So sehen Sieger aus.
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Berlin – Ein Tag des Durchschnaufens in Berlin. Teamchef Ralf Rangnick hat am Mittwoch das Training im Stadion "Auf dem Wurfplatz" geschwänzt, es war generell eine unauffällige Veranstaltung, die von den Assistenten geleitet wurde. Acht Feldspieler und zwei Torleute, jene, die am Vortag beim überragenden 3:2 gegen die Niederlande kaum oder gar nicht mitgewirkt hatten, übten in der Mittagshitze. Auch sie, Michael Gregoritsch, Matthias Seidl oder Florian Kainz, strahlten wie der berühmte Luster oder das Kind vor dem Christbaum. Sie sind Teil des Teams, dessen Geist wunderbar ist. Kaum eine andere Nation lebt die Harmonie so offen wie Österreich. Und es wirkt nicht gekünstelt. Der Geheimfavorit der EM fällt auf.

Geschlauchte Zeugen

Das Training hatte Teilzeitbetreuer David Alaba bereits am Vortag im Überschwang der Gefühle gestrichen, Rangnick hat davon während der Pressekonferenz in den Katakomben des Olympiastadions erfahren. "Wenn es mein Non-Playing-Captain sagt, wird es schon stimmen." Die Mannschaft ist kurz vor 22 Uhr im Hotel Grunewald eingetroffen, man saß gemütlich beisammen, die Familien waren dabei, sie durften im Hotel übernachten. Geschlauchte Augenzeugen berichteten, dass ein bisserl gefeiert und getrunken wurde. Mit Maß, nicht in Massen. Selten noch in der Geschichte des österreichischen Fußballs war Alkohol-Konsum derart berechtigt wie am 25. Juni 2024. Wie sagte Marcel Sabitzer, der "Man of the Match": "Wir arbeiten sehr hart, aber wir feiern auch sehr gut." Emotionen gehörten ausgelebt.

Marcel Sabitzers prächtiger Schuss zum 3:2 gegen die Niederländer.
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Die EM entwickelt sich zum österreichischen Genussprojekt, den Begriff "Sommermärchen" überlässt man Deutschland. Dass man die schwierige Gruppe D sogar gewinnen konnte, damit hat Rangnick in seinen kühnsten Träumen nicht gerechnet. Das lag aber auch an Frankreich.

Rangnick kennt seine Mannschaft in- und auswendig, dennoch ist sie gegen die Niederlande in der Lage gewesen, den 65-Jährigen zu verblüffen. Er hatte in der Startformation auf Kapazunder wie Christoph Baumgartner oder Konrad Laimer verzichtet, diesen Luxus hätten andere Coaches gerne. Patrick Wimmer und Romano Schmid waren tolle Alternativen. "Dass die Breite so groß ist, hat viele überrascht, vielleicht auch mich."

Immer Favorit

Das Achtelfinale ist terminisiert. Es findet am 2. Juli um 21 Uhr in Leipzig statt. Der Gegner wurde am Mittwochabend in Gruppe F ermittelt, infrage kamen Türkei, Tschechien und Georgien. Geworden ist es letztlich wie erwartet die Türkei nach einem 2:1 gegen Tschechien. Der Genuss sollte eine Fortsetzung finden, Österreich ist gegen jeden der Favorit, kein Geheimfavorit.

Es ist eine Art Rückkehr in den Alltag. "Wie in der Bundesliga", sagte Rangnick. Leipzig ist vom Mannschaftshotel nur 175 Kilometer entfernt, die Strecke Berlin-Leipzig entspricht Wien-Linz. Sie wird mit dem Bus zurückgelegt, das spart die Fliegerei, tut der Vorbereitung gut.

Rangnick muss vor ausländischen Medienvertretern immer noch seine Absage an Bayern München begründen, er steckt die Langeweile tapfer weg. Ebenso die Frage nach dem Geheimfavoriten. "Ich habe ja schon vor Monaten gesagt: Ich halte es nicht für sehr wahrscheinlich, dass wir Europameister werden. Es ist immer noch nicht sehr wahrscheinlich."

Patrick Wimmer (li) und Leopold Querfeld (AUT) stellten sich am Tag danach den Fragen der Presse.
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Wimmer und Leopold Querfeld erschienen um 13.30 Uhr zum Medientermin. Wimmer ist im Achtelfinale gesperrt. "Dann bereite ich mich eben aufs Viertelfinale vor." Der Gruppensieg sei keine Selbstverständlichkeit gewesen, "aber auch kein Wunder". Gefragt nach Rangnicks Erfolgsgeheimnis sagte er: "Er lässt uns privat Freiheiten. Auf dem Platz weiß jeder, was er zu tun hat. Und wir tun es."

Rekordjugend

Innenverteidiger Querfeld avancierte zum jüngsten Spieler der österreichischen EM-Geschichte. Er war 20 Jahre und 188 Tage alt. "Das machte einen stolz." Der Jungspund wurde eingewechselt, zog sich eine Wunde über dem linken Knie zu, die wurde flugs getackert, er machte weiter, nach Abpfiff wurde sie genäht. "Kein Problem." Der Ex-Rapidler, der nun Union Berlin dient, versuchte, das Erfolgsgeheimnis zu lüften. "Jeder fühlt sich als Teil des Ganzen. Jeder weiß, gebraucht zu werden. Keiner stellt sich über den anderen." Marko Arnautovic sagte noch: "Das Turnier geht erst los."

Am Donnerstag ist trainingsfrei, die Spieler können tun und lassen, was sie wollen. Rangnick ließe sie auch Daumendrehen. Das Viertelfinale ist am 6. Juli im Berliner Olympiastadion angesetzt. Man wäre schon da, die Anreise dauert 20 Minuten. Die Bundesliga beziehungsweise das EM-Genussprojekt harren einer Fortsetzung. (Christian Hackl aus Berlin, 26.6.2024)