis 2013 war sie deutsche Familienministerin unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Heute arbeitet sie unter anderem als Unternehmensberaterin und Autorin für die Zeitung Welt, wo sie an ihrem – nach eigenen Angaben – "liberal-konservativen" Profil feilt.

In ebenjener Zeitung ließ Schröder zu Beginn der Woche schließlich einen kontrovers diskutierten Vorschlag vom Stapel: Die sogenannte Babyboomer-Generation, also Menschen, die etwa zwischen 1950 und 1964 geboren wurden und nun das Pensionsalter erreicht haben, sollen vor Beginn ihres Ruhestandes noch einmal etwas für die Gesellschaft tun, ein Sozialjahr ableisten – und das nicht etwa freiwillig, sondern verpflichtend.

Kristina Schröder (Mitte) auf einem Archivbild aus dem Jahr 2013, rechts von ihr sitzt der inzwischen verstorbene Ex-CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble.
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Schließlich, so Schröder, hätten die Babyboomer der heutigen Jugend einen Scherbenhaufen überlassen: Deutschlands Infrastruktur sei marode, die Pensionspolitik unfair, auch bei den Themen Energie und Migration kippten die Alten den Jungen jahrelang ignorierte Probleme einfach so "vor die Füße", ohne an morgen zu denken. Die Corona-Politik habe überdies vielen Jugendlichen wertvolle Jahre gestohlen, nun sei es für die ältere Generation höchst an der Zeit, sich in Form eines Sozialjahres nützlich zu machen.

20 Stunden pro Woche

20 Stunden pro Woche, so Schröders Vorschlag, sollten die Älteren "in Schulen und Kindergärten, in der Flüchtlingshilfe, als Coach für Jüngere" dienen, wer zuvor schon ehrenamtlich aktiv war, könnte sich dies auch anrechnen lassen. Mehr ins Detail ging die ehemalige Ministerin nicht. Wie ein Zwangsdienst für Ältere politisch und rechtlich umgesetzt werden könnte, ließ sie offen.

Ein älteres Paar beim Spaziergang – geht es nach Kristina Schröder, künftig ein Jahr lang lediglich in der Freizeit möglich.
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Seit 2011 ist die Wehrpflicht – und damit auch jene zum Zivildienst – in Deutschland ausgesetzt. Die jüngste Debatte über eine Wiedereinführung angesichts der russischen Bedrohung ist noch nicht vollends erledigt, dass ein verpflichtender Dienst für junge Menschen in vollem Ausmaß zurückkehrt, ist aber unwahrscheinlich. Vor allem die SPD hatte sich vehement gegen die Rückkehr einer klassischen Wehrpflicht gewehrt – und sich damit vorerst durchgesetzt.

Problem für Großeltern

Dass die Ex-Familienministerin Schröder nun ausgerechnet die wahlentscheidende Gruppe der Pensionistinnen und Pensionisten zum – mitunter neuerlichen – Dienst an der Gesellschaft verpflichten will, stößt etwa Jens Kreuter sauer auf. Früher war er in der deutschen Regierung für Zivildienst zuständig, heute hält er von Zwang nicht viel. Schon jetzt, sagte er im Bayerischen Rundfunk, sei ein Jahr freiwilliger sozialer Dienst möglich, nicht nur für junge Menschen, sondern auch für Alte. Freilich: Gerade für Großeltern passe dies häufig "nicht in diese Lebensphase, zum Beispiel weil man sich regelmäßig ums eigene Enkelkind kümmert".

Von den großen Parteien äußerte sich bisher niemand zu dem heiklen Vorschlag der einstigen Ministerin. Zu groß die Gefahr, ältere Wählerinnen und Wähler zu verprellen. Und eine Mehrheit im Bundestag, die für einen derart großen Eingriff in das Leben der Deutschen vonnöten wäre, ist auf absehbare Zeit ohnehin unrealistisch.

Am Mittwoch relativierte Schröder schließlich ihren Vorschlag und sprach in der Welt davon, dies "provokant" und "ironisch" gemeint zu haben. Sie stehe aber zu ihrer Meinung, dass es unfair sei, von jungen Menschen wie selbstverständlich einen Dienst am Staat zu erwarten. (Florian Niederndorfer, 26.6.2024)